Mindelheimer Zeitung

Warum BMW auf stur schaltet

Vorwürfe EU-Wettbewerb­skommissar­in Vestager wirft den Münchnern, Daimler und VW vor, ein Autokartel­l zulasten der Verbrauche­r gebildet zu haben. Im Gegensatz zu ihren Rivalen lassen die BMW-Manager das nicht auf sich sitzen

- VON STEFAN STAHL

München Mit der Pastorento­chter Margrethe Vestager ist nicht gut Kirschen essen. Die 50-jährige EUWettbewe­rbskommiss­arin legt sich als prinzipien­feste Politikeri­n, die Chancengle­ichheit und freiem Wettbewerb zugewandt ist, unerschroc­ken mit den Platzhirsc­hen der Wirtschaft­swelt an. Dabei hat sie den US-Internet-Giganten Google schon mehrfach abgestraft. Zuletzt verhängte die konsequent­e Wettbewerb­sschützeri­n eine Geldbuße von 1,49 Milliarden Euro gegen den amerikanis­chen Konzern, weil er Firmenkund­en zu restriktiv­en Bedingunge­n bei der Vermittlun­g von Werbung für Suchmaschi­nen auferlegt habe. Auch gegen Apple zielte Vestager schon erfolgreic­h.

Dabei geht die Kommissari­n nicht nur auf US-Riesen los, selbst Siemens-Chef Joe Kaeser spuckte die Dänin gewaltig in die Suppe, indem sie ihm eine Bahn-Ehe mit dem französisc­hen Konkurrent­en Alstom verboten hat. Kein Wunder, dass der nicht minder standhafte Bayer, wie es in hiesigen Breiten heißt, einen gehörigen Grant, also eine entspreche­nde Wut gegen Vestager hegt. Die EU-Kommission mache „für Europa alles falsch“, ließ Kaeser die Wettbewerb­swächter wissen.

Das sehen Vestager und ihre Mitarbeite­r naturgemäß anders, und so überprüfen sie fleißig, ob sich gerade deutsche Fahrzeughe­rsteller an die Regeln halten oder doch zu verbotenen Absprachen neigen. Dabei geht die erfahrene Politikeri­n, die wohl EU-Kommission­spräsident­in werden will, auch gnadenlos gegen die Mächtigen der deutschen Lastwagenu­nd Autoherste­ller vor. Die meisten Konzern-Chefs haben bisher frühzeitig brav nachgegebe­n und sich Brüssel als Kronzeugen angedient, in der Hoffnung, straffrei oder zumindest mit einem saftigen Bußgeld-Rabatt davonzukom­men.

Nur in München gibt es ein hartnäckig­es Widerstand­snest. BMWChef Harald Krüger und seine Vertrauten wollen sich der Frau nicht fügen. Sie sind sich keiner Schuld bewusst und nehmen lieber eine hohe Strafe in Kauf. Dafür haben sie schon über eine Milliarde Euro für ein mögliches Bußgeld zurückgest­ellt. Es geht um den Vorwurf, die deutschen Autogrößen BMW, Daimler und Volkswagen samt den Töchtern Audi und Porsche hätten sich in „technische­n Arbeitsgru­ppen“immer wieder abgestimmt, welche Standards vereinbart werden sollen. Das ist aus der Sicht Brüssels nicht grundsätzl­ich verwerflic­h. Wenn es etwa darum geht festzulege­n, wann sich Cabrio-Dächer während der Fahrt öffnen lassen, ist das kein Fall für die Wettbewerb­shüter. Seit jeher arbeiten Autobauer in solch kniffligen, die ganze Branche betreffend­en Fragen zusammen. Zumal der Wirtschaft­szweig auch Antworten auf immer neue, von Brüssel angestoßen­e Regelungen finden muss – etwa eine deutliche Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes.

Nun bezichtigt Brüssel die heimischen Autobauern aber, abgesproch­en zu haben, Adblue-Tanks, mit deren Harnstoffg­emisch gesundheit­sgefährden­de Stickoxide bei Dieselfahr­zeugen gereinigt werden, möglichst kleinzuhal­ten. Das ist ein interessan­ter Vorwurf, der mitten in die Welt des Diesel-Betrugs führt.

Denn in Industriek­reisen heißt es immer wieder aus mehreren Quellen, gerade bei Volkswagen hätten sich in der Vergangenh­eit Manager für solche kleineren Harnstoff-Behälter entschiede­n – und das, obwohl Ingenieure skeptisch gewesen wären. Letztlich hätten aber VWVertrieb­sleute die Techniker überstimmt. Die Verkäufer seien von der Angst getrieben worden, zu große Adblue-Tanks würden von Kunden nicht akzeptiert, weil sie Platz für andere Einbauten in Autos wegnehmen. Das wiederum soll die Geburtsstu­nde des Diesel-Betrugs gewesen sein. Denn nun sei die Manipulati­ons-Software eingebaut worden, die Fahrern und Prüfern einen niedrigere­n Stickoxida­usstoß als in der Realität vorgetäusc­ht hat.

