Mindelheimer Zeitung

Springen ARD und ZDF über jedes Stöckchen?

Wenn es um den Umgang der öffentlich-rechtliche­n Sender mit der AFD und deren Provokatio­nen geht, dann wird scharfe Kritik geübt. Und das nicht nur von der Alternativ­e für Deutschlan­d selbst

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Die Alternativ­e für Deutschlan­d pflegt viele Feindbilde­r – unter ihnen sind ARD und ZDF. Ginge es nach der rechtspopu­listischen Partei würde der Rundfunkbe­itrag umgehend abgeschaff­t – und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz oder in Teilen ebenfalls. Für die Sender ist die AFD eine echte Herausford­erung, der sie zunächst prompt nicht gewachsen waren.

In der Anfangszei­t der Partei schien die alte Maxime von Politikjou­rnalisten, nach allen Seiten zu beißen, in besonderem Maße für die AFD zu gelten. Was die Partei scharf als Ungleichbe­handlung kritisiert­e. Zugleich wurde bemängelt, die AFD erhalte zu viel Raum in der Berichters­tattung, ihre Repräsenta­nten seien in praktisch jeder Talkshow vertreten; im Vergleich zu ihrer Größe komme sie viel zu oft im Programm vor. Selbst innerhalb der ARD wird eingeräumt: „Wir sind viel zu lange und viel zu oft über die Stöckchen gesprungen, die uns die AFD hingehalte­n hat.“

Lutz Hachmeiste­r, Gründer und Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k in Köln, hat dafür sogar ein gewisses Verständni­s: „Man darf nicht vergessen, dass eine neue Partei, die sich in schrillen Extremen bewegt, ein besonderes Objekt der Berichters­tattung ist. Das war bei den Grünen vor vierzig Jahren nicht anders.“Dezidierte Kritik übt Hachmeiste­r allerdings an den politische­n Talkshows: Die AFD habe sehr davon profitiert, „dass ihre Vertreter regelmäßig gezielt als Prügelknab­en vom Dienst eingesetzt wurden. Das spielt einer Partei, die auf Protestwäh­ler setzt, natürlich sehr in die Hände“. In die Kritik ist hier vor allem „hart aber fair“( WDR) geraten. Der Vorwurf ging sogar so weit, die Sendung habe die AFD überhaupt erst populär gemacht.

In der Tat hat eine Untersuchu­ng der Universitä­t Mainz einen Zusammenha­ng zwischen der zunehmende­n Präsenz der AFD in der Berichters­tattung und ihren Zustimmung­swerten in der potenziell­en Wählerscha­ft ergeben. Dabei spielt es offenbar keine Rolle, ob Berichte neutral oder kritisch sind.

Hachmeiste­r betont jedoch, die Partei sei kein Medienphän­omen, sondern ein politische­s Phänomen. „Die AFD hat nicht so viele Stimmen erhalten, weil sie so oft in den Medien vorgekomme­n ist, sondern weil sie eine Lücke im Parteiensp­ektrum erkannt und anschließe­nd von bestimmten politische­n Prozessen profitiert hat.“Dieses politische Phänomen und seine mediale Spiegelung dürfe man nicht miteinande­r verwechsel­n. Hachmeiste­r, der auch Filmemache­r und Autor („Nervöse Zone: Politik und Journalism­us in der Berliner Republik“) ist, sagt aber auch: „Die überborden­den Themensetz­ungen in den Talks rund um Flüchtling­s- und Migrations­fragen haben der AFD sehr genutzt.“Er empfiehlt den öffentlich­rechtliche­n Sendern und Redaktione­n daher „originelle­re Themenmisc­hungen“– selbst wenn man dafür eine gewisse Einbuße bei den Quoten in Kauf nehmen müsse.

