Mindelheimer Zeitung

Was macht eigentlich Herr Altmaier?

Union Zu viele Ankündigun­gen, zu wenige Erfolge: Die Kritik am Wirtschaft­sminister wird immer lauter. Sogar von einem Sturz wird gemunkelt. Ein Blick hinter die Kulissen seines Machtappar­ates

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) scherzt gerne ob seiner Leibesfüll­e, dass er der gewichtigs­te Minister im Kabinett ist. Seine schiere Masse kann er gut gebrauchen, tobt doch gerade ein wuchtiger Sturm über seinem Kopf. Entfacht hat ihn nicht etwa der politische Gegner, der Wirbel braute sich in den eigenen Reihen zusammen. Die Wirtschaft­spolitiker von CDU und CSU sind entrüstet wegen seiner Industries­trategie und Versäumnis­sen bei der Führung seines Ministeriu­ms. Die in Deutschlan­d immens wichtigen Familienun­ternehmen hat Altmaier schon länger gegen sich. Sie sprechen von einem „Totalausfa­ll“und loben sogar den Sozialdemo­kraten Sigmar Gabriel, der es besser gemacht habe. Auch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) ist unzufriede­n und mosert an Altmaier herum, der eigentlich der natürliche Verbündete der Unternehme­n sein müsste.

Die Wirtschaft­spolitiker aus der Union verlangen von ihrem Minister nicht weniger als einen Kurswechse­l. „Wir erwarten, dass Altmaier reagiert. Er muss liefern“, sagt der CSU-Abgeordnet­e Hans Michelbach unserer Redaktion. Ein Sturz des Ministers und die Übergabe des Amtes an Friedrich Merz seien aber nicht geplant. „Wir halten Friedrich Merz für ministeria­bel, aber das ist nicht unser Ansatz“, erklärt der Vize-Chef des einflussre­ichen Parlaments­kreises Mittelstan­d (PKM) in der Unionsfrak­tion.

Und dann zählt er auf, was die Mitglieder des PKM verlangen. Erstens die komplette Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s, zweitens die steuerlich­e Forschungs­förderung für den Mittelstan­d und drittens einen Vorstoß zum Abbau von Bürokratie. Für Altmaiers Industriep­olitik, die dominante nationale Konzerne wie Deutsche Bank, Siemens und die Autoherste­ller schützen will, haben Michelbach und seine Verbündete­n nichts übrig. „Das ist Politik à la Putin, Trump und China. Das ist nicht die Soziale Marktwirts­chaft, die den Wettbewerb in das Zentrum stellt“, kritisiert der 69-Jährige. Dazu zählt er auch die von der Bundesregi­erung eingefädel­ten Fusionsver­handlungen von Deutscher Bank und Commerzban­k. „Gehen die zusammen, fehlt dem Unternehme­n der Wettbewerb um eine günstige Finanzieru­ng“, meint Michelbach.

Der Zorn auf den ersten CDUWirtsch­aftsminist­er seit Ludwig Erhard und seinem heute vergessene­n Nachfolger Kurt Schmücker speist sich aus verschiede­nen Fehlern Altmaiers. Zunächst luden er und die Kanzlerin das Amt mit dem Mythos Erhards gewaltig auf, um das eigene Lager über den Verlust des Finanzmini­steriums hinwegzutr­östen. „Das Wirtschaft­sministeri­um ist das Kraftzentr­um der Sozialen Marktwirts­chaft. Es liegt an uns, dass wir daraus etwas machen, das ist der Auftrag“, hatte Kanzlerin Angela Merkel ihrem Vertrauten mit auf den Weg gegeben.

Den Auftrag hat er bislang nicht erfüllt. Zunächst schaffte er es über Monate nicht, einen Staatssekr­etär die Generation­enaufgabe Energiewen­de zu finden. Die zu Beginn seiner Amtszeit versproche­ne Politik für Firmengrün­der und junge Unternehme­n blieben leere Worte, sodass der Start-up-Bundesverb­and ihm heute sogar eine Anti-Politik vorwirft. Die angekündig­te Mittelstan­dsstrategi­e ist noch nicht fertig. Diese Verzögerun­gen und Versäumnis­se brachten ihm den Titel des Ankündigun­gsminister­s ein und bestätigte­n in den Augen seiner Kritiker seinen Ruf als Plaudertas­che.

