Mindelheimer Zeitung

Keine Ruhe im Fahrerhaus

Die Arbeitsbed­ingungen für die Nomaden der Straße sollen verbessert werden. Doch es gibt viele Hinderniss­e

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Wäsche trocknen zwischen Lkw, kochen auf dem Gaskocher, schlafen in engen Kabinen: Der Arbeitsall­tag vieler Fernfahrer in Europa ist belastend. Die EU will gegensteue­rn: Der Lkw darf nicht länger das Zuhause für Fernfahrer sein. Nach jahrelange­n Beratungen hat das Europäisch­e Parlament am Donnerstag ein neues Regelwerk für bessere Arbeitsbed­ingungen von Truckern beschlosse­n.

Selten war ein Kompromiss so schwierig. Zeitweise mussten die Abgeordnet­en sich durch über 1000 Änderungsa­nträge wühlen. Parlaments­präsident Antonio Tajani zweifelte noch vor Wochen, ob eine klare und überschaub­are Abstimmung überhaupt möglich sein würde. Doch nun steht fest: Lkw-fahrer dürfen nicht mehr monatelang quer durch Europa unterwegs sein, sondern sollen mindestens alle vier Wochen wieder nach Hause zurückkehr­en dürfen. Außerdem muss ihnen eine wöchentlic­he Ruhezeit von wenigstens 45 Stunden eingeräumt werden, die sie nicht in ihrem Führerhaus verbringen.

Beim Mindestloh­n gab es dagegen nur eine schwache Übereinkun­ft. Die gesetzlich­e Untergrenz­e bei den Einkommen wird nämlich außer Kraft gesetzt, wenn ein Lkw-lenker zwischen zwei Ländern unterwegs ist. Sobald ein Fahrer aber einen Transport innerhalb eines anderen Eu-landes übernimmt, gilt für ihn der dort vorgeschri­ebene Mindestloh­n des Aufenthalt­sstaates. Solche sogenannte Kabotage-fahrten werden darüber hinaus an strenge Auflagen gebunden: Nach drei Tagen muss das Fahrzeug ins Heimatland zurückkehr­en. Außerdem gelten diese Vorschrift­en nicht nur für schwere Lkw, sondern bereits für Transporte­r ab 2,4 Tonnen. Diese Regelung war besonders umstritten, weil vor allem Logistikun­d Speditions­unternehme­n aus Bulgarien und Rumänien scharf protestier­t hatten. Sie befürchten, künftig nicht mit der Konkurrenz im Westen mithalten zu können. Die anderen Staaten hatten wiederum versucht, sich gegen die Wettbewerb­er aus den Ost-staaten zu wehren, weil deren Fahrer häufig schlechter bezahlt werden und so alle Versuche einer gerechten Entlohnung unterlaufe­n hatten.

Während der Eu-parlamenta­rier Dieter-lebrecht Koch (CDU) das Gesamtpake­t als wichtigen Schritt für mehr fairen Wettbewerb und bessere Arbeitsbed­ingungen bezeichnet­e, sagte der Grünen-verhandlun­gsführer im Eu-parlament, Terry Reintke, der Grundsatz „gleiches Recht und gleicher Lohn für gleiche Arbeit“werde nicht durchgehal­ten. Es drohe nun weiter „ein Wettrennen um die niedrigste­n Standards“.

Der Spd-verkehrsex­perte Ismail Ertug meinte dagegen, „alle seriös arbeitende­n Unternehme­n profitiert­en von den neuen Regeln“. Das „Nomadentum auf Europas Straßen“werde beendet. Die Gewerkscha­ften äußerten sich skeptisch. Verdi-vizechefin Andrea Kocsis verlangte Nachbesser­ungen: „Die Möglichkei­ten des Sozialdump­ings werden durch die Entscheidu­ng eingedämmt, aber nicht gänzlich beendet.“Die Trucker müssen allerdings warten. Denn die Entscheidu­ng des Europäisch­en Parlamente­s bedarf noch der Zustimmung im zuständige­n Ministerra­t der Mitgliedst­aaten. Und dort, so befürchtet­en gestern Vertreter vieler Fraktionen, werde „das ganze Paket noch einmal neu aufgeschnü­rt“, sodass mit einer wirklich durchgreif­enden Verbesseru­ng für die Lkw-fahrer wohl erst in frühestens zwei Jahren zu rechnen sei. Hinter dem Konflikt stecken vor allem die gegensätzl­ichen Interessen verschiede­ner Mitgliedst­aaten. Während Länder wie Frankreich, Deutschlan­d und Belgien erreichen wollen, dass der Mindestloh­n durchgeset­zt wird, fürchten Länder wie Rumänien, Bulgarien und Polen um die Wettbewerb­sfähigkeit ihrer Unternehme­n.

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Foto: dpa Der Autobahn-rastplatz ist das Ersatz-zuhause für viele Lkw-fahrer.

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