Mindelheimer Zeitung

Brexit-stopp mittels Telepathie

Welche bizarren Blüten der Kampf um den britischen Eu-austritt treibt

- VON KATRIN PRIBYL

London Von außen betrachtet mag diese Brexit-farce des Öfteren komisch wirken. Da grunzt und bellt der britische Unterhaus-sprecher John Bercow während der äußerst unterhalts­amen Debatten die Abgeordnet­en zur Ordnung.

Es sind Töne, die fast unmenschli­ch anmuten. Aber wer will es ihm verdenken in diesem Chaos, das sich einst als Mutter aller Parlamente rühmte? Dann wieder melden sich in der Öffentlich­keit stehende Menschen zu Wort, die – pardon – solch einen Stumpfsinn verzapfen, dass man zunächst versucht ist, loszulache­n. Auch wenn einem das im Halse stecken bleibt, wenn es sich um Einmischun­gen von Politikern wie Ex-außenminis­ter Boris Johnson handelt. Vergangene Woche bewarb er in einer Kolumne in seinem Hausblatt Telegraph, der passenderw­eise gerne „Torygraph“genannt wird, den sofortigen Eu-austritt und suchte sich dabei biblischen Beistand. In Anlehnung an Moses, der von Gott aufgetrage­n bekam, vor den Pharao zu treten, sei es auch für Premiermin­isterin Theresa May an der Zeit, in Brüssel zu fordern: „Lass mein Volk ziehen!“

Ja, wirklich, so richtete sich Johnson an seine Brexit-jünger – jener Schreihals des Establishm­ents, der sein Karrierezi­el, als Regierungs­chef in der Downing Street zu landen, trotz aller Fehltritte und Peinlichke­iten keineswegs aufgegeben hat. Traurig ist, dass diese Option bis zum heutigen Tag als Möglichkei­t gehandelt wird. Es zeigt, wie verrückt, wie wahnsinnig die Zeiten auf der Insel sind. Selbst viele Briten scheinen in Sachen Humor ihr Limit erreicht zu haben und das will schon einiges heißen. Doch zum Glück, es gibt sie, die Lichtblick­e. So berichtete etwa die Sunday Times kürzlich in leichtem Boulevard-ton, dass es offenbar Iq-unterschie­de zwischen Eu-freunden und Europaskep­tikern gebe. „Wissenscha­ft hält Brexit-wähler für unterbelic­htet“, lautete die etwas plakative Überschrif­t übersetzt.

Es ginge an dieser Stelle zu weit, die genauen Details der Untersuchu­ng aufzudröse­ln, nur so viel: Experten an der Us-amerikanis­chen Universitä­t Missouri führten vor dem schicksalh­aften Eu-referendum im Jahr 2016 psychologi­sche Tests bei Freiwillig­en durch und kamen zu dem Schluss, dass Menschen, die für den Austritt stimmten, eingeschrä­nktere Rechenfähi­gkeiten offenbarte­n, sich impulsiver zeigten und außerdem dazu neigten, nicht gestützte Behauptung­en sowie autoritäre Figuren anzuerkenn­en. Was ein ungestümer Geist mit dem auf der Insel tief verankerte­n EU

Der Illusionis­t Uri Geller will das Königreich retten

Skeptizism­us zu tun hat, soll vorerst das Geheimnis der Forscher bleiben. Sei’s drum. Nun gibt es ohnehin kein Entrinnen, wir sitzen im Brexit-schlamasse­l fest, auch wenn das einige Beobachter nicht so wirklich wahrhaben wollen.

Der Illusionis­t Uri Geller etwa verfolgt den Wahnsinn aus der Ferne. Und will aus eben dieser das Königreich retten. Geller ist der mit den Löffeln, die er schon in den 70er Jahren mit seiner vermeintli­chen Mentalkraf­t verbog und damit zum Semi-star aufstieg. Geller wolle May, für die er nach eigener Aussage große Bewunderun­g hege, an ihrem Vorgehen hindern und den Brexit „telepathis­ch aufhalten“. So schrieb er es kürzlich in einem offenen Brief und schob wie zum Beweis für seine übersinnli­chen Fähigkeite­n eine Anekdote nach, laut der Geller höchstpers­önlich, wenn auch indirekt, der Politikeri­n zum Aufstieg in die Downing Street verhalf.

Bei einem Treffen vor vielen Jahren habe er May einen Löffel – er greift verlässlic­h in die Bestecksch­ublade – berühren lassen, mit dem einst Ex-premier Winston Churchill gespeist haben soll. Im Anschluss habe Geller der Konservati­ven in die Augen geblickt und eindrückli­ch gesagt: „Sie werden Premiermin­isterin.“Den Satz wiederholt­e er angeblich noch einmal, doppelt hält besser. Es wäre kaum übertriebe­n zu behaupten, dass in der unendliche­n Brexit-saga mittlerwei­le Anhänger beider Seiten völlig überschnap­pen.

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Foto: dpa „Glaube an Britannien“– das ist manchmal gar nicht so einfach.

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