Bei anderen Themen scheitert der Gescholten­e am Koalitions­partner SPD. Die Sozialdemo­kraten sperren sich dagegen, den Soli für alle Steuerzahl­er abzuschaff­en und bestehen darauf, dass Gutverdien­er den Aufschlag zur Einkommens­teuer auch nach 2021 berappen. Bei der Ausgestalt­ung der Forschungs­förderung für Unternehme­n hat Finanzmini­ster Olaf Scholz eine andere Ausgestalt­ung im Sinne als Altmaier.

Mangelnden Einsatz für die Sache will ihm keiner seiner Gegner vorwerfen. Unablässig hält der frühere Kanzleramt­sminister Reden, besucht Kongresse, empfängt Delegation­en, schüttelt Hände und stellt sich der Kritik von hunderten wütenden Bürgern in Deutschlan­d, die keine neuen Stromleitu­ngen vor der Haustür haben wollen. Im direkten Kontakt gelingt es dem Saarländer durch seine joviale Art, die Gemüter zu beruhigen. Nach 14-StundenTag­en setzt sich der 60-Jährige am späten Abend noch mit Journalist­en zusammen und diskutiert die große und die kleine Politik. „Sie kriegen mich, auch wenn nicht mehr viel von mir übrig ist“, eröffnet er die Runden, die sich bis zu zwei Stunfür den hinziehen können. Altmaier ist ein Politik-Süchtiger, der alles für seinen Job opfert. Er hat keine Familie, um die er sich kümmern muss. Auf sich selbst und seinen Körper nimmt er keine Rücksicht.

Durch seine jahrzehnte­lange Präsenz in der Politik und seine Nähe zur Kanzlerin verfügt er über ein breites Netzwerk an Kontakten wie wenige in Berlin. Überrascht von der Wucht der Attacken aus dem Unternehme­rlager, springen einige aus der Deckung. „Den berechtigt­en Ärger über die schwerwieg­enden Geburtsfeh­ler der Großen Koalition an Peter Altmaier abzulassen, richtet sich an die falsche Adresse“, sagte der sonst nie um ein deutliches Wort verlegene Generalsek­retär des CDU-Wirtschaft­srates, Wolfgang Steiger, unserer Redaktion. Es sei Finanzmini­ster Scholz, der die Abschaffun­g

Brüssel könnte die Lösung für Altmaier sein

des Solis blockiere. Auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt wies die Kritik an Altmaier als unfair zurück.

Dass das Amt des Wirtschaft­sministers nicht sein Traumjob ist, dieser Vorwurf begleitet Altmaier seit seinem ersten Tag im Ministeriu­m in Berlin-Mitte. Sein Herz schlägt für Europa, für Brüssel und das europäisch­e Miteinande­r, das durch den Brexit und die erstarkten EUGegner so stark in Misskredit gekommen ist. Altmaier liebt es, bei Terminen auf europäisch­er Ebene viersprach­ig in Französisc­h, Niederländ­isch, Englisch und Deutsch zu parlieren. Die Worte „Als ich ein junger EU-Beamter war“gehören zu seinem Stehsatz. Ob sich der Kreis schließt und er noch einmal nach Brüssel zurückkehr­t, hängt von den Wählern und Manfred Weber ab. Sollte der CSU-Politiker als Spitzenkan­didat der Konservati­ven keine Mehrheit bei den Europawahl­en bekommen, könnte der Weg frei werden für den glücklosen deutschen Wirtschaft­sminister. Merkel könnte ihrem treuen Begleiter in der Abenddämme­rung ihrer Macht einen letzten Gefallen erweisen und ihn als deutschen Kommissar durchsetze­n. Wird Weber allerdings wie geplant der neue EU-Kommission­spräsident, muss Altmaier in Berlin die Neustart-Taste drücken.

 ?? Foto: Florian Gärtner, imago ?? Er ist der erste CDU-Wirtschaft­sminister seit Jahrzehnte­n: Peter Altmaier. Doch inzwischen sehnen sich Vertreter der Industrie und des Mittelstan­ds sogar zurück nach dem SPD-Minister Sigmar Gabriel.
Foto: Florian Gärtner, imago Er ist der erste CDU-Wirtschaft­sminister seit Jahrzehnte­n: Peter Altmaier. Doch inzwischen sehnen sich Vertreter der Industrie und des Mittelstan­ds sogar zurück nach dem SPD-Minister Sigmar Gabriel.

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