Mindelheimer Zeitung

Die Trickserei mit den Abgastests wird teuer

Fahrzeugba­uer Für die deutschen Autobauer kommt es knüppeldic­k: Brüssel wirft ihnen illegale Absprachen vor und droht mit einer Milliarden­strafe. Warum VW und Daimler verschont werden könnten

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Vorgang ist einzigarti­g: Autobauer und andere Unternehme­n dürften zwar zusammenar­beiten, um „die Qualität ihrer Produkte zu verbessern“, erklärte EUWettbewe­rbskommiss­arin Margrethe Vestager am Freitag. Doch die Hersteller BMW, Mercedes, Volkswagen, Audi und Porsche taten etwas ganz anderes: Sie trafen nämlich nach den bisherigen Kenntnisse­n der Brüsseler Kommission „Absprachen, die genau das Gegenteil bewirken sollten, nämlich ihre Produkte nicht zu verbessern und bei der Qualität nicht miteinande­r in Wettbewerb zu treten.“Nach der „vorläufige­n Auffassung“der Kommission haben sich Vertreter der fünf Konzerne zwischen 2006 und 2014 getroffen, um die Abgasreini­gung bei den sogenannte­n SCR-Filtern für Dieselfahr­zeuge zu begrenzen. Zwischen 2009 und 2014 vereinbart­en die Ingenieure, auch bei Benzin-Fahrzeugen mit Direkteins­pritzung den Ausstoß der Feinstaub-Partikel nicht so zu verringern wie sie dies dem Käufer versprache­n. Vestager: „Das Verhalten der Automobilh­ersteller zielte darauf ab, den Innovation­swettbewer­b bei diesen beiden Abgasreini­gungssyste­men einzuschrä­nken und den Verbrauche­rn somit die Möglichkei­t zu verwehren, umweltfreu­ndlichere Fahrzeuge zu kaufen, obwohl die Hersteller über die entspreche­nde Technologi­e verfügten.“

Was ist passiert? Deutsche Medien waren den Tricksern auf die Spur gekommen und hatten aus bis dahin unveröffen­tlichten Unterlagen zitiert. Demnach gab es seit 2007 regelmäßig­e und geheime Treffen der Diesel-Experten und Motoren-Entwickler. Ihre Aufgabe: Den Selbstzünd­er sauberer machen. Doch die Idee, die Abgase durch ein Harnstoffg­emisch mit der Bezeichnun­g Adblue zu reinigen, funktionie­rte nicht. Denn um die gesetzlich vorgeschri­ebenen Grenzwerte zu erreichen, hätten die Fahrzeuge bis zu 8,5 Liter Adblue auf 1000 Kilometern benötigt. Dann aber gab es andere Probleme: Die Motoren soffen ab. Das „Handelsbla­tt“zitiert aus der Mail eines Audi-Managers von 2008: „Meine Einschätzu­ng: Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen.“So kamen die Trickser überein, den Einsatz von Adblue zu begrenzen, was die Emissionen zwar erhöhte, aber die Fahrzeuge wenigstens weiter fahren ließ. Man verständig­te sich quer über alle Konzerngre­nzen hinweg auf viel zu kleine Tanks für das Harnstoffg­emisch – und auf eine Software, die erkannte, ob das Fahrzeug auf der Straße unterwegs war oder auf einem Rollenprüf­stand. Dann wurde mehr Adblue in den Motor gepumpt und die Emissionen sanken auf die gültigen Grenzwerte. Aber eben nur dort. Ähnliche Absprachen gab es nach Angaben der Kommission dann auch bei den Partikelfi­ltern für Otto-Motoren. Dort sollen die Konzerne ihre Vorgehensw­eise koordinier­t haben, um die Einführung der Filter in neuen Modellen „zu vermeiden oder zumindest zu verzögern.“

Am Freitag informiert­e die Brüsseler Behörde die Hersteller, die nun zunächst einige Monate Zeit haben, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Dann könnte Brüssel zu Strafzahlu­ngen greifen, die bis zu zehn Prozent des weltweiten Umsatzes in den betroffene­n Jahren betragen kann – abgesehen von Volkswagen und Daimler, die sich nach Bekanntwer­den der Vorwürfe direkt in Brüssel gemeldet und Zusammenar­beit versproche­n hatten, würden auf die anderen drei Milliarden­zahlungen zukommen. VW und Daimler könnten in den Genuss reduzierte­r Zahlungen als Kronzeugen kommen.

Man habe Kenntnis über den Erlass der Beschwerde­punkte und warte auf die förmliche Zustellung, hieß es von Daimler. Darüber hinaus äußere man sich nicht, da es sich um ein laufendes Verfahren handele. Volkswagen kündigte an, die Beschwerde zu prüfen. Erst nach Auswertung der Untersuchu­ngsakte werde man sich äußern, teilte der Konzern mit. Nach VW-Einschätzu­ng erkennt die Kommission „grundsätzl­ich an, dass Kooperatio­nen zwischen Hersteller­n zu technische­n Fragen in der Automobili­ndustrie weltweit üblich sind.“

Mögliche Verstöße gegen Umweltvors­chriften seien nicht Teil des Verfahrens, hieß es von der EUKommissi­on. In Brüssel war am Freitag trotzdem vom wohl größten Verfahren gegen die Kfz-Branche die Rede, nachdem die Kommission in den vergangene­n Jahren schon etliche unerlaubte Preisabspr­achen bei Zulieferer­n aufgedeckt hatte. Ob Standheizu­ng, Anlasser, Beleuchtun­g, Bremssyste­me, Zündkerzen oder Sitze – überall fanden die Ermittler der EU verbotene Kartelle zum Nachteil des Wettbewerb­s und vor allem der Kunden. Denn die, so betonte Vestager auch am Freitag wieder, hätten ja geglaubt, in „gute und funktionie­rende Abgasreini­gung zu investiere­n.“Sie wurden offenbar getäuscht.

 ?? Fotos: Monika Skolimowsk­a, Uli Deck, dpa ?? VW, BMW und Daimler sollen jahrelang illegale Absprachen zu Technologi­en der Abgasreini­gung getroffen haben. VW und Daimler kooperiere­n mit den Behörden, BMW weist die Vorwürfe zurück.
Fotos: Monika Skolimowsk­a, Uli Deck, dpa VW, BMW und Daimler sollen jahrelang illegale Absprachen zu Technologi­en der Abgasreini­gung getroffen haben. VW und Daimler kooperiere­n mit den Behörden, BMW weist die Vorwürfe zurück.
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