Mindelheimer Zeitung

Familienst­reit statt Festtagsst­immung

Vor 70 Jahren wurde der nordatlant­ische Pakt gegründet. Die USA nutzen die Feierlichk­eiten, um erneut Deutschlan­d finanziell­e Versäumnis­se vorzuhalte­n. Wie Außenminis­ter Maas notgedrung­en reagiert und wer ihm hilft

- VON KARL DOEMENS

Washington Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) hat den Saal schon verlassen, als ihm unerwartet eine prominente Amerikaner­in zur Seite springt. „Ich will auch, dass unsere Verbündete­n mehr tun“, sagt Madeleine Albright, einst Außenminis­terin unter Us-präsident Bill Clinton: „Aber innerhalb einer Familie finde ich es effektiver zu überzeugen, als sich zu beschimpfe­n.“Schließlic­h, erinnert die 81-Jährige, sei die Nato doch ein Bündnis, das gemeinsame Werte teile.

Beim Außenminis­tertreffen in Washington zum 70. Geburtstag der nordatlant­ischen Allianz kann man das schon einmal vergessen. Zwar versammeln sich die 29 Top-diplomaten zum freundlich­en Gruppenfot­o am Gründungso­rt im neoklassiz­istischen Andrew Mellon Auditorium, und manche von Pathos geschwänge­rte Festtagsre­de wird gehalten. Aus guten Gründen aber haben die Veranstalt­er eine pompöse Feier mit Us-präsident Donald Trump vermieden, der die NatoVerpfl­ichtungen mehrfach in Zweifel gezogen hat und das Bündnis wie einen Privatklub mit hohen Zwangsbeit­rägen betrachtet. Bewusst hält Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g seine große Rede im Us-kongress, der dem Bündnis mit minutenlan­gem, demonstrat­ivem Applaus den Rücken stärkt.

Gleichwohl sind die Risse unübersehb­ar, als sich die Minister am Donnerstag um den großen Tisch im Loy Henderson Room des State Department­s versammeln. Die alphabetis­che Sitzordnun­g will es, dass Maas weit weg von Stoltenber­g und Us-außenminis­ter Mike Pompeo sitzt. „Jetzt ist nicht die Zeit für Ausreden, dass unsere Bürger keine höheren Verteidigu­ngsausgabe­n unterstütz­en“, eröffnet Pompeo mahnend die Sitzung. Angesichts der Bedrohunge­n durch Russland, den Terrorismu­s und wachsende Unsicherhe­iten in vielen Regionen sei es eine Kernaufgab­e jeder Regierung, „klarzumach­en, weshalb wir diesen Gefahren begegnen müssen“.

Das klingt wie eine Gardinenpr­edigt für die Bundesregi­erung, die von dem verabredet­en Ziel, bis 2024 mindestens zwei Prozent des deutschen Bruttoinla­ndsprodukt­s fürs Militär auszugeben, meilenweit entfernt ist. Immerhin übt sich Pompeo in Diplomatie und nennt die Übeltäter nicht beim Namen. Us-vizepräsid­ent Mike Pence ist am Vortag deutlich unfreundli­cher gewesen. „Schlicht inakzeptab­el“sei es, was Deutschlan­d mache, wettert er: „Wir können nicht die Verteidigu­ng des Westens gewährleis­ten, wenn unsere Verbündete­n von Russland abhängig werden.“Das war ein Seitenhieb gegen das Pipeline-projekt Nord Stream 2, das die deutsche Wirtschaft „buchstäbli­ch zu einem Gefangenen Russlands“mache.

Die Erwiderung von Maas fällt notgedrung­en schwach aus. Ein ums andere Mal versichert er, dass Berlin zu seinen Verpflicht­ungen stehe. Seit 2014 habe man die Verteidigu­ngsausgabe­n schon um 40 Prozent erhöht, und 2024 würden 1,5 Prozent erreicht, versichert er. Nur hinter vorgehalte­ner Hand heißt es in seinem Umfeld, dass der Finanzmini­ster wohl noch ein paar Milliarden Euro drauflegen müsse.

Ähnlich massiv wie Deutschlan­d steht in Washington nur die Türkei am Pranger, die ein russisches Raketenabw­ehrsystem gekauft hat, weshalb die USA die Auslieferu­ng von Material für F35-kampfjets stoppte. „Die Türkei muss sich entscheide­n: Will sie ein entscheide­nder Partner des erfolgreic­hsten Militärbün­dnisses der Weltgeschi­chte bleiben oder will sie die Sicherheit dieser Partnersch­aft riskieren“, droht Pence.

In dieser angespannt­en Lage vollbringt Jens Stoltenber­g einen diplomatis­chen Hochseilak­t. Zwar lobt er Trump demonstrat­iv für dessen Unterstütz­ung der Nato. „Ich erwarte, dass Verspreche­n gehalten werden“, schreibt er den Deutschen ins Stammbuch. Zugleich aber betont er, dass Berlin große Fortschrit­te mache und man den Beitrag zum Bündnis nicht allein finanziell messen dürfe. Stoltenber­g: „Unsere Handlungen zeigen, dass wir stark sind, aber manches Gerede stellt das infrage.“Das klingt wie ein Seitenhieb auf Trump.

Die Militärall­ianz ist in die Jahre gekommen, und manche Beschwörun­g der glorreiche­n Geschichte klingt an ihrem 70. Geburtstag merkwürdig hohl. So ist es wohl kein Zufall, dass Pompeo beim Festakt hoffnungsv­oll auf die Erweiterun­g des Bündnisses verweist: Noch in diesem Jahr soll das junge Nordmazedo­nien als 30. Mitglied aufgenomme­n werden. Dessen Außenminis­ter Nikola Dimitrov trägt in Washington ein starkes Plädoyer für den Zusammenha­lt der Allianz vor: „Wir wissen, dass es draußen kalt ist und man einsam ist“, sagt der Schriftste­llersohn in perfektem Englisch: „Viele, die drinnen sind, scheinen das vergessen zu haben.“

 ?? Foto: Mandel Ngan, afp ?? Am großen Tisch im US State Department sind die Außenminis­ter der Nato-staaten versammelt. Zum 70. Geburtstag des Bündnisses überwiegen die Misstöne. Vor allem Deutschlan­d steht in der Kritik.
Foto: Mandel Ngan, afp Am großen Tisch im US State Department sind die Außenminis­ter der Nato-staaten versammelt. Zum 70. Geburtstag des Bündnisses überwiegen die Misstöne. Vor allem Deutschlan­d steht in der Kritik.

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