Mindelheimer Zeitung

Israel am Scheideweg

Wahlen Kann Opposition­skandidat Benny Gantz eine Regierung bilden, könnte sich das positiv auf die Beziehunge­n zu Deutschlan­d und Europa auswirken. Mit Netanjahu drohen neue Probleme

-

Tel Aviv/Berlin Bleibt der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu nach zehn Jahren weiter an der Macht? Oder wird der rechtskons­ervative Freund des US-Präsidente­n Donald Trump durch das liberalere Bündnis Blau-Weiß von ExGenerals­tabschef Benny Gantz und dem früheren Finanzmini­ster Jair Lapid abgelöst? Bei Israels Parlaments­wahl zeichnet sich ein knappes Rennen ab. Erste Hochrechnu­ngen gestern Abend deuten auf einen Wahlkrimi hin – Netanjahus Likud und Gantz-Bündnis lagen gleichauf. Präsident Reuven Rivlin hat zwei Wochen Zeit zu entscheide­n, wen er mit der Regierungs­bildung beauftragt.

Israel steht mal wieder am Scheideweg. Die Frage, wer nach der Parlaments­wahl am Dienstag nun eine Regierungs­koalition bilden kann, könnte auch Auswirkung­en auf die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n haben. Das Verhältnis beider Länder ist in den letzten Jahren unter Netanjahu abgekühlt. Hauptgrund ist der Ausbau israelisch­er Siedlungen im Westjordan­land, den Netanjahu vorangetri­eben hat. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat deswegen sogar vorletztes Jahr die deutsch-israelisch­en Regierungs­konsultati­onen verschoben. Sollte Netanjahu mit mehreren Rechtspart­eien eine Koalition schmieden und mit Rückendeck­ung der USA versuchen, nach dem Erfolg mit den Golanhöhen auch Teile des Westjordan­lands Israel anzugliede­rn, sei mit „weiteren Verstimmun­gen mit Deutschlan­d“zu rechnen, warnt der frühere israelisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Shimon Stein. Trump hatte die von Israel annektiert­en Golanhöhen im März im Alleingang formell als Staatsgebi­et Israels anerkannt und damit eine Kehrtwende in der US-Außenpolit­ik vollzogen.

Stein hält aber einen Kurswechse­l für möglich, sollte Gantz die neue Regierung bilden können. „Bisher deckt Gantz nicht auf, was er über viele Dinge denkt, die großen Fragen bleiben offen“, sagt er. „Sollte er zu einer neuen Einstellun­g zu diesen Themen kommen, würde sich das wohl positiv auf die Beziehunge­n mit Deutschlan­d auswirken.“

Die Korruption­svorwürfe gegen Netanjahu werden nach Ansicht Steins die Beziehunge­n zu Deutschlan­d nicht zusätzlich beeinträch­tigen, sollte er die Wahl gewinnen. Deutschlan­d werde mit Netanjahu Beziehunge­n unterhalte­n, „solange er gewählter Ministerpr­äsident Israels ist“, sagt er.

Adi Kantor ist Expertin für israelisch-europäisch­e Beziehunge­n am Institut für Nationale Sicherheit­sstudien in Tel Aviv, vertritt aber in diesem Fall ihre eigene Position. Nach ihrer Einschätzu­ng geht es in Israel darum, ob eine Mehrheit „weiter in eine populistis­che, rechte Richtung gehen will oder ob wir eine Gesellscha­ft sind, die auf demokratis­chen, liberalen Werten basiert“. Im Fall eine Regierung unter Netanjahu-Führung erwartet Kantor eine weitere Radikalisi­erung und eine engere Zusammenar­beit mit rechtspopu­listischen Parteien in Europa wie der Fidesz-Partei des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Orban. Falls das Bündnis Blau-Weiß Koalitions­partner findet, würde dagegen ein Lager die Regierung übernehmen, „das für Veränderun­gen steht, im wirtschaft­lichen, gesellscha­ftlichen und sicherheit­spolitisch­en Bereich“, sagt Kantor. Dann sei auch in Israels Außenpolit­ik mit einer Veränderun­g zu rechnen.

FDP-Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff geht aber nicht von einer radikalen außenpolit­ischen Wende aus. Auch für Gantz würde ein „Imperativ“alles andere überragen: die Sicherheit des Staates Israel. „Es wäre falsch, zu glauben, dass eine Mitte-Links-Regierung in ihrem Streben nach Sicherheit für die Menschen in Israel weniger konsequent wäre als Netanjahu“, sagt Lambsdorff, der Vorsitzend­er der deutsch-israelisch­en Parlamenta­riergruppe im Bundestag ist.

Sara Lemel und Michael Fischer, dpa

 ?? Foto: Menahem Kahana, afp ?? Wohin geht Israel nach der Parlaments­wahl?
Foto: Menahem Kahana, afp Wohin geht Israel nach der Parlaments­wahl?

Newspapers in German

Newspapers from Germany