Lehrer müssen Erste Hilfe können
Sören Z. kippt im Sportunterricht um. Minutenlang bekommt er keinen Sauerstoff. Ist die Lehrerin schuld?
Karlsruhe Sören Z. stand kurz vor dem Abitur und hatte große Pläne. Bis zu jenem Nachmittag am 13. Januar 2013. Fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings im Sportunterricht hört der 18-Jährige mit dem Laufen auf. Der Gymnasiast aus Wiesbaden hat Kopfschmerzen. Er sackt an der Wand zusammen, ist nicht mehr ansprechbar. Die Lehrerin alarmiert den Notarzt. Doch bis der kommt, vergeht wertvolle Zeit. Acht Minuten Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation, heißt es später im Klinikbericht. Obwohl der Schüler blau anläuft. Er erleidet schwerste Hirnschäden durch Sauerstoffmangel. Hätte das Schicksal des Jungen verhindert werden können?
Der Bundesgerichtshof (BGH) betonte am Donnerstag die Pflicht eines Sportlehrers, rechtzeitig Erste Hilfe zu leisten – und hob ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf. Die höchsten deutschen Zivilrichter eröffnen dem jungen Mann damit eine Chance auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.
„Es ist eine tragische Sache.“So leitet Richter Ulrich Herrmann vor zwei Wochen die Bgh-verhandlung ein. Auf der einen Seite sitzen ihm Vertreter des hessischen Kultusministeriums gegenüber, auf der anderen Seite der Vater des Jungen. Er ringt sichtlich um Fassung, als die entscheidenden Minuten vor dem höchsten deutschen Zivilgericht rekapituliert werden. „Das hätte so nicht sein müssen, wenn entsprechend Hilfe geleistet worden wäre. Keiner hat ihm geholfen“, sagt der Vater danach.
Sein heute 24-jähriger Sohn hat das Land Hessen wegen unzureichender Erste-hilfe-maßnahmen verklagt. Er fordert mindestens 500 000 Euro Schmerzensgeld, gut 100 000 Euro für die Erstattung materieller Schäden, eine monatliche Mehrbedarfsrente von etwa 3000 Euro sowie die Feststellung, dass Hessen auch für künftige Kosten aufkommen soll. Die Familie klagt, damit so etwas nie mehr in einer Schule passiert, sagt der Vater. Und: „Wir wollen, dass unser Sohn versorgt ist, wenn wir nicht mehr sind.“
Vor dem Landgericht Wiesbaden und dem Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) war die Klage erfolglos geblieben. Begründung: Es sei nicht sicher, ob sich mögliche Fehler der Lehrer bei der Ersten Hilfe kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt hätten. Ein Sachverständiger wurde nicht hinzugezogen.
Das rügt nun der BGH. Das OLG muss in neuer Verhandlung mithilfe eines Gutachters klären, ob eine Amtspflichtverletzung ursächlich für die Behinderung war. Nur wenn ein Zusammenhang zwischen unterlassener Reanimation und der Behinderung bewiesen wird, hat Sören Z. Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld durch das Land Hessen.
Sören Z. hatte Biochemie studieren wollen. Nun ist er zu 100 Prozent schwerbehindert und muss rund um die Uhr von seiner Familie betreut werden. Der 24-Jährige kann sprechen, ihm steht ein Sonderschullehrer zur Seite und er hat in der Reha Fortschritte gemacht. Doch niemand weiß, wie weit die noch gehen, sagt sein Vater. Der Vater hofft auf ein Olg-urteil zugunsten des Sohnes. Dann stehen ihm ganz andere Hilfen zur Verfügung, sagt er.