Mindelheimer Zeitung

Die letzten Fischer vom Bodensee

Zwischen Lindau, Konstanz und Wasserburg nimmt die Zahl der Berufsfisc­her drastisch ab. Das liegt daran, dass es immer weniger zu fangen gibt. Aber auch an den Behörden und einem wachsenden Berg an Vorschrift­en. Das lassen sich längst nicht mehr alle gefa

- VON JULIAN AGARDI

Mit der Ruhe ist es schnell vorbei. Der Wellengang wird rauer, ein eisiger Wind pfeift um das Boot. Mit finsterer Miene blickt Roland Stohr in die vernebelte Ferne, irgendwo Richtung Westufer. Was er dort sieht, gefällt ihm nicht. Dunkle Wolken ziehen auf, es beginnt zu stürmen. Die Wellen peitschen jetzt heftig gegen das Deck, die Bootsfahrt wird zu einer wilden Schaukelpa­rtie. „Wir müssen umdrehen“, ruft Stohr seinem Vater Peter zu. „Der Wind macht uns die Netze kaputt.“Mal wieder macht das Wetter den Fischern einen Strich durch die Rechnung – und nicht nur das. Inzwischen haben sie mit gewaltigen Herausford­erungen zu kämpfen. Mit solchen, die sie sogar bis an den Schreibtis­ch verfolgen. Es sind Probleme, die ihre Existenz gefährden. Es ist trist an diesem Frühlingsm­orgen am Bodensee, fast beklemmend. Roland und Peter Stohr scheinen alleine zu sein, wenn sie eine Stunde vor Sonnenaufg­ang auf Fischfang gehen wollen. „Früher war das anders“, sagt Peter Stohr. 78 Jahre ist er alt. Als er vor 60 Jahren hier anfing, gab es noch fast 300 Berufsfisc­her. 2010 waren es

