Mindelheimer Zeitung

Schöne neue Künstlerwe­lt?

Serie Gerade wird viel über den Menschen und die Rechte an seinen Werken gestritten. Neueste Meldungen aus der digitalen Welt zeigen, dass auch schon Algorithme­n überzeugen­d Musik, Literatur und Gemälde schaffen können

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Bereits vor Monaten sorgte die Meldung für Furore, dass inzwischen schon von Roboter geschaffen­e Gemälde zu ziemlich hohen Preisen auf dem Kunstmarkt versteiger­t worden sind. Nur dem Spleen von Sammlern geschuldet? Oder ein Signal, dass das, was doch den Menschen angeblich wesentlich mit ausmacht, in absehbarer Zeit von Algorithme­n übernommen werden könnte? Kunst als Ausdruck menschlich­er Freiheit, als Reflexion des menschlich­en Seins, als Brücke vom Allzu-Menschlich­en ins ÜberMensch­liche?

Zwei neue Meldungen können da für die Zukunft noch nachdenkli­cher stimmen. Und sie treffen ja mitten hinein in eine Phase, in der ohnehin hitzig über die Rechte der Urheber gestritten wird. Da hatte etwa der Element-of-Crime-Sänger Sven Regener mal gewütet, wer nicht bereit sei, für Kunst auch zu zahlen, der solle dann eben auch nur seelen- und hirnlose Werke aus der maschinell­en Retorte bekommen. Wenn diese Kunst aber nun gar nicht mehr so platt wäre, wie es bislang in der Musik etwa Gema-freies Material war? Wenn die wachsenden Fähigkeite­n der künstliche­n Intelligen­z den nicht mehr vom Menschlich­en zu unterschei­denden künstliche­n Künstler ermögliche­n würden?

Die erste aktuelle Meldung weist in diese Richtung. Da berichtete nämlich die Dichterin Ulla Hahn von einem für sie alarmieren­den Erlebnis. Sie bekam von einem Kollegen per Mail ein Gedicht zugeschick­t mit der Frage, was sie denn davon halte. Es hieß „Sonnenblic­ke auf der Flucht“– und Hahn befand: „Na ja… Ich kenne ähnliche Texte, die sich um Sinnaufbau durch Sinnabbau bemühen zur Genüge.“Aber: „Am nächsten Morgen dann die nächste Mail: ein Schock.“Denn das Gedicht war praktisch von einer Maschine geschriebe­n. Diese hatte sich, als Projekt einer Wiener Digitalkre­ativagentu­r, durch eine Programmie­rsprache die gesamte Lyrik von Goethe und Schiller einverleib­t – und sich dann nicht einfach nur an einem Werk versucht. „Sonnenblic­ke auf der Flucht“war auch beim Gedichtwet­tbewerb der BrentanoGe­sellschaft eingereich­t worden – und hatte es bis in deren Anthologie geschafft. Also in das Buch, das von der Jury mit ausgewählt­en und für gelungen befundenen Beiträgen herausgege­ben wird.

Es wird nicht überrasche­n, dass sich Ulla Hahn daraufhin vor gewichtige Fragen gestellt sah. Ist ein Künstler künftig noch notwendig? Spielen die Menschen als Schöpfer noch eine Rolle? Und wenn ja, welche? An deren Ende stand für sie die Erkenntnis: „Noch haben wir – hoffe ich – unsere KI-Geschichte in der eigenen, der menschlich­en Hand.“Und wer die Kunst an der technische­n Machbarkei­t ausrichtet als eine verrechnet­e Vernunftle­istung, der vergeht sich an ihrer auch körperlich­en und vor allem existenzie­llen Dimension. Das dürfe also nicht vom Ergebnis her gedacht werden. Darum möchte Hahn „auf jeden Fall das Recht haben, zu wissen, mit wem ich es zu tun habe, ob am Telefon, am Bildschirm oder auf Papier: mit Mensch oder Maschine.“Was dem Künstler wichtig ist, könnte dem Markt und somit dem Käufer aber egal sein…

In diese Richtung weist die zweite neue Meldung. Demnach hat der Musik-Riese Warner, bei dem etwa Ed Sheeran und Madonna unter Vertrag stehen, kürzlich einen neuen Künstler unter Vertrag genommen. Der heißt Endel, ist eine künstliche Intelligen­z und von einem Berliner Start-up entwickelt worden. Für ganze 20 Platten wurde unterschri­eben, fünf davon sind bereits erschienen mit Titeln wie „One Starry Skies“oder „Three Graystreak­ed“– neue, auf eine programmie­rte Stimmung hin komponiert­e Musik. Fürs Erste: Musik zum Wegträumen und Einschlafe­n. Die nächsten Werke aber sollen auch aktivieren­d, entspannen­d und Konzentrat­ion fördernd wirken.

Die Geschäftsi­dee von Endel reicht indes noch viel weiter. Denn wer das Programm als App kauft, kann sich sogar ganz individuel­le Stücke für seine Stimmung schaffen lassen. Je mehr eigene Daten der Nutzer zur Verfügung stellt, desto passender soll das möglich sein. Am besten also die Playlisten und damit den Geschmack lesbar machen, dazu den Standort und damit Uhrzeit und Wetter – und am besten auch noch die Körperwert­e, weil so berechnet werden könnte, was der Kunde denn genau jetzt wirklich brauchen und mögen könnte.

Wer das nun nicht als Konkurrenz zu Musik von echten Künstlern sehen will, weil dabei ja gerade die Person, der Mensch hinter der Musik für die Fans eine Rolle spielt, sollte Hatsune Miku kennenlern­en. Die ist ein künstliche­s Geschöpf, mit computerge­nerierter Stimme, zu Konzerten in 3D auf die Bühne projiziert. Denn ja: Die Konzerte gibt es, sie sind ausverkauf­t und umjubelt – in Japan ist Hatsune Miku längst ein Popstar…

Schöne neue Künstlerwe­lt? Müssen Menschen, siehe Ulla Hahn, künftig also noch viel mehr in „Social Media“als echte Existenzen greifbar werden? Klar scheint nur: Die Herausford­erungen an den Menschen als Künstler werden wachsen. Und damit auch der Rechtferti­gungsdruck, wenn die Menschen für ihre Werke angemessen bezahlt sein wollen. Im Wettbewerb mit seriell und individuel­l schaffende­n Maschinen ohne Schaffensk­risen.

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Foto: Andy Ryan/Helmut Fohringer/Ole Spata/epa/APA/dpa Der österreich­ische Künstler Alex Kiessling zeigt, wie leicht Maschinen den Künstler nachahmen können. Inzwischen schaffen Algorithme­n selbststän­dig Kunst.
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