Nur noch angezogen in die Sauna
Debatte In Paderborn sind nun Textilien beim Schwitzen Pflicht. Wird Deutschland wieder prüde?
Die Meldung klingt wie ein Paukenschlag: In einer Sauna in Paderborn gilt laut Spiegel Online nun Textilpflicht. Schwitzen also in Badehose und Bikini? Man mag sich fragen, was das auf einmal soll. Werden wir wieder prüder?
Eine vielleicht provokante These. Man mag nun gegebenenfalls zu einem Schnellschuss neigen. Und mit einem Hinweis auf hypersexualisierte Werbung sowie Pornoindustrie heute viel eher noch Sodom und Gomorrha als eine Renaissance des Biedermeiers konstatieren. Oder aber – im Gegenzug – das Gefühl haben, dass die liberalen Zeiten vorbei sind. Und dass die Jugend heute eher wieder verklemmter wird.
Versucht man, das Thema analytisch anzugehen, stellt man fest, dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die in einem FKKVerein Mitglied sind, seit Jahren kleiner wird. Lag sie Anfang der 1970er Jahre bei 150 000, so sind es 2017 nur noch 32 000. Haben die Menschen also keine Lust mehr aufs Nacktsein in der freien Natur?
Günter Hedderich, Präsident des Sport- und Naturistenverbandes „Familien-Sport-Gemeinschaft“, ergänzt bei Spiegel Online: „Früher war es überhaupt kein Problem, sich auszuziehen, auch für Jugendliche nicht, aber das hat sich geändert. Unsere Jugendlichen diskutieren heute, ob sie sich in der Pubertät noch ausziehen können, was ich bedauerlich finde.“Früher haben sich also Jugendliche lieber ausgezogen? Als jemand, der in den frühen 1980er Jahren als Jugendlicher seine Urlaube in einem riesigen südfranzösischen Nudistendorf verbringen durfte/musste (was soll man als 14-Jähriger machen, wenn der Familienurlaub nun einmal dahin
führt?), hat man da so seine Zweifel. Nackt am Strand und im Atlantik, wunderbar – wenn man es mag. Aber Tennisspielen in glühender Nachmittagshitze nur in Tennissocken und Tennisschuhen? Ein unfassbar albernes Gehopse. So seinerzeit das – zweifelsohne subjektive – Urteil des jugendlichen Frankreich-Urlaubers.
Man kann es vielleicht so sagen: Bis heute ist es doch eigentlich normal, dass ein noch junger und womöglich unsicherer Mensch aus einem natürlichen Schamgefühl heraus keine Freude daran hat, sich unverhüllt in der direkten Nachbarschaft eben auch von unansehnlichen nackten Bierbäuchen zu zeigen. Das ist sicher keine Prüderie. Die Scheu legt sich außerdem dann oft binnen weniger Jahre. Wer heute eine Sauna besucht, wird dort nach wie vor Prüderie vergeblich suchen. Nacktheit ist so dermaßen gar nichts Besonderes mehr, dass sie den Protestcharakter des FKK gegen das Biedere der frühen Bundesrepublik sowie vor allem gegen das Grau in Grau der DDR verloren hat.
Heute geht es anders zu. Es gibt Leute, die verabreden sich zu einem ersten Date gleich in der Sauna. Weil es sozusagen aussagekräftiger ist. Wer ein Rockfestival besucht, wundert sich nicht, wenn – was schon fast zwangsläufig dazu gehört – irgendwann zwanzig Nackte an einem vorbeirasen. Sich (zumindest in Deutschland) in einem Freibad oben ohne zu sonnen, ist nicht einmal der Rede wert.
Und was ist jetzt mit der Paderborner Sauna? Wenn man genau nachliest, stellt man fest: Die Textilsauna gilt nur montags (alle anderen Tage sind weiter textilfrei – und auch andere Saunen haben übrigens ähnliche Regelungen). Wohl für jene, die einfach keine Lust haben, sich nackt zu zeigen. Warum auch nicht? In einer freien Gesellschaft muss es auch Platz für solche Bedürfnisse geben. Das ist okay so. Und sicher kein Zeichen für ein neues Biedermeier.