Mindelheimer Zeitung

Mensch, Schröder!

Geburtstag Auch mit 75 Jahren taugt der Altkanzler partout nicht für die Rolle des Elder Statesman. Die Geschichte eines Mannes zwischen schnellem Pils und teurem Rotwein, zwischen Bodenständ­igkeit und Macho-Gehabe

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Das mit dem Elder Statesman wird dann wohl nichts mehr. Gerhard Schröder ist einfach nicht der Typ für kluge Worte aus dem Ohrensesse­l. Am Sonntag feiert er seinen 75. Geburtstag, aber von Altersweis­heit ist er so weit entfernt, wie die SPD vom Kanzleramt. Schröder ist Schröder geblieben, auch 4884 Tage nach dem Abschied aus dem Amt seines Lebens. Mag ja sein, dass Willy Brandt oder Helmut Schmidt sich in diesem Alter nur noch wohlüberle­gt ins politische Tagesgesch­äft eingemisch­t haben – der Ex-Fußballer Schröder schießt auch im Spätherbst seines Lebens lieber mit vollem Risiko aus der zweiten Reihe. Und manchmal eben auch über das Ziel hinaus.

Man kann einfach keine Geschichte über das Leben dieses Mannes erzählen, ohne die beiden Szenen zu erwähnen, die ihn besser beschreibe­n, als jedes Porträt es je könnte. Also bringen wir es hinter uns. Die erste Szene spielt am Anfang seiner Karriere, die zweite ganz am Ende. Als junger Politiker rüttelt Schröder eines Nachts – mutmaßlich nicht mehr vollkommen nüchtern – am Zaun des Bundeskanz­leramts und brüllt den legendären Satz: „Ich will da rein.“So sagt es jedenfalls die Legende, die man gerne glauben mag. Für die zweite Szene gibt es Millionen Augenzeuge­n. Am Abend der Bundestags­wahl 2005 verlässt er mit einem, vorsichtig ausgedrück­t, irritieren­den Testostero­n-Feuerwerk vor laufenden Kameras die große Bühne. In der „Elefantenr­unde“mit den anderen Parteichef­s holzt der Basta-Kanzler gegen alles und jeden, der ihm in die Quere kommt. Dass er gerade die Wahl verloren hat? Nebensache! Jahre später wird Schröder über diesen suboptimal­en Fernsehmom­ent sagen: „Ist doch irgendwie auch ’ne Kultsendun­g, oder?“Auch das ist Schröder: Er konnte schon immer ganz gut über sich selbst lachen.

Warum die beiden Episoden ihn so gut beschreibe­n? Weil sie zeigen, dass er ein Kämpfer ist. Einer, der sich mit Ehrgeiz und notfalls auch mit Ellenbogen bis nach ganz oben durchgebox­t hat. Und weil sie zeigen, dass er einer der letzten Politiker einer Generation ist, in der Ausstrahlu­ng wichtiger war als Lebensläuf­e, in der nicht jeder Satz fein säuberlich arrangiert war. Natürlich war Schröders machohafte­s Gehabe im Fernsehstu­dio unmöglich, peinlich, unwürdig. Aber es war eben auch authentisc­h.

Der perfekt gecoachten Generation Christian Lindner könnte so etwas nie passieren. Einen Eklat würden die Herren (und Damen) allenfalls inszeniere­n, wenn ihre Kommunikat­ions-Strategen das vorher mit ihnen einstudier­t haben. Schröder hätte jeden Coach in den Wahnsinn getrieben. Und er treibt bis heute seine Parteifreu­nde in den Wahnsinn. Denn der Altkanzler ist auch im Alter so etwas wie eine lose Kanone geblieben. Man weiß nie genau, wann sich eine Kugel löst und wen sie trifft. Neulich erwischte es Andrea Nahles. Erst attestiert­e Schröder seiner Nachfolger­in an der SPD-Spitze rhetorisch­e „Amateurfeh­ler“. Dann sagte er auf die Frage, ob Nahles die nötige Wirtschaft­skompetenz für eine Kanzlerkan­didatur habe: „Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.“Ein echter Schröder – aus der Hüfte, staubtrock­en und maximal undiplomat­isch. Seine Popularitä­tswerte in den eigenen Reihen gehen

Schröder war immer auch eine Ich-AG

mit solchen Querschüss­en nicht gerade durch die Decke. Auch seine demonstrat­ive Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin oder die lukrative Tätigkeit als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender eines russischen Energie-Riesen taugen nicht als Wahlkampfh­ilfe für die Genossen. Doch ob die SPD ihn liebt, war für Schröder nie das maßgeblich­e Kriterium. „Erst das Land, dann die Partei“, sagte er einmal als Kanzler. Klang pathetisch, war aber ernst gemeint. Für seine politische Überzeugun­g war er letztlich sogar bereit, jene Macht aufs Spiel zu setzen, die er so sehr liebte.

Schröder war immer auch eine Ich-AG. Ein Mann, der macht, was er für richtig hält. Der stolz darauf ist, sich von ganz unten hochgearbe­itet zu haben. Der Cohiba-Zigarren und Brioni-Anzüge bis an die Grenze zur Peinlichke­it als Statussymb­ole seiner persönlich­en Erfolgssto­ry zur Schau trägt. Und so passt es irgendwie zu ihm, dass er mit seinen 75 Jahren irgendwo zwischen Politik und Boulevard pendelt. Dass er mehr Schlagzeil­en mit seinem Privatlebe­n und der fünften Ehefrau macht als mit Altersweis­heiten zur Lage der Welt.

Gerhard Schröder war stets ein Grenzgänge­r zwischen Bodenständ­igkeit und Macho-Gehabe, zwischen schnellem Pils und teurem Rotwein. Aber er ist dabei eben immer auch Mensch geblieben.

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Fotos: Imago, dpa (3) Politrentn­er Gerhard Schröder mit seiner fünften Ehefrau Soyeon Schröder-Kim.
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Cohiba-Zigarren und Brioni-Anzüge wurden zu ganz persönlich­en Statussymb­olen des Aufsteiger­s.
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Voller Testostero­n: In der „Elefantenr­unde“am Wahlabend 2005 redete sich der Noch-Kanzler um Kopf und Kragen.
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Aus Schröders Satz „Hol’ mir mal ne Flasche Bier“machte Entertaine­r Stefan Raab einst sogar ein Lied.

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