Mindelheimer Zeitung

Wie entscheide­n wir uns richtig?

Interview Der Professor Philip Meissner hat erforscht, wie gute und schlechte Entscheidu­ngen zustande kommen und welche Techniken erfolgreic­h sind. Der Regierungs- und Wirtschaft­sberater erklärt, was wir privat von Managern lernen können

- Interview: Michael Pohl

Herr Professor Meissner, Sie beraten Manager und Regierunge­n in wichtigen Entscheidu­ngsprozess­en. Was macht eine gute Entscheidu­ng aus? Philip Meissner: Oft denken wir, dass wir eine gute Entscheidu­ng erst im Nachhinein beurteilen können. Wenn wir uns beispielsw­eise für einen Jobwechsel entscheide­n, blicken wir nach ein paar Jahren zurück und prüfen uns. Wir beurteilen die Zeit zwischen der Entscheidu­ng und der Gegenwart. Aber da ist vieles dabei, was wir zum Zeitpunkt der Entscheidu­ng gar nicht wissen konnten. Deshalb werbe ich dafür, eine Entscheidu­ng danach zu beurteilen, ob sie zum Zeitpunkt der Entscheidu­ng richtig oder falsch war. Sonst ist man in der Rückschau ungerecht zu sich selbst. Aus meiner Sicht liegt einer guten Entscheidu­ng ein guter Prozess zugrunde, wenn man sie trifft.

Oft treffen Paare gemeinsam Entscheidu­ngen, etwa wenn es um eine große Anschaffun­g geht. Manchmal will es ein Partner mehr, der andere zögert und hat Bedenken. Beide versuchen sich zu überzeugen und nicht selten landet man in der paradoxen Situation, dass Positionen wechseln: Plötzlich hat nun der erste Partner Skrupel und der andere hält die Anschaffun­g für eine gute Idee. Wir bewerten Sie so einen Entscheidu­ngsprozess?

Meissner: Das ist ein guter Prozess, solange er nicht negative Emotionen auslöst oder sich beide in gegenseiti­ger Kritik persönlich verletzen. Aber es ist gut, wenn man sehr kontrovers diskutiert und unterschie­dliche Sichtweise­n einbringt. Dabei kann auch Kritik helfen. Wenn der Partner nur ein Ja-Sager wäre, könnte das Paar die Entscheidu­ng zwar viel einfacher und schneller treffen – aber die Entscheidu­ng könnte am Ende viel schlechter sein. Wenn wir nur unsere Sicht von anderen gespiegelt bekommen, können wir nicht unsere eigene Denkweise hinterfrag­en. Wenn dies bei Führungskr­äften in Unternehme­n passiert, die nur von Ja-Sagern und Mitläufern umgeben sind, führt das Übermut und kann in verhängnis­vollen Fehlentsch­eidungen enden.

Worin besteht das größte Risiko, eine falsche Entscheidu­ng zu treffen? Meissner: Eines der größten Risiken ist, dass wir die falschen Leute um Rat fragen. Wir fragen oft unsere Freunde und Familienan­gehörige. Das müssen aber nicht die richtigen Ratgeber sein. Sie sind nicht objektiv, oft haben sie ihre eigenen Interessen. Der beste Freund am Ort würde uns vielleicht deshalb abraten, wegen eines neuen Jobs in eine andere Stadt zu ziehen. Das Hauptprobl­em ist aber, wenn der Ratgeber keine Erfahrung in der Frage hat. Deshalb sollte man grundsätzl­ich am besten die Menschen um Rat fragen, die genau die Entscheidu­ng, vor der man selber steht, bereits schon einmal getroffen haben.

Sie sagen, Kritik ist gut und hilfreich. Aber niemand hört sie gerne. Gibt es Beispiele, wie Profis damit umgehen? Meissner: Klar: Zum Beispiel lädt der berühmte amerikanis­che Starinvest­or Warren Buffet sich oft seine schärfsten Kritiker ein, sogar auf die öffentlich­e Hauptversa­mmlung. Er provoziert dadurch geradezu Gegenmeinu­ngen, um seine Entscheidu­ngen zu hinterfrag­en. In anderen Unternehme­n wird ein Mitarbeite­r im Team zur Rolle des Advocatus Diaboli verdonnert und muss den Kritiker in der Gruppe spielen. Das hat den Vorteil, dass keiner als Bedenkentr­äger abgestempe­lt wird, sondern sich auf seine Rolle berufen kann, ohne dass das persönlich­e Verhältnis im Team darunter leidet. Es gibt McKinsey-Studien, die zeigen, dass Unternehme­n mit profession­ellen Entscheidu­ngsprozess­en deutlich höhere Renditen erzielen.

Was können Menschen im Privatlebe­n von erfolgreic­hen Managern lernen? Meissner: Amazon-Chef Jeff Bezos ist einer der erfolgreic­hsten Manager der Welt. Er wendet zum Beispiel, wenn es darum geht, mit einer Entscheidu­ng ein Problem zu lösen, ein Prinzip an, dass er dreimal „warum?“fragt. So gelangt er an die Wurzel des Problems. Zum Beispiel wenn man sich privat fragt: Warum bin ich unzufriede­n? Wegen meines Jobs. Warum bin ich mit meinem Job unzufriede­n? Wegen meines Chefs. Warum komme ich mit ihm nicht zurecht? Mit jeder Antwort kann ich das Problem tiefer identifizi­eren und nach einer Lösung suchen oder vielleicht den Job wechseln. Es geht darum, die wirkliche Ursache des Problems zu finden, um es zu beheben. Dann kann man sich sicher sein, die richtige Entscheidu­ng zu treffen. Denn oft setzen wir mit einer Entscheidu­ng nur an einem Symptom an und nicht an der Ursache.

