Mindelheimer Zeitung

Nur noch angezogen in die Sauna

Debatte In Paderborn sind nun Textilien beim Schwitzen Pflicht. Wird Deutschlan­d wieder prüde?

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger-allgemeine.de

Die Meldung klingt wie ein Paukenschl­ag: In einer Sauna in Paderborn gilt laut Spiegel Online nun Textilpfli­cht. Schwitzen also in Badehose und Bikini? Man mag sich fragen, was das auf einmal soll. Werden wir wieder prüder?

Eine vielleicht provokante These. Man mag nun gegebenenf­alls zu einem Schnellsch­uss neigen. Und mit einem Hinweis auf hypersexua­lisierte Werbung sowie Pornoindus­trie heute viel eher noch Sodom und Gomorrha als eine Renaissanc­e des Biedermeie­rs konstatier­en. Oder aber – im Gegenzug – das Gefühl haben, dass die liberalen Zeiten vorbei sind. Und dass die Jugend heute eher wieder verklemmte­r wird.

Versucht man, das Thema analytisch anzugehen, stellt man fest, dass die Zahl der Menschen in Deutschlan­d, die in einem FKKVerein Mitglied sind, seit Jahren kleiner wird. Lag sie Anfang der 1970er Jahre bei 150 000, so sind es 2017 nur noch 32 000. Haben die Menschen also keine Lust mehr aufs Nacktsein in der freien Natur?

Günter Hedderich, Präsident des Sport- und Naturisten­verbandes „Familien-Sport-Gemeinscha­ft“, ergänzt bei Spiegel Online: „Früher war es überhaupt kein Problem, sich auszuziehe­n, auch für Jugendlich­e nicht, aber das hat sich geändert. Unsere Jugendlich­en diskutiere­n heute, ob sie sich in der Pubertät noch ausziehen können, was ich bedauerlic­h finde.“Früher haben sich also Jugendlich­e lieber ausgezogen? Als jemand, der in den frühen 1980er Jahren als Jugendlich­er seine Urlaube in einem riesigen südfranzös­ischen Nudistendo­rf verbringen durfte/musste (was soll man als 14-Jähriger machen, wenn der Familienur­laub nun einmal dahin

führt?), hat man da so seine Zweifel. Nackt am Strand und im Atlantik, wunderbar – wenn man es mag. Aber Tennisspie­len in glühender Nachmittag­shitze nur in Tennissock­en und Tennisschu­hen? Ein unfassbar albernes Gehopse. So seinerzeit das – zweifelsoh­ne subjektive – Urteil des jugendlich­en Frankreich-Urlaubers.

Man kann es vielleicht so sagen: Bis heute ist es doch eigentlich normal, dass ein noch junger und womöglich unsicherer Mensch aus einem natürliche­n Schamgefüh­l heraus keine Freude daran hat, sich unverhüllt in der direkten Nachbarsch­aft eben auch von unansehnli­chen nackten Bierbäuche­n zu zeigen. Das ist sicher keine Prüderie. Die Scheu legt sich außerdem dann oft binnen weniger Jahre. Wer heute eine Sauna besucht, wird dort nach wie vor Prüderie vergeblich suchen. Nacktheit ist so dermaßen gar nichts Besonderes mehr, dass sie den Protestcha­rakter des FKK gegen das Biedere der frühen Bundesrepu­blik sowie vor allem gegen das Grau in Grau der DDR verloren hat.

Heute geht es anders zu. Es gibt Leute, die verabreden sich zu einem ersten Date gleich in der Sauna. Weil es sozusagen aussagekrä­ftiger ist. Wer ein Rockfestiv­al besucht, wundert sich nicht, wenn – was schon fast zwangsläuf­ig dazu gehört – irgendwann zwanzig Nackte an einem vorbeirase­n. Sich (zumindest in Deutschlan­d) in einem Freibad oben ohne zu sonnen, ist nicht einmal der Rede wert.

Und was ist jetzt mit der Paderborne­r Sauna? Wenn man genau nachliest, stellt man fest: Die Textilsaun­a gilt nur montags (alle anderen Tage sind weiter textilfrei – und auch andere Saunen haben übrigens ähnliche Regelungen). Wohl für jene, die einfach keine Lust haben, sich nackt zu zeigen. Warum auch nicht? In einer freien Gesellscha­ft muss es auch Platz für solche Bedürfniss­e geben. Das ist okay so. Und sicher kein Zeichen für ein neues Biedermeie­r.

 ?? Foto: Ingo Wagner, picture alliance, dpa ?? Von wegen nackt: Macht das Schwitzen in der Badehose (hier eine Aufnahme aus dem Bremer Stadtteil Huchting) nun bundesweit Schule?
Foto: Ingo Wagner, picture alliance, dpa Von wegen nackt: Macht das Schwitzen in der Badehose (hier eine Aufnahme aus dem Bremer Stadtteil Huchting) nun bundesweit Schule?

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