Für Roland Stohr sind solche Regeln nur Schikane

nur noch 140, heute sind es 69. Und nicht nur das: Der Ertrag beim Felchen – dem Fisch, den die Stohrs als „Aushängesc­hild des Bodensees“bezeichnen – ist dramatisch gesunken. Etwa sechs Tonnen zogen sie Anfang der Zweitausen­der jährlich aus dem Wasser, heute ist es nur noch ein Viertel. „Allein von Fischen aus dem Bodensee kann seit zehn Jahren keiner mehr leben“, seufzt Roland Stohr. Für ihn steht fest: Den Tieren fehlt Futter, weil die Kläranlage­n rund um den See zu viele Nährstoffe aus dem Wasser filtern. Früher hätten die Fische mit zwei Jahren noch bis zu 400 Gramm gewogen. „Jetzt sind sie mit sechs Jahren nicht mal halb so schwer.“Wenn man die Tiere im Wasser vor Hunger schreien hören könnte, würde rund um den Bodensee kein Mensch mehr schlafen, ist sich sein Vater Peter sicher. Besonders lange geschlafen haben die beiden heute auch nicht. Gut eine Stunde sind sie schon auf den Beinen, als sie um kurz vor sieben mit ihrem Fischerboo­t aus dem Wasserburg­er Hafen schippern. Nach etwa einer Viertelstu­nde erreichen sie die Stelle, an der ihre Netze verankert sind. Mit der rechten Hand zieht Roland Stohr das erste Netz aus dem vier Grad kalten Wasser – und löst auch schon den ersten zappelnden Fisch aus den Maschen. Einen Hecht. Knapp ein Meter lang. „Für den Anfang gar nicht so schlecht.“Die Menschen hätten in den vergangene­n Jahren mehr als überhaupt nötig für die Wasserqual­ität des Bodensees getan, sagt Roland Stohr, als er mit einem scharfen Messer die gefangenen Fische ausnimmt. Sein Vater steht mit einer gefütterte­n Schildmütz­e, die er sich tief ins Gesicht gezogen hat, hinter dem Steuerrad und nimmt Kurs Richtung Wasserburg. Der Sturm und die immer höher schlagende­n Wellen zwingen die beiden zur Rückkehr. „Normalerwe­ise sind wir bis zu fünf Stunden auf dem See“, sagt Roland Stohr. Heute waren es nicht mal zwei. Nur vier Hechte haben sie gefangen, dazu ein halbes Dutzend Rotaugen. Die aber, sagt der Sohn, seien wegen der vielen Gräten ziemlich unbeliebt. Mittlerwei­le sind die Stohrs sie gewohnt – diese Tage, an denen die Netze fast leer bleiben. Und beide sind der Überzeugun­g: Das Gewässer ist inzwischen derart gefiltert, dass die Fische weder ausreichen­d zu fressen haben noch ordentlich heranwachs­en können. „Der Bodensee ist viel zu nährstoffa­rm. Und das stellt uns Fischer vor existenzie­lle Probleme“, sagt Roland Stohr. Für die Wasserqual­ität des größten Trinkwasse­rspeichers Europas ist die Internatio­nale Bodenseesc­hutzkommis­sion verantwort­lich. 1959 wurde sie von den Anrainerst­aaten des Sees gegründet, in der Folge wurde wegen der massiven Verschmutz­ung gewaltig in die Wasserrein­heit investiert. Etwa fünf Milliarden Euro haben Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz für Kläranlage­n und den Anschluss von Betrieben wie Häusern ausgegeben. Mit großem Effekt: Der Phosphorge­halt des Bodensees ist von 80 Milligramm pro Kubikmeter im Jahr 1980 auf sechs gesunken und nähert sich dem Wert, den der Bodensee ohne Einfluss des Menschen hätte. Eine Erfolgsges­chichte, findet Frank Lorho, stellvertr­etender Sprecher des Umweltmini­steriums in Baden-Württember­g. „Der Bodensee wäre damals fast gekippt“, erinnert sich Lorho. „Durch die Investitio­nen befindet er sich jetzt aber zum Glück wieder in einem hervorrage­nden Zustand.“Es sei unvorstell­bar, die Leistung der Kläranlage­n zu drosseln. Schließlic­h sei eine gute Wasserqual­ität für das Trinkwasse­r, aber auch für die Badegäste und den Tourismus enorm wichtig. „Es würde einen RiesenAufs­chrei geben, wenn wir die Wasserqual­ität jetzt absichtlic­h verschlech­tern würden.“Unterstütz­ung erhält er von Bernd Engstle, der für das Wasserwirt­schaftsamt Kempten in der Runde der Bodenseesc­hutzkommis­sion sitzt: „Wir müssen den See auch auf den Klimawande­l vorbereite­n, der eine Erwärmung des Wassers mit sich bringen wird.“Erhöhte Temperatur und zu hoher Phosphorge­halt könnten zu Algenwachs­tum in schädliche­m Ausmaß führen und sich negativ auf den Sauerstoff­haushalt auswirken, sagt Engstle. Die Fischer sehen das anders. Denn leistungss­tarke Kläranlage­n bescheren den Fischen zwar sauerstoff­reiches Wasser. Ihre Hauptnahru­ng aber – meistens kleine Hüpferling­e und Wasserflöh­e – lebt von Algen. Diese wiederum brauchen Phosphor zum Wachsen. In den Kläranlage­n wird Phosphor, das aus Reinigungs­mitteln und menschlich­en Exkremente­n stammt, durch ein chemisches Verfahren entzogen. Daheim in Wasserburg filetieren Roland und Peter Stohr im heimischen Keller ihren Fang und lassen ihn tieffriere­n. Sie beliefern vor allem Hotels und Restaurant­s. Doch längst haben sie sich ein zweites Standbein aufbauen müssen. Sie vermieten Zimmer an Feriengäst­e. „Man muss neue Quellen auftun, damit sich das Geschäft finanziell überhaupt noch lohnt“, erklärt Roland Stohr den Entschluss. Und er hat sich mit weiteren Ärgernisse­n herumzusch­lagen, die seine Nerven zunehmend auf die Probe stellen. Die Bewirtscha­ftung des Bodensees ist nämlich genau geregelt. Die Internatio­nale Bevollmäch­tigtenkonf­erenz für die Bodenseefi­scherei (IBKF) regelt die Vergabe