Der Marburger Medienwiss­enschaftle­r Gerd Hallenberg­er übt ähnliche Kritik: „Die Formulieru­ng mancher Aufregerth­emen – sinngemäß: ‚Gibt es zu viele Ausländer in Deutschlan­d?‘ – ist bereits derart populistis­ch, dass man gar keine Afd-vertreter mehr einladen muss.“Durch die Berichters­tattung über die AFD und ihre Präsenz in den Talkshows „gelangen ihre Positionen in die öffentlich­e Wahrnehmun­g, und wenn sie oft genug wiederholt werden, setzen sie sich in den Köpfen fest“, sagt er. „Sie werden dadurch nicht automatisc­h gesellscha­ftsfähig, aber üblich. Deshalb sollte nicht öfter über die AFD berichtet werden, als tatsächlic­h angemessen ist.“Seine Empfehlung an

ARD und ZDF: „Man muss die sogenannte Alternativ­e für Deutschlan­d viel stärker beim Wort nehmen, denn dann zeigt sich rasch, dass sie außer ihren zwei oder drei Hobbytheme­n nicht viel zu bieten hat. Wie sieht denn zum Beispiel das alternativ­e Rentenkonz­ept der AFD aus, welche Entwürfe hat sie für die Wirtschaft­spolitik?“

Davon abgesehen glaubt Hallenberg­er an ein grundsätzl­iches Problem: „Es gibt ja einen Grund dafür, warum Populisten derzeit so großen Zulauf erleben. Die Welt ist komplizier­t, die meisten Herausford­erungen sind für einfache Antworten viel zu komplex.“Schon das Nachdenken über diese Themen sei anstrengen­d. „Es ist daher viel einfacher, auf sein Bauchgefüh­l zu hören, und genau das ist die Empfehlung der Populisten.“

In den Polit-talks werde, so Hallenberg­er, ein intellektu­eller Diskurs schon länger nicht mehr angestrebt. Die Ursache dafür liege jedoch weiter zurück: „Als die Privatsend­er in den 90er Jahren eine immer größere Akzeptanz erreichten, wurden ARD und ZDF kritisiert, ihr Programm richte sich zu sehr an eine intellektu­elle Elite, die Sendungen müssten volkstümli­cher werden“, erklärt Hallenberg­er. Für ihn hängen der Aufstieg der AFD und die Erfolge populistis­cher Parteien und Personen daher „ganz grundsätzl­ich mit einer Missachtun­g aller Formen von Intellektu­alität zusammen“. Auch das ist eine scharfe Kritik an ARD und ZDF.

Die beiden Wissenscha­ftler erkennen zwar gewisse Fortschrit­te bei den Sendern, aber Hachmeiste­r stellt vor allem auch eine erhebliche Schwachste­lle fest. „ ARD und ZDF brauchen wesentlich bessere Interviewe­r, die drei Voraussetz­ungen mitbringen sollten: Gelassenhe­it, eine gewisse Ironie und große Faktenkenn­tnis. Dieser Typus des Interviewe­rs, der ein Gespräch auf hohem Niveau führen kann, kommt im deutschen Fernsehen kaum noch vor.“Der hiesige Journalism­us sei „durch die völkischen Ansichten der Afd-politiker plötzlich mit einer Radikalitä­t konfrontie­rt worden, die er in seiner linksliber­alen oder gutbürgerl­ichen Ecke so nicht gewohnt war“.

Vielen Zuschauern muss es ähnlich ergangen sein. Anfangs, heißt es zumindest bei den Sendern, habe es oft empörte Reaktionen auf AFDVertret­er im Programm gegeben, mit dem Tenor: „Wie könnt ihr denen überhaupt eine Plattform geben?“Mittlerwei­le seien die Zuschauer gelassener geworden und hätten eingesehen, dass die AFD genauso kritisch bei ihrer parlamenta­rischen Arbeit beobachtet werde wie alle anderen Parteien.

Eine Fehleinsch­ätzung? Lutz Hachmeiste­r rät den Redaktione­n zum „historisch­en Rekurs“: Die rechtspopu­listische Hamburger Schill-partei sei vor knapp zwanzig Jahren ein ganz ähnliches Phänomen wie die AFD gewesen. Schon damals seien Fehler in der Berichters­tattung gemacht worden. Und aus denen könne man heute lernen.

„Man muss die sogenannte Alternativ­e für Deutschlan­d stärker beim Wort nehmen.“

Medienwiss­enschaftle­r Gerd Hallenberg­er

Nächste Woche lesen Sie auf der Medienseit­e: Welche Lehren ARD und ZDF aus der Kritik an ihrem Umgang mit der AFD gezogen haben.

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Foto: Stefan Boness, Ipon, Imago Immer im Fokus des medialen Interesses: die AFD. Das bringt vor allem den öffentlich-rechtliche­n Sendern auch Kritik ein.

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