Springen ARD und ZDF über jedes Stöckchen?
Wenn es um den Umgang der öffentlich-rechtlichen Sender mit der AFD und deren Provokationen geht, dann wird scharfe Kritik geübt. Und das nicht nur von der Alternative für Deutschland selbst
Die Alternative für Deutschland pflegt viele Feindbilder – unter ihnen sind ARD und ZDF. Ginge es nach der rechtspopulistischen Partei würde der Rundfunkbeitrag umgehend abgeschafft – und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz oder in Teilen ebenfalls. Für die Sender ist die AFD eine echte Herausforderung, der sie zunächst prompt nicht gewachsen waren.
In der Anfangszeit der Partei schien die alte Maxime von Politikjournalisten, nach allen Seiten zu beißen, in besonderem Maße für die AFD zu gelten. Was die Partei scharf als Ungleichbehandlung kritisierte. Zugleich wurde bemängelt, die AFD erhalte zu viel Raum in der Berichterstattung, ihre Repräsentanten seien in praktisch jeder Talkshow vertreten; im Vergleich zu ihrer Größe komme sie viel zu oft im Programm vor. Selbst innerhalb der ARD wird eingeräumt: „Wir sind viel zu lange und viel zu oft über die Stöckchen gesprungen, die uns die AFD hingehalten hat.“
Lutz Hachmeister, Gründer und Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Köln, hat dafür sogar ein gewisses Verständnis: „Man darf nicht vergessen, dass eine neue Partei, die sich in schrillen Extremen bewegt, ein besonderes Objekt der Berichterstattung ist. Das war bei den Grünen vor vierzig Jahren nicht anders.“Dezidierte Kritik übt Hachmeister allerdings an den politischen Talkshows: Die AFD habe sehr davon profitiert, „dass ihre Vertreter regelmäßig gezielt als Prügelknaben vom Dienst eingesetzt wurden. Das spielt einer Partei, die auf Protestwähler setzt, natürlich sehr in die Hände“. In die Kritik ist hier vor allem „hart aber fair“( WDR) geraten. Der Vorwurf ging sogar so weit, die Sendung habe die AFD überhaupt erst populär gemacht.
In der Tat hat eine Untersuchung der Universität Mainz einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Präsenz der AFD in der Berichterstattung und ihren Zustimmungswerten in der potenziellen Wählerschaft ergeben. Dabei spielt es offenbar keine Rolle, ob Berichte neutral oder kritisch sind.
Hachmeister betont jedoch, die Partei sei kein Medienphänomen, sondern ein politisches Phänomen. „Die AFD hat nicht so viele Stimmen erhalten, weil sie so oft in den Medien vorgekommen ist, sondern weil sie eine Lücke im Parteienspektrum erkannt und anschließend von bestimmten politischen Prozessen profitiert hat.“Dieses politische Phänomen und seine mediale Spiegelung dürfe man nicht miteinander verwechseln. Hachmeister, der auch Filmemacher und Autor („Nervöse Zone: Politik und Journalismus in der Berliner Republik“) ist, sagt aber auch: „Die überbordenden Themensetzungen in den Talks rund um Flüchtlings- und Migrationsfragen haben der AFD sehr genutzt.“Er empfiehlt den öffentlichrechtlichen Sendern und Redaktionen daher „originellere Themenmischungen“– selbst wenn man dafür eine gewisse Einbuße bei den Quoten in Kauf nehmen müsse.
Der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger übt ähnliche Kritik: „Die Formulierung mancher Aufregerthemen – sinngemäß: ‚Gibt es zu viele Ausländer in Deutschland?‘ – ist bereits derart populistisch, dass man gar keine Afd-vertreter mehr einladen muss.“Durch die Berichterstattung über die AFD und ihre Präsenz in den Talkshows „gelangen ihre Positionen in die öffentliche Wahrnehmung, und wenn sie oft genug wiederholt werden, setzen sie sich in den Köpfen fest“, sagt er. „Sie werden dadurch nicht automatisch gesellschaftsfähig, aber üblich. Deshalb sollte nicht öfter über die AFD berichtet werden, als tatsächlich angemessen ist.“Seine Empfehlung an
ARD und ZDF: „Man muss die sogenannte Alternative für Deutschland viel stärker beim Wort nehmen, denn dann zeigt sich rasch, dass sie außer ihren zwei oder drei Hobbythemen nicht viel zu bieten hat. Wie sieht denn zum Beispiel das alternative Rentenkonzept der AFD aus, welche Entwürfe hat sie für die Wirtschaftspolitik?“
Davon abgesehen glaubt Hallenberger an ein grundsätzliches Problem: „Es gibt ja einen Grund dafür, warum Populisten derzeit so großen Zulauf erleben. Die Welt ist kompliziert, die meisten Herausforderungen sind für einfache Antworten viel zu komplex.“Schon das Nachdenken über diese Themen sei anstrengend. „Es ist daher viel einfacher, auf sein Bauchgefühl zu hören, und genau das ist die Empfehlung der Populisten.“
In den Polit-talks werde, so Hallenberger, ein intellektueller Diskurs schon länger nicht mehr angestrebt. Die Ursache dafür liege jedoch weiter zurück: „Als die Privatsender in den 90er Jahren eine immer größere Akzeptanz erreichten, wurden ARD und ZDF kritisiert, ihr Programm richte sich zu sehr an eine intellektuelle Elite, die Sendungen müssten volkstümlicher werden“, erklärt Hallenberger. Für ihn hängen der Aufstieg der AFD und die Erfolge populistischer Parteien und Personen daher „ganz grundsätzlich mit einer Missachtung aller Formen von Intellektualität zusammen“. Auch das ist eine scharfe Kritik an ARD und ZDF.
Die beiden Wissenschaftler erkennen zwar gewisse Fortschritte bei den Sendern, aber Hachmeister stellt vor allem auch eine erhebliche Schwachstelle fest. „ ARD und ZDF brauchen wesentlich bessere Interviewer, die drei Voraussetzungen mitbringen sollten: Gelassenheit, eine gewisse Ironie und große Faktenkenntnis. Dieser Typus des Interviewers, der ein Gespräch auf hohem Niveau führen kann, kommt im deutschen Fernsehen kaum noch vor.“Der hiesige Journalismus sei „durch die völkischen Ansichten der Afd-politiker plötzlich mit einer Radikalität konfrontiert worden, die er in seiner linksliberalen oder gutbürgerlichen Ecke so nicht gewohnt war“.
Vielen Zuschauern muss es ähnlich ergangen sein. Anfangs, heißt es zumindest bei den Sendern, habe es oft empörte Reaktionen auf AFDVertreter im Programm gegeben, mit dem Tenor: „Wie könnt ihr denen überhaupt eine Plattform geben?“Mittlerweile seien die Zuschauer gelassener geworden und hätten eingesehen, dass die AFD genauso kritisch bei ihrer parlamentarischen Arbeit beobachtet werde wie alle anderen Parteien.
Eine Fehleinschätzung? Lutz Hachmeister rät den Redaktionen zum „historischen Rekurs“: Die rechtspopulistische Hamburger Schill-partei sei vor knapp zwanzig Jahren ein ganz ähnliches Phänomen wie die AFD gewesen. Schon damals seien Fehler in der Berichterstattung gemacht worden. Und aus denen könne man heute lernen.
„Man muss die sogenannte Alternative für Deutschland stärker beim Wort nehmen.“
Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger
Nächste Woche lesen Sie auf der Medienseite: Welche Lehren ARD und ZDF aus der Kritik an ihrem Umgang mit der AFD gezogen haben.