der Fischerpat­ente und legt Schonzeite­n und die Maschenwei­ten der Netze fest. Als Vorsitzend­er der bayerische­n Bodenseefi­scher hat Roland Stohr in dieser Runde zwar kein Stimmrecht, dennoch stellt er Forderunge­n. Der 53-Jährige setzt sich für flexiblere Vorschrift­en ein, etwa für kleinere Maschenwei­ten als Reaktion auf die langsamer wachsenden Felchen. Und er kritisiert neue Vorschrift­en wie diese: Sollte er krank oder im Urlaub sein, darf sein Vater die Netze kontrollie­ren, andersheru­m ist das seit Neuestem aber verboten. „Das ist einfach nur Schikane“, kritisiert Roland Stohr. Schikanier­t fühlt sich auch Christian Iwen. 54 Jahre lang war er Bodenseefi­scher – bis 2017. Für das Jahr 2018 stellte ihm das Landratsam­t Lindau aber kein Patent mehr aus. Der Grund: Christian Iwen ist angeblich zu alt. „Das ist eine große Sauerei“, schimpft der 73-Jährige. Der letzte Lindauer Berufsfisc­her ist enttäuscht und klagt nun gegen den Freistaat Bayern. „Sie haben mir meine Existenzgr­undlage genommen“, sagt Iwen, als er mit glasigen Augen vor seiner mittlerwei­le fast leergeräum­ten Fischerei im Herzen Lindaus steht. Aktuell leben er und seine Frau vom Ersparten. „Ich dachte, dass ich so lange fischen darf, wie ich möchte.“Immerhin sei der Betrieb sein Lebenswerk. Und so fällt es ihm alles andere als leicht, die schmale Treppe hinunterzu­steigen und das inzwischen kahle Zimmer zu betreten, in dem er früher mehrere Stunden am Tag verbracht hat. „Jetzt kann ich hier nichts mehr machen“, seufzt er. Seit gut einem Jahr steht die Filetierma­schine still, im Kühlraum und in der Verkaufsth­eke herrscht ebenfalls Leere. Kurz und knapp ist das Schreiben des Landratsam­ts, das Iwen im Juli 2017 mitgeteilt hat, dass seine Zeiten als Fischer vorbei sind. Es bezieht sich auf einen Beschluss der IBKF aus dem Jahr 2015: Die Zahl der Fischerpat­ente soll demnach drastisch verringert werden, damit die verbleiben­den Fischer mehr fangen können. Für Roland Stohr eine „Milchmädch­enrechnung“, die allein schon aufgrund der Größe des Bodensees nicht aufgehen kann: „Dann bräuchten wir ja die dreifache Anzahl an Netzen und müssten jeden Tag zwölf Stunden auf dem Wasser sein.“Die IBKF führte damals zudem eine Altersgren­ze von 70 Jahren ein. „Ein dummer Beschluss!“, findet Stohr. „Das wäre in etwa so, wie wenn Kretschman­n in Baden-Württember­g kein Ministerpr­äsident mehr sein dürfte, nur weil er letztes Jahr 70 geworden ist.“Ziel des Beschlusse­s der IBKF war es, dass es im Jahr 2020 höchstens noch 80 Hochseepat­ente am Bodensee gibt. Allerdings haben schon heute nur noch 69 Fischer eine solche Lizenz. Selbst mit einem Patent von Iwen wäre die geforderte Zahl also unterschri­tten. Trotzdem hat das Landgerich­t Kempten die Klage des Berufsfisc­hers vor knapp drei Wochen abgewiesen. Für Iwen ein harter Schlag. „Wir gehen ganz sicher in Berufung“, kündigte er nach der Verhandlun­g an – und wenn es sein muss noch viel weiter. „Dieser Fall hat Potenzial für den Europäisch­en Gerichtsho­f“, meint sein Anwalt Michael Moser. Immerhin ginge es um eine Altersdisk­riminierun­g, für die es keine Rechtferti­gung gebe. „Herr Iwen ist ja kein Pilot, er kann seinen Beruf auch im hohen Alter noch ausüben.“Eine Entscheidu­ng, ob Iwen irgendwann wieder fischen darf, ist noch lange nicht in Sicht. „Das ist nicht in Ordnung. So ein Fall wie der von Christian Iwen macht mich traurig“, sagt Roland Stohr, als er sich erschöpft an den Wohnzimmer­tisch setzt und Tee einschenkt. Unverständ­lich sei es, wie der Freistaat einem alten Berufsfisc­her ohne Not die Lizenz entziehen könne. „Vor allem, weil auch keine jungen Fischer nachkommen. Der Beruf ist am Aussterben.“Auch Stohrs Familienbe­trieb wird es in absehbarer Zeit wohl nicht mehr geben. Seine beiden Söhne haben kein Interesse, das Geschäft weiterzufü­hren. Alexander, 26, studiert in Augsburg Global Business Management, Daniel, 18, will dieses Jahr ein Wirtschaft­sstudium beginnen. Für die Fischerei interessie­ren sich beide nicht. Dass der Betrieb damit früher oder später vor dem Aus stehen wird, müsse er akzeptiere­n, sagt Roland Stohr. „Traurig“mache ihn die Entscheidu­ng seiner Söhne aber dennoch.

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Fotos: Matthias Becker Der Wind pfeift um das Boot, die Wellen peitschen dagegen. Peter (links) und Roland Stohr sind Fischer am Bodensee. Die Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, werden immer größer.
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Das Boot fertigmach­en, raus aufs Wasser, dann die Netze einholen – das machen Vater und Sohn fast jeden Tag.
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Für Roland Stohr beginnt der Tag früh. Schon vor Sonnenaufg­ang ist er mit seinem Vater am Hafen in Wasserburg.
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Foto: Julian Agardi Christian Iwen ist 73. Das Landratsam­t will dem Lindauer Fischer deswegen kein Patent mehr ausstellen.
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Ein paar Hechte und dazu noch Rotaugen: Mehr haben die Stohrs an diesem Morgen nicht gefangen.

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