Wie entscheiden wir uns richtig?
Interview Der Professor Philip Meissner hat erforscht, wie gute und schlechte Entscheidungen zustande kommen und welche Techniken erfolgreich sind. Der Regierungs- und Wirtschaftsberater erklärt, was wir privat von Managern lernen können
Herr Professor Meissner, Sie beraten Manager und Regierungen in wichtigen Entscheidungsprozessen. Was macht eine gute Entscheidung aus? Philip Meissner: Oft denken wir, dass wir eine gute Entscheidung erst im Nachhinein beurteilen können. Wenn wir uns beispielsweise für einen Jobwechsel entscheiden, blicken wir nach ein paar Jahren zurück und prüfen uns. Wir beurteilen die Zeit zwischen der Entscheidung und der Gegenwart. Aber da ist vieles dabei, was wir zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht wissen konnten. Deshalb werbe ich dafür, eine Entscheidung danach zu beurteilen, ob sie zum Zeitpunkt der Entscheidung richtig oder falsch war. Sonst ist man in der Rückschau ungerecht zu sich selbst. Aus meiner Sicht liegt einer guten Entscheidung ein guter Prozess zugrunde, wenn man sie trifft.
Oft treffen Paare gemeinsam Entscheidungen, etwa wenn es um eine große Anschaffung geht. Manchmal will es ein Partner mehr, der andere zögert und hat Bedenken. Beide versuchen sich zu überzeugen und nicht selten landet man in der paradoxen Situation, dass Positionen wechseln: Plötzlich hat nun der erste Partner Skrupel und der andere hält die Anschaffung für eine gute Idee. Wir bewerten Sie so einen Entscheidungsprozess?
Meissner: Das ist ein guter Prozess, solange er nicht negative Emotionen auslöst oder sich beide in gegenseitiger Kritik persönlich verletzen. Aber es ist gut, wenn man sehr kontrovers diskutiert und unterschiedliche Sichtweisen einbringt. Dabei kann auch Kritik helfen. Wenn der Partner nur ein Ja-Sager wäre, könnte das Paar die Entscheidung zwar viel einfacher und schneller treffen – aber die Entscheidung könnte am Ende viel schlechter sein. Wenn wir nur unsere Sicht von anderen gespiegelt bekommen, können wir nicht unsere eigene Denkweise hinterfragen. Wenn dies bei Führungskräften in Unternehmen passiert, die nur von Ja-Sagern und Mitläufern umgeben sind, führt das Übermut und kann in verhängnisvollen Fehlentscheidungen enden.
Worin besteht das größte Risiko, eine falsche Entscheidung zu treffen? Meissner: Eines der größten Risiken ist, dass wir die falschen Leute um Rat fragen. Wir fragen oft unsere Freunde und Familienangehörige. Das müssen aber nicht die richtigen Ratgeber sein. Sie sind nicht objektiv, oft haben sie ihre eigenen Interessen. Der beste Freund am Ort würde uns vielleicht deshalb abraten, wegen eines neuen Jobs in eine andere Stadt zu ziehen. Das Hauptproblem ist aber, wenn der Ratgeber keine Erfahrung in der Frage hat. Deshalb sollte man grundsätzlich am besten die Menschen um Rat fragen, die genau die Entscheidung, vor der man selber steht, bereits schon einmal getroffen haben.
Sie sagen, Kritik ist gut und hilfreich. Aber niemand hört sie gerne. Gibt es Beispiele, wie Profis damit umgehen? Meissner: Klar: Zum Beispiel lädt der berühmte amerikanische Starinvestor Warren Buffet sich oft seine schärfsten Kritiker ein, sogar auf die öffentliche Hauptversammlung. Er provoziert dadurch geradezu Gegenmeinungen, um seine Entscheidungen zu hinterfragen. In anderen Unternehmen wird ein Mitarbeiter im Team zur Rolle des Advocatus Diaboli verdonnert und muss den Kritiker in der Gruppe spielen. Das hat den Vorteil, dass keiner als Bedenkenträger abgestempelt wird, sondern sich auf seine Rolle berufen kann, ohne dass das persönliche Verhältnis im Team darunter leidet. Es gibt McKinsey-Studien, die zeigen, dass Unternehmen mit professionellen Entscheidungsprozessen deutlich höhere Renditen erzielen.
Was können Menschen im Privatleben von erfolgreichen Managern lernen? Meissner: Amazon-Chef Jeff Bezos ist einer der erfolgreichsten Manager der Welt. Er wendet zum Beispiel, wenn es darum geht, mit einer Entscheidung ein Problem zu lösen, ein Prinzip an, dass er dreimal „warum?“fragt. So gelangt er an die Wurzel des Problems. Zum Beispiel wenn man sich privat fragt: Warum bin ich unzufrieden? Wegen meines Jobs. Warum bin ich mit meinem Job unzufrieden? Wegen meines Chefs. Warum komme ich mit ihm nicht zurecht? Mit jeder Antwort kann ich das Problem tiefer identifizieren und nach einer Lösung suchen oder vielleicht den Job wechseln. Es geht darum, die wirkliche Ursache des Problems zu finden, um es zu beheben. Dann kann man sich sicher sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Denn oft setzen wir mit einer Entscheidung nur an einem Symptom an und nicht an der Ursache.
