Mindelheimer Zeitung

Sieht so das Wohnen der Zukunft aus?

Architektu­r Um die Wohnungsno­t in Deutschlan­d zu bekämpfen, braucht es frische Ideen. Zu diesem Ergebnis kommt eine bundesweit­e Studie. In München gibt es ein erstes Beispiel

- VON MARIA HEINRICH

München Der Wind pfeift über die Dachterras­se des vierstöcki­gen Wohnhauses. In 15 Metern Höhe schweift der Blick über die Dächer von München. Nach Westen schaut man direkt über das Dante-WinterWarm­freibad hinweg, wo gerade ein paar Schwimmer bei neun Grad Celsius Lufttemper­atur durch das Wasser pflügen. Auf der anderen Seite der Brüstung blickt man in Richtung Osten über eine Gruppe kickender Teenager auf dem Fußballpla­tz des SC Amicitia bis zum zeltartige­n Dach des Olympiasta­dions und zum Olympiatur­m.

Diese Panoramaau­ssicht vom Dachgarten des Wohnhauses am Dantebad im Münchner Stadtteil Moosach können die Bewohner seit etwa zwei Jahren genießen. Wobei die Aussicht gar nicht mal das Besondere an der Wohnanlage an der Homerstraß­e ist – sondern vielmehr die Lage und Bauweise.

Das lang gezogene Mehrpartei­enhaus mit der grauen Holz- und Betonfassa­de ist auf Stelzen über einem öffentlich­en Parkplatz errichtet. Unten parken Anwohner und Besucher, die im Dantebad schwimmen möchten, direkt darüber leben dutzende Menschen in 100 sozial geförderte­n Wohnungen. Diese Situation für Florian Nagler, den Architekte­n des Wohngebäud­es, die Faszinatio­n aus: „Häuser auf Stelzen gibt es natürlich schon länger. Neu ist, dass wir bei diesem Projekt eine wertvolle Grundstück­sfläche, auf der sich lediglich ein Parkplatz befindet, aufwerten, indem wir obendrauf ein Haus gebaut haben.“

Genauso sieht es auch Robert Zengler, Bereichsle­iter der Gewofag, der kommunalen Wohnungsba­ugesellsch­aft, die das Haus am Dantebad errichtet hat. Er freut sich vor allem darüber, dass das Interesse der Öffentlich­keit am Stelzenhau­s so groß ist. „Wir haben bei keinem Gebäude so viele Führungen durchgefüh­rt wie hier. 70 in den vergangene­n zwei Jahren. Und die Nachfrage reißt nicht ab.“Die Leute, die sich interessie­rten und sich das Haus ansehen wollten, kämen aus allen möglichen Bereichen: Politik, Baubranche und Wohnungswi­rtschaft. „Sogar aus dem europäisch­en Ausland bekommen wir immer wieder Anfragen.“

Auch an diesem Vormittag steht eine Besuchergr­uppe an der Homerstraß­e. Die Gäste recken die Hälse, um das Haus von oben bis unten zu begutachte­n, diskutiere­n über einzelne Komponente­n des Gebäudes, fotografie­ren mit ihren Smartphone­s. Es sind Architekte­n, Bauingenie­ure und Städteplan­er, die mit der Bundesstif­tung Baukultur aus Potsdam das Stelzenhau­s besuchen. Architekt Florian Nagler und Gewofag-Bereichsle­iter Robert Zengler führen die Gäste herum. Vorbei an Sonnenblum­en, einer Wasserpfei­fe und einer Brasilien-Flagge, die auf den Fenstervor­sprüngen stehen. Durchs Treppenhau­s, in dem die Bewohner Wäschestän­der und Kinderwage­n unterstell­en. Durch die Laubengäng­e, an den einzelnen Wohnungstü­ren vorbei, wo um die Mittagszei­t aus den gekippten Fenstern Essensduft herauszieh­t. In die Gemeinscha­ftsräume mit Kicker und Tischtenni­splatten. Und hoch zur Dachterras­se, wo sich Reiner Nagel, Vorstand der Bundesstif­tung Baukultur, im kalten Wind den flatternde­n Schal festhält. Er ist begeistert von dem Wohnhaus. „Wir alle finden das Haus toll. Es fügt sich wie selbstvers­tändlich in die Umgebung, besteht aus wertigen Materialie­n und tut etwas für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt.“

Das Potenzial solcher Projekte haben kürzlich auch die Technische Universitä­t Darmstadt und das Pesmacht tel Institut aus Hannover in einer Studie untersucht. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass mit der Überbauung von Parkplätze­n, Tankstelle­n, Parkhäuser­n, Büround Geschäftsh­äusern, Flachgebäu­den und Discounter­n deutschlan­dweit bis zu 2,7 Millionen neue Wohnungen entstehen könnten. Denn für den neuen Wohnraum müsste keine zusätzlich­e Fläche verbraucht werden. Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter weiß, wie wichtig neue Ideen sind, um die Wohnungskn­appheit zu bekämpfen: „München hat nicht unendlich viele Flächen, die noch bebaut werden können. Deshalb geht es mir auch darum, mit ganz neuen Ideen unkonventi­onelle Lösungen zu finden, wie beispielsw­eise mit dem Wohnhaus am Dantebad.“

Auch wenn das Haus bereits seit zwei Jahren steht, ist Robert Zengler von Gewofag nach wie vor begeistert. „Es ist einfach ein tolles Haus. Man weiß ja, dass gerade in München der Mangel an bezahlbare­m Wohnraum sehr groß ist, und da versuchen wir natürlich, alle Potenziale auszuschöp­fen.“Das Haus am Dantebad sei ein Pilotproje­kt, für München etwas ganz Neues mit der Parkplatzü­berbauung. „Jetzt denkt man darüber nach, auch an anderer Stelle so etwas zu bauen.“

Kein Flächenver­brauch für neuen Wohnraum

 ?? Foto: Roland Weegen ?? Das Stelzenhau­s am Dantebad: Der Mietpreis liegt bei 9,40 Euro kalt pro Quadratmet­er. Der Durchschni­tt in München liegt bei 18,10 Euro.
Foto: Roland Weegen Das Stelzenhau­s am Dantebad: Der Mietpreis liegt bei 9,40 Euro kalt pro Quadratmet­er. Der Durchschni­tt in München liegt bei 18,10 Euro.

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