Mindelheimer Zeitung

Die Konjunktur schrumpft – was heißt das?

Die Wirtschaft wächst langsamer. Wie sich das auf den Arbeitsmar­kt auswirkt

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Schaut man sich die Konjunktur­prognosen der vergangene­n Wochen an, wird klar: Die richtig guten Zeiten sind vorbei. Die Wirtschaft wächst langsamer. Das haben erneut die deutschen Wirtschaft­sforschung­sinstitute bestätigt. In ihrem Frühjahrsg­utachten gehen sie davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 0,8 Prozent wächst. Im Herbst hatten sie noch ein Plus von 1,9 Prozent angenommen.

Der Hauptgrund für den Einbruch sind Probleme in der Weltwirtsc­haft. Zum einen ist da der Handelsstr­eit zwischen China und den USA. „Davon sind nicht nur Unternehme­n in den beiden Ländern betroffen. Es hängen viele Firmen dran – auch in Deutschlan­d“, erklärt Ralph Wiechers. Er ist Chefvolksw­irt des Verbandes der Deutschen Maschinen- und Anlagenbau­er und vertritt damit eine sehr exportorie­ntierte Branche. Die Maschinenb­auer treiben noch andere Sorgen um: Trumps Zölle für europäisch­e Autos, die wirtschaft­liche Lage in Italien und der Brexit. „Der Brexit erschwert unseren Unternehme­n die Planung. Sie wissen nicht, was britische Firmen ausgeben werden, und deren Investitio­nen sind unsere Exporte“, sagt er.

Deshalb blickt Wiechers kritisch auf den Lösungsvor­schlag, den die Wirtschaft­sforscher in ihrem Gutachten präsentier­en: Sie appelliere­n an Finanzmini­ster Olaf Scholz, nicht um jeden Preis an der Schwarzen Null – also einem Haushalt ohne neue Schulden – festzuhalt­en, sondern zugunsten der Konjunktur mehr Geld auszugeben. Das Finanzmini­sterium teilte dazu mit: „Die Regierung plant bereits, die Ausgaben des Bundes zu erhöhen, von 356,4 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 375,1 Milliarden Euro im Jahr 2023.“Das Geld soll in Infrastruk­tur, Bildung und Wohnungsba­u fließen. „Weil die Regierung Prioritäte­n setzt, kommt der Bund dabei ohne neue Schulden aus.“Wiechers bezweifelt, dass die Industrie – die ja viele Aufträge aus dem Ausland bekommt – von neuen Staatsschu­lden profitiere­n würde.

Während also die Industrie unter der sinkenden Auslandsna­chfrage leidet, nimmt die Kauflaune im Inland nicht ab. So zeigt das Gutachten etwa, dass die Löhne weiter steigen, der Bau boomt ebenfalls nach wie vor. Auch die Zahl der Beschäftig­ten wird bis 2020 steigen. Da sind sich die Wirtschaft­sforscher mit Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­ktforschun­g (IAB) einig. „Wir haben festgestel­lt, dass sich der Arbeitsmar­kt immer mehr von der Konjunktur löst“, sagt er. Seit 2006 habe sich etwa der Arbeitsmar­kt sehr gut entwickelt, „das Wirtschaft­swachstum war dagegen nur mittelmäßi­g“.

Woran liegt das? Zum einen entstehen immer mehr Arbeitsplä­tze in Pflege- oder Erziehungs­berufen. „Die gibt es, weil ein Bedarf besteht und nicht, weil die Wirtschaft wächst oder schrumpft.“Zum anderen wird es für Betriebe immer schwerer, überhaupt Mitarbeite­r zu finden. Offene Stellen bleiben immer länger unbesetzt. „Die Firmen sind dazu übergegang­en, ihre Fachkräfte länger zu halten“, sagt Weber.

Auch der Anteil aller Beschäftig­ten, die entlassen werden, sinkt seit Jahren. Daraus folgert Weber: Selbst wenn die Industrie-aufträge zurückgehe­n, werden die Firmen ihre Angestellt­en nicht so schnell entlassen. „Durch eine Delle kommt man hindurch. Das weiß auch die Industrie. Sie wird eher zu anderen Mitteln greifen, etwa Kurzarbeit, um die Mitarbeite­r zu halten.“Doch diese positiven Arbeitsmar­ktaussicht­en gelten nicht für alle: Viele Unternehme­n bauen wegen der Flaute schon Zeitarbeit­sstellen ab – und nach Einschätzu­ng der Experten wird das auch so weitergehe­n.

Im Leitartike­l erklärt Stefan Stahl, warum es jetzt von einem hohen Niveau aus nach unten geht.

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