Sind all diese Techniken nicht umständlich?
Meissner: Die Warum-Methode ist sogar eine sehr schnelle Methode. Aber ich höre oft als Kritik, dass die Leute sagen, Entscheidungsprozesse dauern ewig, wir kommen gar nicht weiter, bis wir endlich mal zu einem Ergebnis gelangen. Die Forschung zeigt aber, dass man mit professionellen Entscheidungsmethoden oft schneller ans Ziel kommt. Man wendet ja eigentlich immer eine Methode an, wie man entscheidet. Die Frage ist nur, ob man das bewusst oder unbewusst macht. Es ist aber immer besser, wenn man sich darüber bewusst Gedanken macht, auf welche Weise man Entscheidungen trifft. Dann kann man im Zweifelsfall die eigene Psychologie überlisten und besser entscheiden.
Ist das größte Übel und Mutter vieler Fehlentscheidungen die Selbstüberschätzung?
Meissner: Ja, wir alle tendieren dazu, uns systematisch selbst zu überschätzen. Nehmen wir unsere Autofahrkünste: 80 Prozent der Deutschen halten sich für überdurchschnittliche Autofahrer, aber nur 50 Prozent können es sein. Und das gilt für sehr viele Bereiche. Insbesondere für unseren Blick auf die persönliche Zukunft. Das lässt uns oft grözu ßere Risiken eingehen. Wir treffen Entscheidungen, über die wir besser länger nachgedacht und mit anderen diskutiert hätten. Anderseits ist eine gewisse Selbstüberschätzung und Risikobereitschaft nichts Schlechtes, wenn man vorankommen will. Sonst würde sich kaum jemand trauen, ein Unternehmen zu gründen.
Wie geht man mit der Selbstüberschätzung richtig um?
Meissner: Wenn man sich des Risikos einer gewissen Selbstüberschätzung bewusst ist, sollte man beispielsweise keine Entscheidungen in Phasen treffen, in denen man sehr euphorisch gestimmt ist. Da sollte man lieber ein paar Stunden abwarten und runterkommen.
Selbst wenn ich nicht aus dem Bauch heraus entscheide, spielen Emotionen nicht bei jeder Entscheidung mit? Meissner: Das Bauchgefühl ist weniger Emotion. Es beschreibt Entscheidungsprozesse, die unterbewusst bei uns ablaufen. Der Mensch trifft im Schnitt 20 000 Entscheidungen am Tag. Die Emotionen beeinflussen uns auf eine andere Weise sehr stark: Sind wir euphorisch und optimistisch aufgelegt, entscheiden wir oft zu schnell. Sind wir sehr ängstlich oder ärgerlich, verengt sich unsere Wahrnehmung. Auch unser Gerechtigkeitssinn löst sehr starke Emotionen bei uns aus: Wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, ist das Risiko besonders groß, dass wir Entscheidungen treffen, die zu unserem Nachteil sind. Deshalb sollten wir grundsätzlich keine wichtigen Entscheidungen treffen, in denen wir in die eine oder andere Richtung emotional hochaufgeladen sind. Der Volksmund sagt: Schlaf lieber eine Nacht drüber. Ist da etwas dran? Meissner: Unbedingt! Dabei kommen auch unterbewusste Denkprozesse zum Tragen, die uns helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. In der Regel kann man tatsächlich drüber schlafen, manchmal hat man vielleicht keine Zeit. Aber auch da kann man sich zwischendurch etwas ablenken und das Gehirn auf etwas völlig anderes fokussieren. Wir kontrollieren damit besser unsere Emotionen und verbessern tatsächlich unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, anstatt impulsiv zu handeln.
„Wir alle tendieren dazu, uns systematisch selbst zu überschätzen.“
Philip Meissner
Viele schieben ihre Entscheidungen auf, und hoffen, dass sich Probleme von selber lösen....
Meissner: Auch wenn man immer wartet, dass sich die Situation verändert, muss man doch irgendwann entscheiden. Und selbst eine vermeintliche Nicht-Entscheidung ist eine Entscheidung für den Status quo – und das kann die schlechtere Entscheidung sein. Aus all dem spricht oft die Angst vor der Tragweite einer Entscheidung. Hier hilft es zu hinterfragen, wie fühle ich mich in zehn Minuten, in zehn Monaten und in zehn Jahren nach der Entscheidung, selbst wenn ich mir dabei die negativsten Auswirkungen vorstelle. Oder kann ich die Entscheidung notfalls korrigieren? Oft sieht man dann, dass das Risiko nicht so groß ist, wie man es sich ausmalt. Angst hemmt uns oft in unseren Entscheidungen und wir vergessen manchmal dabei, dass wir Entscheidungen später auch anpassen und verändern können. ⓘ
Buchtipp Philip Meissner (35) ist Betriebswirtschaftsprofessor für Strategisches Management und Entscheidungsfindung an der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin. Sein Buch „Entscheiden ist einfach“(189 S., 20 Euro) erschien bei Campus.