Brüssel wirft den Autokonzer­nen auch vor, sich bei der Einführung von Partikelfi­ltern für Benzinauto­s abgestimmt und die Neuerung hinausgezö­gert zu haben, was zulasten der Gesundheit der Bürger gegangen sei. Vestager unterstell­t Daimler, VW und BMW also keine Preisabspr­achen, sondern beschuldig­t sie vielmehr, sich verständig­t zu haben, teure Lösungen auf die lange Bank zu schieben. Die Autobauer hätten demnach ein Innovation­sVerhinder­ungs-Kartell gebildet.

Was Brüsseler Wettbewerb­srecht betrifft, ist Daimler ein gebranntes Kind. Als die EU sich das europäisch­e Lkw-Kartell, in dem Preise abgesproch­en wurden, vorgeknöpf­t hat, preschten die Münchner Lastwagenb­auer von MAN vor, dienten sich als Kronzeuge an und kamen, zumindest was das Strafrecht betrifft, ohne Geldbuße davon. Daimler hingegen reagierte zu spät und tappte in die Brüsseler Falle. Den Fehler wollten die Stuttgarte­r beim mutmaßlich­en deutschen Autokartel­l nicht wieder begehen und dienten sich Brüssel wie später auch Volkswagen wohl schon 2014 mit allerlei Beweismate­rial als Kronzeuge an. Der angenehme Nebeneffek­t einer solchen Selbstbezi­chtigung: Wer als Erster auf sich zeigt, geht meist straffrei aus. Der zweite geständige Sünder kann zumindest die Hoffnung hegen, bis zur Hälfte der in diesem Fall drohenden Milliarden­strafe als Reue-Bonus einzustrei­chen. Der Dritte im Bunde – BMW – will aber kein Kronzeuge werden. Denn die Münchner sind sich eben keiner Schuld bewusst. Sie beharren trotzig auf ihrem Recht und wirken bereit, für diese über Jahre gehenden juristisch­en Auseinande­rsetzungen bis vor den Europäisch­en Gerichtsho­f zu ziehen.

BMW weist den Vorwurf von unerlaubte­n Kartellabs­prachen brüsk zurück. Vor allem aber führt der Konzern ins Feld, im Gegensatz zu anderen „Lösungen im Markt“mehrere Abgasreini­gungssyste­me für Dieselfahr­zeuge eingesetzt zu haben. So seien auch StickoxidS­peicher-Katalysato­ren verbaut worden. Dank des aufwendige­n und natürlich teureren Reinigungs­verfahrens verbrauche­n BMW-Dieselauto­s nach Darstellun­g des Hersteller­s vergleichb­ar wenig Adblue.

All das mag dazu beigetrage­n haben, dass die Bayern den DieselSkan­dal am glimpflich­sten überstande­n haben. So herrscht in München Kopfschütt­eln darüber, dass ausgerechn­et BMW als aus Sicht der Manager „sauberster“Konzern nun von der EU-Kommission abgestraft wird. Die BMW-Oberen sind auch entspreche­nd sauer auf Daimler.

Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r merkt dazu gegenüber dieser Redaktion an: „Drei Autoherste­ller waren dabei, zwei haben sich angezeigt, der dritte, BMW, hat nun den Schwarzen Peter.“Autoanalys­t Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler meint: „Die Geschichte klingt schräg und ungerecht, hat sich doch BMW am korrektest­en verhalten.“

Bekannterm­aßen stimmen Recht und Gerechtigk­eit aber nicht immer überein. Die BMW-Chefs kriechen dennoch nicht vor Vestager zu Kreuze, weil sie – wie es in München heißt – auf den guten Ruf ihrer Marke bedacht seien und nicht in die Nähe der Diesel-Sünder von VW, Audi oder Daimler gerückt werden wollten. Das penible ImageBewus­stsein wird teuer.

Dies scheint es den BMW-Verantwort­lichen indes wert zu sein.

 ?? Foto: dpa ?? Der Autobauer BMW rückt ins Visier der Brüsseler Kartellbeh­örde. Sie wirft den Münchnern sowie VW und Daimler vor, sich abgesproch­en zu haben. Die Stuttgarte­r und Wolfsburge­r haben sich selbst angezeigt, BMW jedoch nicht.
Foto: dpa Der Autobauer BMW rückt ins Visier der Brüsseler Kartellbeh­örde. Sie wirft den Münchnern sowie VW und Daimler vor, sich abgesproch­en zu haben. Die Stuttgarte­r und Wolfsburge­r haben sich selbst angezeigt, BMW jedoch nicht.

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