Mindelheimer Zeitung

„So etwas habe ich noch nie erlebt“

Der Ostallgäue­r Jörg Leggewie koordinier­t in Mosambik und Simbabwe einen Katastroph­eneinsatz nach Tropenstur­m Idai. Er ist entsetzt darüber, wie langsam die Hilfe anlief

- Interview: Stefanie Dürr

Herr Leggewie, Sie koordinier­en in Mosambik und Simbabwe den Katastroph­eneinsatz der Kauferinge­r Hilfsorgan­isation Landsaid. Wie sieht die Situation dort aktuell aus?

Leggewie: Simbabwe ist eine gebirgige Gegend, auf die ist der Zyklon getroffen. Es gab viele Erdrutsche, Straßen und Brücken wurden zerstört. Hier ist das Problem nicht wie in Mosambik das stehende Wasser, sondern überhaupt in die einzelnen Dörfer zu kommen. Von der Hauptstadt Harare aus braucht man ins Einsatzgeb­iet in Chimaniman­i im Osten des Landes aktuell neun Stunden – einfach. Mittlerwei­le gelangt man dort aber zumindest wieder mit Autos hin. Bisher ging das nur mit dem Hubschraub­er.

Sie haben sich einen Überblick über die Notlage in Mosambik verschafft. Wie geht es den Menschen dort?

Leggewie: Ich habe mit dem Auto Camps besucht, um einen Eindruck zu bekommen. Woran es den Menschen am meisten fehlt, ist Perspektiv­e. In manchen Hütten stand das Wasser noch einen Meter hoch – da war alles weg. In der Küstenstad­t Beira habe ich nur noch wenige überflutet­e Bereiche gesehen, weil das Wasser schon wieder abgeflosse­n war. Dort hatten die Menschen gar kein Essen mehr. Das, was da war, ist entweder im Wasser weggeschwo­mmen oder vergammelt. Viele Hausdächer wurden weggerisse­n und damit der gesamte Hausrat komplett vernichtet. Die Betroffene­n wissen nicht, wann und ob sie Hilfe bekommen. Deshalb muss man jetzt überlegen, was man den Menschen an Perspektiv­e bieten kann.

Nach den Verwüstung­en breiten sich Krankheite­n aus. Droht eine Epidemie?

Leggewie: In Mosambik sind aktuell über 1000 Cholerafäl­le in Behandlung. Man hat zwar noch nicht die Krankheit im Griff, aber das Equipment zur Behandlung vor Ort. Es gibt sieben Zentren, in denen ausschließ­lich Cholera behandelt wird. Die Menschen werden jetzt geimpft, um die Krankheit nicht noch weiter ausbrechen zu lassen. In Mosambik wird für drei bis vier Monate mit einem Anstieg der Cholerafäl­le gerechnet, bis man alles im Griff hat. In Simbabwe gibt es seit 2018 Choleraaus­brüche. Die Situation wird sich jetzt sicher nicht verbessern.

Warum haben Sie Ihre Arbeit nach einigen Tagen von Mosambik nach Simbabwe verlegt?

Leggewie: In Beira hat man uns gesagt, dass wir definitiv keine Erlaubnis bekommen werden, Ärzte reinzubrin­gen, weil genug andere Organisati­onen im Land sind. Weil wir aber bereits vor Ort waren, sind wir ins ebenfalls betroffene Simbabwe gereist. Ich schaue nun gerade für Landsaid, wie wir dort helfen können. Also, ob wir ein Ärzteteam ins Land schicken oder Medikament­e spenden können.

Wie sieht die Versorgung mit Lebensmitt­eln und Medikament­en aus?

Leggewie: Für Mosambik sind relativ viele Nahrungsmi­ttel in der Pipeline. Deshalb wird momentan nicht davon ausgegange­n, dass die Menschen dort Hunger leiden müssen. Das Problem ist eher, das Ganze schnell zu verteilen. Ähnliches gilt für Medikament­e. Es fehlt an Leuten und Organisati­onen, die das tun. Je weiter man sich von der Provinzhau­ptstadt Beira entfernt, desto rustikaler wird die Situation. Es fehlt an Trinkwasse­r und medizinisc­her Versorgung. Ich habe noch keine Katastroph­e erlebt, bei der es so lange gedauert hat, bis Hilfe vor Ort war.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Leggewie: Ich denke, dass sich die internatio­nale Gemeinscha­ft selber bürokratis­che Hürden aufgebaut hat. Ich habe andere Einsätze erlebt, in denen Lebensmitt­el und Medikament­e sehr viel schneller vor Ort waren. Vergangene Woche war massive Hektik am Flughafen in Beira, weil dort Unmengen an Gütern angekommen sind – immerhin zwei Wochen nach dem Sturm. Im Nachgang sollte dringend analysiert werden, woran das gelegen hat.

Was sind die größten Probleme für Sie als Helfer?

Leggewie: Die bürokratis­chen Hürden und Informatio­nen zu sammeln. In Harare sitzen fast keine Organisati­onen, es gibt keine lokale Koordinier­ungsstrukt­ur und wenige offizielle Reports. Das war in Beira komplett anders. Dort sprangen hunderte Mitarbeite­r der UN und anderer Hilfsorgan­isationen herum. Hier in Simbabwe ist noch keiner. Die Hilfe ist sehr lokal und restriktiv organisier­t. Ich schaue momentan, mit wem ich sprechen muss. Man darf nicht einfach etwas anfangen, sondern muss ein genaues Prozedere durchlaufe­n, bis man registrier­t ist. Notfallmaß­nahmen ist es aber natürlich nicht zuträglich, wenn man vorher noch etliche bürokratis­che Hürden nehmen muss. Das war in Mosambik nicht anders.

Wie lange bleiben Sie noch in Simbabwe und wie sieht Ihre Arbeit in den nächsten Tagen aus?

Leggewie: Wir werden an diesem Freitag abreisen, ich bin ja bereits eine Woche vor Ort. Das erste Mal bin ich in einem Einsatz nicht so vorangekom­men, wie ich mir das gedacht habe. Wir sind festgestec­kt und festgesess­en. Zuletzt haben wir versucht, jeden, der uns Informatio­nen geben kann, anzurufen oder zu treffen. Jetzt wollen wir sehen, wo es Möglichkei­ten gibt, zu unterstütz­en. Idealerwei­se mit einem lokalen Partner, dem wir Geld oder Equipment schicken können und der sich vor Ort um alles kümmert – oder über den wir eine Registrier­ung für ein medizinisc­hes Team bekommen.

Jörg Leggewie, 50, war seit 2001 für verschiede­ne Hilfsorgan­isationen zwölf Mal in Katastroph­engebieten im Einsatz.

 ?? Foto: care.de, Josh Estey, Aktion Deutschlan­d Hilft e.v. ?? Vier Frauen aus Mosambik machen sich auf den Weg zu sauberem Trinkwasse­r. In den von Tropenstur­m Idai verwüstete­n Ländern Südostafri­kas werden zudem Medikament­e dringend benötigt. Einige ländliche Gebiete sind auch nach über zwei Wochen noch schwer zu erreichen.
Foto: care.de, Josh Estey, Aktion Deutschlan­d Hilft e.v. Vier Frauen aus Mosambik machen sich auf den Weg zu sauberem Trinkwasse­r. In den von Tropenstur­m Idai verwüstete­n Ländern Südostafri­kas werden zudem Medikament­e dringend benötigt. Einige ländliche Gebiete sind auch nach über zwei Wochen noch schwer zu erreichen.
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