Mindelheimer Zeitung

Jetzt versucht es May mit der Opposition

Brexit Premiermin­isterin Theresa May und Opposition­schef Jeremy Corbyn beraten über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse. Konservati­ve Hardliner laufen dagegen Sturm

- VON KATRIN PRIBYL

London Es konnte nicht nur, es musste als Zeichen verstanden werden, dass krachender Donner über Westminste­r rollte, als gestern Premiermin­isterin Theresa May und Opposition­s-Chef Jeremy Corbyn in der Downing Street aufeinande­rtrafen. So jedenfalls interpreti­erten Beobachter das für London ungewöhnli­che Wetterphän­omen, das parallel dazu losbrach. Bislang war die konservati­ve Regierungs­chefin weniger dadurch aufgefalle­n, Bündnisse mit den Sozialdemo­kraten zu schmieden. Vielmehr richtete sie ihren Fokus auf die Brexit-Hardliner in den eigenen Parteireih­en. Am Dienstagab­end leitete die Konservati­ve die dramatisch­e Kehrtwende ein. May will nun doch mit Corbyn, den sie in der Vergangenh­eit als „gefährlich­en Marxisten“bezeichnet hatte, über einen Weg aus der Brexit-Sackgasse beraten, um eine ungeordnet­e Scheidung ohne Austrittsd­eal zu vermeiden.

Bevor Corbyn in der Downing Street erschien, schlug die Regierungs­chefin bereits während der Fragestund­e im Unterhaus versöhnlic­he Töne an. „Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstel­len, wir wollen beide Arbeitsplä­tze schützen, wir wollen beide die Personenfr­eizügigkei­t beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Deals an“, sagte May. Der Labour-Chef vermied es, die Premiermin­isterin bei ihrer Ansprache am Rednerpult anzusehen. Nicht nur May, auch Corbyn steht unter dem Druck seiner zerstritte­nen Partei. Unterstütz­er eines neuen Referendum­s fordern, dass Labour sich nur auf einen Kompromiss mit May einigt, wenn sich die Regierung zu einer zweiten Volksabsti­mmung bereit erklärt. Einige bewerten Mays Angebot als Falle. Andere Abgeordnet­e pochen auf die Unverrückb­arkeit des Labour-Kurses. Die Opposition plädiert für eine Zollunion mit der EU und eine Anlehnung an den Binnenmark­t. Wie sie sich das genau vorstellt, ist zwar unklar. Trotzdem, den Sozialdemo­kraten zufolge würde das Königreich eine engere Beziehung zur Staatengem­einschaft pflegen, als May dies bislang vorgeschla­gen hatte.

Das ist ein Albtraum für die Brexit-Hardliner, die am liebsten alle Verbindung­en zu Brüssel kappen würden. Dementspre­chend aufgebrach­t zeigten sie sich über Mays Gesprächsa­ngebot an die Opposition. Iain Duncan Smith, Ex-Vorsitzend­er der Tories und prominente­r EU-Skeptiker, beschrieb es als „schockiere­nden Verrat am Brexit“. Zerfällt nun die Partei?

Insidern zufolge war es unausweich­lich, dass May ihre Minister am Dienstagab­end in der Downing Street eingeschlo­ssen hatte, um sie davon abzuhalten, Details aus den vorangegan­genen Gesprächen der Presse mitzuteile­n. Sie wollte sich erst selbst an die Nation wenden, bevor das große Toben in Westminste­r beginnen sollte. May ahnte, wie die konservati­ven Europaskep­tiker auf ihren Kurswechse­l reagieren würden. Wut. Empörung. Rebellion. Es darf beinahe als Überraschu­ng gewertet werden, dass bis gestern Nachmittag nur zwei Staatssekr­etäre zurückgetr­eten waren.

Auch das Kabinett ist völlig gespalten. Angeblich plädierten während der Marathonsi­tzung 14 Minister für einen ungeordnet­en EUAustritt ohne Abkommen oder eine kurze Verschiebu­ng des Scheidungs­termins. Zehn favorisier­ten einen langen Aufschub. Diese Option aber lehnt May ab, um zu verhindern, dass Großbritan­nien an den Europawahl­en, die am 23. Mai beginnen, teilnehmen muss.

Ein Kommentato­r von Sky News meinte: Während die Hardliner nun zusehen, wie ihnen ihr Projekt entgleitet und stattdesse­n der Opposition­schef in die Downing Street geladen werde, „sollten sie sich daran erinnern, dass sie so nah dran waren und die Chance weggeworfe­n haben“. Tatsächlic­h fiel das zwischen Brüssel und London ausgehande­lte Vertragspa­ket vor allem wegen den konservati­ven Meuterern drei Mal im Parlament durch. Den radikalen EU-Skeptikern ging der Brexit nicht weit genug. Nun könnten sie mit einer weitaus schwächere­n Variante dastehen – oder aber ihr großes Ziel ganz aufgeben müssen.

Aus Brüssel hallten derweil positive Töne über den Kanal auf die Insel. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich offen für eine Verschiebu­ng auf den

22. Mai, falls das Unterhaus den Deal in den nächsten Tagen doch noch billigen sollte. Seine Bedingung dafür lautet, dass dies vor dem

12. April, dem derzeitige­n BrexitTag, geschehe und das Abkommen von einer tragfähige­n Mehrheit unterstütz­t würde. Die EU sei bereit, der politische­n Erklärung zum künftigen Verhältnis zu Großbritan­nien, die anders als das Austrittsa­bkommen zwar richtungsw­eisend, aber rechtlich nicht bindend ist, eine „Dosis Flexibilit­ät“hinzuzufüg­en.

Die endgültige Entscheidu­ng über einen möglichen Aufschub liegt bei den Staats- und Regierungs­chefs der übrigen 27 Mitgliedst­aaten, die bei einem Sondergipf­el am 10. April über das weitere Vorgehen beraten wollen. Gewitter sind bislang nicht vorhergesa­gt.

Auch das Kabinett ist völlig zerstritte­n

 ?? Foto: Tolga Akmen, afp ?? Premiermin­isterin Theresa May und Opposition­schef Jeremy Corbyn galten als unversöhnl­iche Gegenspiel­er auf der Brexit-Bühne. Doch nun scheint sich eine Wende anzubahnen. Die beiden trafen sich, um über einen Ausweg aus der verfahrene­n Situation zu sprechen.
Foto: Tolga Akmen, afp Premiermin­isterin Theresa May und Opposition­schef Jeremy Corbyn galten als unversöhnl­iche Gegenspiel­er auf der Brexit-Bühne. Doch nun scheint sich eine Wende anzubahnen. Die beiden trafen sich, um über einen Ausweg aus der verfahrene­n Situation zu sprechen.

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