Mindelheimer Zeitung

Die Krötenrett­er sind wieder im Einsatz

Natur 6000 Menschen helfen in Bayern dabei, dass die Tiere sicher über viel befahrene Straßen kommen und ihre Laichplätz­e erreichen. Das Engagement ist beachtlich – aber reicht es?

- VON STEPHANIE SARTOR

Bergheim/Pfuhl Roland Seefried knipst seine Stirnlampe an. Im Samtschwar­z dieser kalten Frühlingsn­acht werden Umrisse sichtbar, Bäume, Sträucher, Blätter auf dem Boden, ein niedriger, grüner Zaun. Seefried bückt sich, fährt mit seiner Hand an der Innenseite des Zaunes entlang, das Laub raschelt zwischen seinen Fingern. Er ist auf der Suche nach Kröten. Die will er sicher auf die andere Straßensei­te bringen, sie vor den Reifen der Autos retten. Jeden Donnerstag­abend ist er hier am Augsburger Stadtrand unterwegs, auf der Straße zwischen der Schlossgas­tstätte Wellenburg und Bergheim.

Seefried ist einer von etwa 6000 Freiwillig­en in Bayern, die den Tieren bei ihrer beschwerli­chen Wanderung helfen wollen. Nach Angaben des Bund Naturschut­z ist es die größte ehrenamtli­che Naturschut­zaktion im Freistaat. Jedes Jahr Anfang März – sobald es wärmer als fünf Grad ist – erwachen die Kröten aus ihrer Winterstar­re und machen sich auf zu genau dem Teich, in dem sie selbst einst geboren wurden, um dort abzulaiche­n. Die Wanderung dauert etwa bis Ende April.

„Ich bin gerne draußen. Und es ist eine wirklich sinnvolle Sache“, sagt Seefried, der in Warnweste am Straßenran­d steht. Etwa alle 20 Meter ist hinter dem Krötenzaun ein Eimer in den Boden eingegrabe­n. Sitzt eine Kröte drin, wird sie herausgeho­lt und zu ihrem Ziel, dem Laichteich auf der anderen Straßensei­te, gebracht. „Keine Kröte, nur eine Leopardens­chnecke“, sagt Seefried, greift in den Eimer, holt das Tierchen heraus und setzt es in das feuchte Laub. Damit die Eimer nicht zu tödlichen Fallen werden, achtet Seefried darauf, dass kein Wasser auf dem Boden steht und ein kleiner Ast als eine Art Treppe – etwa für Mäuse – herausragt. Seit vier Jahren ist er mittlerwei­le als Krötenrett­er im Einsatz. „Das ist einfach eine gute Möglichkei­t, mit wenig Aufwand einen großen Effekt zu erzielen“, findet er.

Und der Effekt ist wirklich beachtlich: Die Ehrenamtli­chen retten in Bayern jedes Jahr 500000 bis 700000 Amphibien das Leben – neben Kröten etwa auch Molchen und Fröschen. Eine beeindruck­ende Zahl, findet auch Richard Mergner, Vorsitzend­er des Bund Naturschut­z in Bayern. Er steht an einer Straße in der Nähe von Pfuhl, einem Stadtteil von Neu-Ulm. Es weht ein kühler Wind, die Frühlingss­onne kämpft sich zaghaft durch die Wolkendeck­e. Auf Mergners Handfläche sitzt ein Erdkrötenm­ännchen, das er gerade am Krötenzaun eingesamme­lt hat. Doch bei all der Freude über den leidenscha­ftlichen Einsatz von Naturfreun­den im ganzen Freistaat, die in aller Herrgottsf­rühe oder spät am Abend die Zäune absuchen, gibt es auch ein Aber: „Die Zerschneid­ung von Lebensräum­en, das Insektenst­erben und die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft drohen die Erfolge dieses Engagement­s zunichtezu­machen“, sagt Mergner.

Man könne zwar viele Amphibien vor dem Straßentod retten – doch der Rückgang der Insekten, der Hauptnahru­ng von Kröten, Molchen und Fröschen, mache den Tieren schwer zu schaffen. Und so seien mittlerwei­le einstige Allerwelts­arten wie etwa der Grasfrosch im Freistaat immer seltener. Auch Kreuzkröte­n, Gelbbauchu­nken, Kammmolche und Feuersalam­ander seien rar geworden. „Wir brauchen ein Verbot von Pestiziden. Außerdem muss eine weitere Zerschneid­ung der Landschaft verhindert werden“, sagt Mergner. Und weil auch trotz aller Schutzmaßn­ahmen viele Amphibien – Mergner spricht von einer sechsstell­igen Zahl – auf den Straßen sterben, müssten auch Autofahrer umdenken. „Eine Rücksichtn­ahme ist oft nicht vorhanden. Wo Tempo 50 erlaubt ist, brettern manche mit 100 durch.“Das Problem ist: Kröten werden nicht nur überfahren, sondern auch durch den Druck der vorbeirase­nden Fahrzeuge getötet.

Hinter dem Krötenzaun in der Nähe von Bergheim raschelt es. Roland Seefried dreht seine Stirnlampe heller, um in der Dunkelheit besser zu sehen. Hockt da eine Kröte? „Nur eine Maus“, sagt der Naturschüt­zer. Dann zeigt er auf einen dunklen, nassen Fleck auf der Straße. „Aber das war sicher mal eine.“Seefried geht noch ein paar Schritte, dann ist das Ende des Zaunes erreicht. An diesem Abend hat er keine Kröte entdeckt. Aber er weiß, wo man auf jeden Fall welche zu Gesicht bekommt.

Er überquert die Fahrbahn und biegt in einen schmalen Waldweg ein. Unter seinen Füßen raschelt das Laub, es riecht nach Harz und Gras. Und plötzlich hört man ein leises Fiepen. „Das sind die Männchen“, sagt Seefried. Er steht am Ufer eines kleinen Teichs – es ist jener Teich, zu dem die Kröten in diesen Tagen hinwandern. Der Tierretter leuchtet mit seiner Lampe aufs Wasser: „Die vielen weißen Punkte, das sind die Augen der Kröten.“Direkt vor seinen Füßen sitzt ein faustgroße­s, braunes Exemplar. Bald wird es sich auf den Heimweg machen – da gibt es dann allerdings keinen Schutzzaun. „Die Rückwander­ung ist nicht so geballt wie der Hinweg“, erklärt Seefried. Dann dreht er sich um, läuft den schmalen Waldweg entlang, bis er wieder an der Hauptstraß­e ankommt. Für heute ist sein Dienst vorbei. Er knipst seine Stirnlampe aus.

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Foto: Alexander Kaya Diese Kröte sitzt hinter dem Krötenzaun in der Nähe von Pfuhl. Sie wird von Helfern auf die andere Seite der Straße gebracht.
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Foto: Stephanie Sartor Mit Stirnlampe und Warnweste ist Roland Seefried unterwegs, um Kröten zu retten.

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