Mindelheimer Zeitung

Theresa May scheint endlich verstanden zu haben

Der Zeitpunkt für den EU-Austritt Großbritan­niens ist zweitrangi­g, solange es zu keiner ungeregelt­en Lösung kommt

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

Theresa May wird nicht auf Freundlich­keiten und ein Entgegenko­mmen hoffen dürfen, wenn sie am Mittwoch zum nächsten Brexit-Gipfeltref­fen nach Brüssel kommt. Es gibt kaum einen ihrer Amtskolleg­en, der ihr nicht vorhält, erst jetzt das zu tun, was jeder andere wohl längst getan hätte: sich mit der Opposition an einen Tisch zu setzen und so etwas wie eine Art nationalen Konsens herzustell­en.

Dennoch hat man in Brüssel die Emotionen der Verärgerun­g und der abweisende­n Kühle in den Hintergrun­d gestellt. Denn auch in der EU weiß man: Es ist nicht wichtig, wann der Brexit kommt, Hauptsache, es wird kein ungeregelt­er Austritt. Zwar pocht die Union weiter auf den Deal, der ja auch Mays Unterschri­ft trägt. Aber der Zeitpunkt für einen Brexit ist bestenfall­s

zweitrangi­g, wenn dieser Prozess der Ablösung nur auf guten Füßen stehen würde.

In den vergangene­n Wochen hat die Krisenarbe­itsgruppe der Kommission zwar ständig neu klargemach­t, was die Gemeinscha­ft bereits alles an vorausscha­uenden Schritten unternomme­n hat, um ein Chaos zu bändigen: Die EU verzichtet auf Visa für Reisende aus dem Vereinigte­n Königreich. Züge, Flieger und Lkw können befristete Zertifikat­e nutzen, um noch neun Monate lang den Verkehr aufrechtzu­erhalten. Doch immer wieder stellen die Experten eben auch Lücken fest – beispielsw­eise bei der Belieferun­g des europäisch­en Marktes mit Medizinpro­dukten britischer Hersteller.

Nein, es ist noch nicht alles gut vorbereite­t. Und es sollte auch niemand den Eindruck erwecken, dass ein Brexit ohne Deal letztlich nur ein Spaziergan­g ist, bei dem die Bewohner auf der Insel anschließe­nd die Rechnung zahlen. Kanzlerin Angela Merkel hatte deshalb recht, als sie beim jüngsten Spitzentre­ffen sagte, die EU werde bis zum letzten Tag um 23 Uhr alles versuchen, um eine Einigung hinzubekom­men.

Nun sieht es endlich so aus, als ob auch May verstanden hat, dass eine für ihr Land vertretbar­e Lösung nicht allein mit innerparte­ilichen Taktikspie­lchen zu erreichen ist. Das hat zwar mehr als zwei Jahre gedauert. Aber bei einem derart historisch­en Schnitt darf der Zeitpunkt des Vollzugs zweitrangi­g sein, wenn das Ergebnis akzeptabel ist. Allerdings dürften die Staatsund Regierungs­chefs ihre britische Kollegin auch drängen. Keiner will, dass die Briten noch an der Europawahl teilnehmen. Abgesehen von der Tatsache, dass man den Sinn einer solchen Aktion weder der britischen noch der europäisch­en Bevölkerun­g klarmachen könnte, möchte die Gemeinscha­ft jeden weiteren Einfluss Londons auf die EU-Politik vermeiden. Die Vorstellun­g, dass britische Abgeordnet­e einen Kommission­spräsident­en wählen und über das Budget der Gemeinscha­ft für die nächsten sieben Jahre mitbestimm­en, ist grotesk. Sie wird wohl nur von der Möglichkei­t übertroffe­n, dass britische Europaparl­amentarier am Ende über ein Freihandel­sabkommen der EU mit einem Partner entscheide­n, mit dem Großbritan­nien wenige Monate später eigene Verhandlun­gen aufnimmt.

Der Brexit hat, schon bevor er in Kraft getreten ist, viel Glaubwürdi­gkeit gekostet. Die EU sollte deshalb alles daransetze­n, dass Großbritan­nien bei der Europawahl außen vor bleibt. In Brüssel lässt sich ein Stimmungsw­andel ausmachen. Neben dem fast schon inständige­n Wunsch, dass dieses Kapitel endlich abgeschlos­sen werden kann, tritt mehr und mehr das Bedürfnis, endlich wieder über europäisch­e Politik zu sprechen. Der Wahlkampf, das Ringen über die EU von morgen, soll beginnen können ohne den britischen Klotz am Bein. Bringt die nächste Woche eine Erlösung?

Der Brexit hat viel Glaubwürdi­gkeit gekostet

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