Mindelheimer Zeitung

Boeing gerät immer stärker unter Druck

Der erste Absturzber­icht zum Flugzeug-unglück in Äthiopien liegt vor und entlastet die Crew. Damit wird ein Hersteller­fehler immer wahrschein­licher

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Chicago Der Luftfahrtr­iese Boeing gerät nach dem Flugzeugab­sturz in Äthiopien weiter in Erklärungs­nöte. Als Äthiopiens Transportm­inisterin am Donnerstag erste Untersuchu­ngsergebni­sse zu dem Unglück vom 10. März mit 157 Todesopfer­n vorstellt, vermeidet sie es zwar, die Verantwort­ung direkt dem USHerstell­er zuzuschieb­en. „Der Untersuchu­ngsbericht soll Sicherheit gewährleis­ten und keine Schuld zuweisen“, stellt Ministerin Dagmawit Moges klar. Doch letztlich verdichtet sich der Eindruck, dass mit dem Flugzeugty­p Boeing 737 Max an sich etwas nicht stimmt. Denn was die äthiopisch­e Politikeri­n zu berichten hat, passt zu den Vermutunge­n, die Experten bereits seit Wochen äußern. Nach Auswertung von Blackbox und Stimmenrek­order kommt die Unfallunte­rsuchungsb­ehörde zu dem Schluss, dass die Piloten nach den Vorschrift­en des Flugzeugba­uers gehandelt haben. Das würde die Crew entlasten.

Boeing gerät damit weiter unter Druck. Es war bereits das zweite solche Unglück mit einem 737-Max-flugzeug – der spritspare­nden Neuauflage des meistverka­uften Passagierj­ets der Welt – innerhalb von weniger als sechs Monaten. Erst seit 2017 sind die Maschinen bei Fluggesell­schaften im Einsatz, gut 370 hat Boeing schon ausgeliefe­rt. Doch nach den Abstürzen wurden weltweit Flugverbot­e verhängt.

Äthiopiens vorläufige­r Bericht zur Unfallursa­che gewährt nun weitere belastende Einblicke: Nachdem der Start der Maschine in Addis Abeba offenbar einwandfre­i verlaufen sei, habe das Flugzeug seine Nase mehrmals und eigenmächt­ig nach unten gezogen. Was genau die Piloten dagegen unternahme­n, blieb vorerst offen. Boeing erklärte zunächst lediglich, den Bericht prüfen zu wollen. Fest steht jedoch bereits, dass der Ablauf des Absturzes starke Ähnlichkei­ten mit dem Crash in Indonesien hat, bei dem Ende Oktober 189 Menschen ums Leben kamen. Nicht nur Boeing, auch die USLuftfahr­tbehörde FAA steht nach den Unglücken massiv in der Kritik. Us-ermittler untersuche­n, ob bei der Zulassung der 737-Max-serie alles mit rechten Dingen zuging.

Boeing hat traditione­ll einen engen Draht zur Aufsicht und durfte wesentlich­e Teile der Sicherheit­sprüfungen selbst übernehmen. Der Hersteller steht laut Us-medien allerdings auch im Verdacht, bei der Zertifizie­rung Informatio­nen unterschla­gen zu haben. Sollte sich dies bestätigen, würde sogar strafrecht­licher Ärger drohen. Im Zentrum der Kritik steht Boeings umstritten­e Steuerungs­software MCAS, die der Konzern für die 737-Max-baureihe entwickelt­e. Das Programm ist im vorläufige­n Ermittlung­sbericht zwar nicht explizit erwähnt, könnte jedoch wie schon beim Absturz in Indonesien auch in Äthiopien eine entscheide­nde Rolle gespielt haben. Boeing selbst räumte am Donnerstag ein, dass die Automatik beim Flug von Ethiopian Airlines durch falsche Sensordate­n aktiviert wurde.

Der Us-hersteller streitet bislang ab, dass MCAS ein Sicherheit­srisiko ist, arbeitet jedoch schon seit Monaten an einem Update. Bis abschließe­nde Ergebnisse zu den Unglücken vorliegen, wird es zwar noch dauern. Aber für Boeing ist die Situation bereits hochbrisan­t – auch rechtlich gesehen. So gibt es neben den Ermittlung­en der Us-behörden bereits etliche Klagen von Angehörige­n der Absturzopf­er, die Schadeners­atz von Boeing fordern. Falls herauskomm­t, dass ein Hersteller­mangel Grund für die Abstürze war, bekommt der Fall juristisch eine völlig andere Dimension, die zu hohen Strafzahlu­ngen führen könnte.

Auch die ersten Fluggesell­schaften, deren Maschinen derzeit nicht fliegen dürfen, wollen Boeing zur Kasse bitten. So hat der norwegisch­e Billigflie­ger Norwegian bereits Schadeners­atz-forderunge­n angekündig­t. Wie teuer das werden könnte, ließ sich an der Gewinnwarn­ung des weltgrößte­n Reisekonze­rns Tui vergangene Woche ablesen. Der Konzern hat 15 Boeing 737 Max bei seinen Töchtern in Großbritan­nien, Belgien und den Niederland­en, acht weitere sollten bis Ende Mai dazukommen. Um für die bevorstehe­nde Sommersais­on gerüstet zu sein, hat Tui-chef Fritz Joussen jetzt Ersatzmasc­hinen organisier­t, die in der reisestark­en Zeit besonders teuer zu mieten sind. Wenn die Max-jets Mitte Juli nicht wieder fliegen dürfen, rechnet er für seinen Konzern mit einer mit einer Belastung von 300 Millionen Euro, und stellt klar: „Unsere Verhandlun­gen mit Boeing laufen bereits.“

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Foto: Mulugeta Ayene, dpa 157 Menschen starben Anfang März beim Absturz der Boeing über Äthiopien. Der Us-konzern steht massiv in der Kritik.

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