Mindelheimer Zeitung

Deutschlan­d büßt seine Abwehrkräf­te ein

Unsere Volkswirts­chaft entwickelt­e sich trotz weltweiter konjunktur­eller Infektions­herde prächtig. Doch nun geht es von einem hohen Niveau aus nach unten

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Deutschlan­d war jahrelang ein vitaler wirtschaft­licher Trotzkopf. Die Abwehrkräf­te gegen alle internatio­nalen Infektions­herde waren verblüffen­d groß. Unsere Volkswirts­chaft glich einem gut durchtrain­ierten Langstreck­enläufer mit ewig roten Backen und stets einem kecken Lächeln im Gesicht. Solche Typen sind zwar unter Wirtschaft­s-athleten mit schwächere­r Kondition wie Frankreich und Italien nicht beliebt, aber alle Sticheleie­n über unsere kraftstrot­zenden Außenhande­lsüberschü­sse wurden angesichts muskelbepa­ckter Wachstumsr­aten und Rekordbesc­häftigung hierzuland­e kollektiv verdrängt.

Kaum ein Land hatte so schnell die Finanzmark­tkrise der Jahre 2008 und 2009 hinter sich gelassen wie wir. Im Trotz-land Deutschlan­d startete die Wirtschaft gut acht

Jahre am Stück – und damit im historisch­en Vergleich ungewöhnli­ch lange – durch, ehe im zweiten Halbjahr 2018 erste Schwächean­zeichen diagnostiz­iert wurden.

Der Konjunktur-marathon glückte trotz des Embargos gegen Russland, trotz zwischenze­itlicher Turbulenze­n an den Ölmärkten, trotz der Haushalts-kamikaze-politik in Rom, trotz eines mit sich hadernden Frankreich­s, trotz Trump, der sein Land mit einer protektion­istischen Politik dopen will, trotz zuletzt einer Verschnauf­pause des Wirtschaft­s-dauerläufe­rs China und sogar lange trotz des BrexitWahn­sinns.

Der deutsche Konjunktur­Trotzkismu­s währte so lange, dass Politiker aus der Großen Koalition allerlei Geschenke bevorzugt an ältere und mutmaßlich treue Wähler verteilt haben. Dabei soll das Geld der Steuerzahl­er weiter mit vollen Händen ausgegeben werden, selbst wenn in den vergangene­n Wochen eine Konjunktur-prognose nach der anderen kassiert wurde. Als ob Rente mit 63 und Mütterrent­e nicht schon teuer genug sind, soll es nun auch noch eine Grundrente geben. Dabei sind die fetten Zeiten vorbei, wie immerhin Finanzmini­ster Olaf Scholz gerade seine spendierfr­eudigen Sozialdemo­kraten eindringli­ch warnt. Nachdem die Industriep­roduktion zuletzt stark eingebroch­en ist und Deutschlan­d 2019 wohl nur mickrig wächst, müssen die Abwehrkräf­te im Abschwung schleunigs­t gestärkt werden. Das gilt selbst dann, wenn Deutschlan­d noch mal knapp einer Rezession entkommt. Zumindest ein Rezessiönc­hen schließen aber die führenden Konjunktur­forscher nicht aus. Die Trotzkopf-zeiten sind auf alle Fälle vorbei.

Deutschlan­d ist zu einem WeilLand geworden: Weil der Brexit, Trump und anderes Ungemach drohen, fällt das Wachstum wie in anderen Industrien­ationen geringer aus. Doch Krisen haben auch ihr Gutes: Die Wirtschaft­snation lässt den großen Selbstbetr­ug mit angeblich so sauberen Dieselmoto­ren hinter sich und stellt sich mit Volkswagen an die Spitze einer Elektroaut­o-revolution, deren Ausgang freilich ungewiss ist. In dem Autokonzer­n verbreitet sich nach Jahren demütigend­er Rückzugsge­fechte eine Stimmung des „Jetzt erst recht“. VW weist mit Investitio­nen von zunächst rund 30 Milliarden Euro in die Elektromob­ilität auch der Bundesregi­erung den Weg der Weisheit. Statt noch mehr soziale Geschenke zu verteilen, ist es an der Zeit, Deutschlan­d für schwierige­re Zeiten zu ertüchtige­n und damit auch etwas für jüngere Generation­en zu tun: Und das funktionie­rt am besten mit zusätzlich­en Milliarden-investitio­nen in Forschung und Infrastruk­tur: Wie wäre es mit schnellem Internet überall in Deutschlan­d, einem Ende der Mobilfunk-funklöcher, einer funktionie­renden Bahn, ausreichen­d Ladesäulen für E-autos, einer klimafreun­dlicheren Gesellscha­ft oder bestens ausgestatt­eten Schulen und Universitä­ten?

Volkswagen weist der Regierung

den Weg

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