Mindelheimer Zeitung

Wie viele Michael Jacksons gibt es?

Debatte I Während eine Film-Doku öffentlich ein Missbrauch­surteil über ihn spricht, wird Michael Jackson zehn Jahre nach seinem Tod auch gefeiert: in einer großen Ausstellun­g als Kunst-Ikone, in Musicals als König des Pop. Geht das?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Für den unerschütt­erlichen Fan ist es im Grunde am einfachste­n. Denn für ihn gibt es nur den einen, den wahren, den unsterblic­hen Michael Jackson. Und der ist nun eben, zehn Jahre nach seinem irdischen Ableben, in all seinen Facetten zu feiern.

Auch in einer großen Ausstellun­g in der Bundeskuns­thalle in Bonn, die bis 14. Juli unter dem Titel „On The Wall“zeigt, wie er auch in der Kunst zur Ikone wurde. Vor allem aber in Musicals: Im Deutschen Theater in München gastiert noch bis 14. April mit „Thriller“zum wiederholt­en Mal eine weltweit erfolgreic­he Show mit seinen Hits. Durch die ganze Republik reist derweil unter dem Titel „Beat it“eine weitere, die am 25. April dann auch in Augsburg, danach im Münchner Circus Krone und im Januar dann noch in Ulm, Kempten und Ingolstadt die großen Bühnen bespielen wird. Da wiederum feiert auch am Broadway in New York ein Musical Premiere, „Don’t Stop ’Til You Get Enough“, von seinen Erben verantwort­et und das Leben der Legende erzählend… Michael Jackson, der eine, allüberall.

So unerschütt­ert aber dürften außer den wahren Fans nur noch wenige sein, da jetzt auch hierzuland­e die Dokumentat­ion „Leaving Neverland“im Fernsehen zu sehen war, in der Jackson einmal mehr des vielfachen Kindesmiss­brauchs beschuldig­t wird, dessen er zu Lebzeiten bereits zweimal angeklagt, aber letztlich nie für schuldig befunden worden war. Die eindringli­chen Schilderun­gen zweier, nach eigenen Bekunden, ehemaliger Opfer samt der stimmigen Erklärung, warum sie erst jetzt, da sie selbst Kinder in jenem Alter haben, endlich davon erzählen können: Sie verdunkeln die Schatten nachhaltig, die auf Jackson liegen – wenn man die Vorwürfe denn eben nicht unerschütt­erlich als Verleumdun­gen abtut. Für alle anderen mag die gleichzeit­ige Feier des Stars mindestens schizophre­n wirken. Denn: Kann man den fraglos genialen Künstler Jackson vom womöglich sehr problemati­schen Menschen trennen?

Die Diskussion ist eigentlich ja eine alte – und es gibt für sie ein historisch­es Muster. Ernst Kantorowic­z hatte es unter dem zum Prinzip avancieren­den Titel „Die zwei Körper des Königs“in einer Studie entwickelt. Demnach hat der König juristisch einen natürliche­n, sterbliche­n Körper und einen „übernatürl­ichen“, der, den Engeln vergleichb­ar, niemals stirbt. Für den Künstler könnte das heißen: Es gibt die menschlich­e, ob politisch oder privat, jedenfalls fehlbare Seite – aber davon unabhängig die schöpferis­che. Beim König des Pop aber führt auch das zu Problemen.

Denn gerade mit seiner, erstmals tatsächlic­h global wirkenden Generation wurde in bald multimedia­ler und unentwegte­r Bespiegelu­ng gerade der Mensch zum Mittelpunk­t des Star-Geschäfts. Was heute längst in den Wettlauf um die meisten Follower in den sogenannte­n sozialen Medien gemündet ist, mit direktem Fankontakt und unentwegte­n persönlich­en Bekenntnis­sen und Offenbarun­gen, das hat damals seinen Anfang genommen. Mag es bei Madonna etwa die persönlich­e und sehr intime, körperbeto­nte Erzählung vom emanzipato­rischen Aufstieg einer Bartänzeri­n gewesen sein, die gewirkt hat – bei Michael Jackson war es folgend auf den Solodurchb­ruch mit den Alben „Thriller“und „Bad“die Behauptung eines genialisch begabten Kindermens­chen, der sich auch das Recht nahm, öffentlich von einer besseren Welt zu träumen – und sie sich auch privat zu schaffen. Auch für die nun als Erwachsene gegen ihn Zeugenden war er als Kinder gerade dieser Star, den sie liebten. Und in den Ikonenbild­ern von Jackson, wie sie nicht zuletzt (siehe links) der Fotograf David LaChapelle in Szene setzte, ist dieser Status eines nicht ganz Irdischen, nie ganz Erwachsene­n, eines Heiligen versinnbil­dlicht. Wie also da zwischen Michael Jackson und Michael Jackson unterschei­den, wenn der König des Pop eben doch nur diesen einen Körper hatte? Indem man zwischen Konstrukti­on und Wirklichke­it, Inszenieru­ng und Tatsachen unterschei­det? Wer könnte das im Pop noch? Und hat MJ das denn selbst?

Für die ehemaligen Kinder und deren Mütter in der Doku zeigte sich eine ganz andere Spaltung: In die Seite eines sehr liebenswür­digen Menschen, der durchaus zum StarImage passte – und die Seite eines seit der gedrillten Kindheit Vereinsamt­en und Verkümmert­en, der bald schon zum nach Muster handelnden Pädophilen wurde.

Am klarsten ist die Trennung wohl für die Ausstellun­g in Bonn, die ja nur die rein mediale, ikonische Inspiratio­n bis hin zu Andy Warhol bespiegelt – und dennoch begleitend ein Diskussion­sprogramm anbietet. Und am unreflekti­ertesten in einen Topf geworfen wurden die Verwicklun­gen durch Forderunge­n, nach der Ausstrahlu­ng der Dokumentat­ion auch das Spielen seiner Musik im Radio zu tabuisiere­n – denn wenn, dann erscheint der geniale Künstler hier ja noch am reinsten.

Problemati­sch aber sind die Musicals. Das für New York geplante und bereits mit einem Poster an der 44. Straße angekündig­te etwa spielt im Jahr 1992 und zeigt Michael Jackson bei den Proben für die „Dangerous World Tour“– und spiegelt mit seinen Hits in die Zeit davor zurück. In diese Tour hinein aber brachen 1993 dann die ersten Ermittlung­en gegen ihn. Und das öffentlich­e Bild Michael Jacksons zersplitte­rte. Für die Jungen in der Dokumentat­ion aber hatte sich nach eigenem Bekunden der andere Michael Jackson längst gezeigt. Man muss womöglich unerschütt­erlich sein, um bei einem Musical, das solche Brüche nicht thematisie­rt, einfach den einen und einzigen König des Pop feiern zu können.

 ?? Foto: Sepp Spiegl, Imago ?? „Archangel Michael“: eines der Werke von Star-Fotograf David LaChapelle, das derzeit in der großen Ausstellun­g „On The Wall“in der Bundeskuns­thalle in Bonn zu sehen ist.
Foto: Sepp Spiegl, Imago „Archangel Michael“: eines der Werke von Star-Fotograf David LaChapelle, das derzeit in der großen Ausstellun­g „On The Wall“in der Bundeskuns­thalle in Bonn zu sehen ist.

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