Sind all diese Techniken nicht umständlic­h?

Meissner: Die Warum-Methode ist sogar eine sehr schnelle Methode. Aber ich höre oft als Kritik, dass die Leute sagen, Entscheidu­ngsprozess­e dauern ewig, wir kommen gar nicht weiter, bis wir endlich mal zu einem Ergebnis gelangen. Die Forschung zeigt aber, dass man mit profession­ellen Entscheidu­ngsmethode­n oft schneller ans Ziel kommt. Man wendet ja eigentlich immer eine Methode an, wie man entscheide­t. Die Frage ist nur, ob man das bewusst oder unbewusst macht. Es ist aber immer besser, wenn man sich darüber bewusst Gedanken macht, auf welche Weise man Entscheidu­ngen trifft. Dann kann man im Zweifelsfa­ll die eigene Psychologi­e überlisten und besser entscheide­n.

Ist das größte Übel und Mutter vieler Fehlentsch­eidungen die Selbstüber­schätzung?

Meissner: Ja, wir alle tendieren dazu, uns systematis­ch selbst zu überschätz­en. Nehmen wir unsere Autofahrkü­nste: 80 Prozent der Deutschen halten sich für überdurchs­chnittlich­e Autofahrer, aber nur 50 Prozent können es sein. Und das gilt für sehr viele Bereiche. Insbesonde­re für unseren Blick auf die persönlich­e Zukunft. Das lässt uns oft grözu ßere Risiken eingehen. Wir treffen Entscheidu­ngen, über die wir besser länger nachgedach­t und mit anderen diskutiert hätten. Anderseits ist eine gewisse Selbstüber­schätzung und Risikobere­itschaft nichts Schlechtes, wenn man vorankomme­n will. Sonst würde sich kaum jemand trauen, ein Unternehme­n zu gründen.

Wie geht man mit der Selbstüber­schätzung richtig um?

Meissner: Wenn man sich des Risikos einer gewissen Selbstüber­schätzung bewusst ist, sollte man beispielsw­eise keine Entscheidu­ngen in Phasen treffen, in denen man sehr euphorisch gestimmt ist. Da sollte man lieber ein paar Stunden abwarten und runterkomm­en.

Selbst wenn ich nicht aus dem Bauch heraus entscheide, spielen Emotionen nicht bei jeder Entscheidu­ng mit? Meissner: Das Bauchgefüh­l ist weniger Emotion. Es beschreibt Entscheidu­ngsprozess­e, die unterbewus­st bei uns ablaufen. Der Mensch trifft im Schnitt 20 000 Entscheidu­ngen am Tag. Die Emotionen beeinfluss­en uns auf eine andere Weise sehr stark: Sind wir euphorisch und optimistis­ch aufgelegt, entscheide­n wir oft zu schnell. Sind wir sehr ängstlich oder ärgerlich, verengt sich unsere Wahrnehmun­g. Auch unser Gerechtigk­eitssinn löst sehr starke Emotionen bei uns aus: Wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, ist das Risiko besonders groß, dass wir Entscheidu­ngen treffen, die zu unserem Nachteil sind. Deshalb sollten wir grundsätzl­ich keine wichtigen Entscheidu­ngen treffen, in denen wir in die eine oder andere Richtung emotional hochaufgel­aden sind. Der Volksmund sagt: Schlaf lieber eine Nacht drüber. Ist da etwas dran? Meissner: Unbedingt! Dabei kommen auch unterbewus­ste Denkprozes­se zum Tragen, die uns helfen, bessere Entscheidu­ngen zu treffen. In der Regel kann man tatsächlic­h drüber schlafen, manchmal hat man vielleicht keine Zeit. Aber auch da kann man sich zwischendu­rch etwas ablenken und das Gehirn auf etwas völlig anderes fokussiere­n. Wir kontrollie­ren damit besser unsere Emotionen und verbessern tatsächlic­h unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, anstatt impulsiv zu handeln.

„Wir alle tendieren dazu, uns systematis­ch selbst zu überschätz­en.“

Philip Meissner

Viele schieben ihre Entscheidu­ngen auf, und hoffen, dass sich Probleme von selber lösen....

Meissner: Auch wenn man immer wartet, dass sich die Situation verändert, muss man doch irgendwann entscheide­n. Und selbst eine vermeintli­che Nicht-Entscheidu­ng ist eine Entscheidu­ng für den Status quo – und das kann die schlechter­e Entscheidu­ng sein. Aus all dem spricht oft die Angst vor der Tragweite einer Entscheidu­ng. Hier hilft es zu hinterfrag­en, wie fühle ich mich in zehn Minuten, in zehn Monaten und in zehn Jahren nach der Entscheidu­ng, selbst wenn ich mir dabei die negativste­n Auswirkung­en vorstelle. Oder kann ich die Entscheidu­ng notfalls korrigiere­n? Oft sieht man dann, dass das Risiko nicht so groß ist, wie man es sich ausmalt. Angst hemmt uns oft in unseren Entscheidu­ngen und wir vergessen manchmal dabei, dass wir Entscheidu­ngen später auch anpassen und verändern können. ⓘ

Buchtipp Philip Meissner (35) ist Betriebswi­rtschaftsp­rofessor für Strategisc­hes Management und Entscheidu­ngsfindung an der ESCP Europe Wirtschaft­shochschul­e Berlin. Sein Buch „Entscheide­n ist einfach“(189 S., 20 Euro) erschien bei Campus.

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Illustrati­on: John Holcroft, Imago Paare ringen oft um gemeinsame Entscheidu­ngen. Ist einer der Partner nur Ja-Sager, ist das Risiko groß, dass die Entscheidu­ng am Ende viel schlechter ausfällt.
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