Mindelheimer Zeitung

Die einsame Frau May

Europäisch­e Union Die britische Premiermin­isterin will bei Angela Merkel vor dem EU-Gipfel gut Wetter machen. Doch in Berlin steht sie erst mal ganz allein auf dem roten Teppich

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Schon wieder kommt es beim Empfang von Theresa May vor dem Bundeskanz­leramt in Berlin zu einer peinlichen Panne. Anders als beim letzten Mal im Dezember klemmt zwar nicht die Autotür, die britische Premiermin­isterin kann mühelos aus der schwarzen Mercedes-Limousine aussteigen. Doch auf dem roten Teppich, dort wo eigentlich Angela Merkel warten sollte, um sie zu begrüßen, steht: niemand. May, im dunklen, knielangen Kostüm und mit einem dicken Wollschal um den Hals, blickt kurz etwas irritiert. Will die deutsche Kanzlerin sie im Nervenkrie­g um den Brexit mit derart demonstrat­iver Missachtun­g strafen? Die feine englische Art wäre das sicher nicht. May bemüht sich um Haltung, schreitet mit der sprichwört­lich steifen Oberlippe durch das Blitzlicht­gewitter und die Tür zum Kanzleramt.

Die britische Premiermin­isterin ist gekommen, um die Bundeskanz­lerin vor dem EU-Sondergipf­el, der am Mittwochab­end stattfinde­t, um Rückendeck­ung zu bitten. In Brüssel entscheide­n die Regierungs­chefs der Europäisch­en Union darüber, wie es im Drama um den Austritt Großbritan­niens weitergeht. Im für May schlimmste­n Fall könnte es bereits am Freitag zu einem Ausscheide­n der Briten zu den härtest möglichen Bedingunge­n kommen: dem „No-Deal-Brexit“ohne Vertrag.

Für die Zustimmung zu dem Vertrag über einen geordneten Austritt kämpft May im Unterhaus des Parlaments in London seit Monaten vergeblich. So war bereits der ursprüngli­che Brexit-Termin Ende März verstriche­n, May hat die EU nun um einen weiteren Aufschub bis zum 30. Juni gebeten. Dafür will sie zunächst bei Merkel werben, um gleich danach zu Emmanuel Macron nach Paris weiterzure­isen. Der französisc­he Präsident vertritt gegenüber Großbritan­nien eine deutlich härtere Linie als Merkel. Vergangene Woche sagte er, die Europäisch­e Union könne nicht dauerhaft Geisel der Krise in Großbritan­nien sein.

Merkel dagegen hatte sich durchaus kompromiss­bereit gezeigt, an einem ungeregelt­en Brexit ist ihr nicht gelegen. Dass die Bundesregi­erung bereit ist, einen weiteren Brexit-Aufschub unter bestimmten Bedingunge­n zu akzeptiere­n, bekräftigt­e vor dem May-Besuch in Berlin Europastaa­tsminister Michael Roth (SPD). Eine dieser Bedingunge­n sei, dass Großbritan­nien an den Europawahl­en Ende Mai teilnimmt, was sowohl in der EU als auch auf der Insel höchst umstritten ist. Zudem wollen Mitgliedst­aaten erreichen, dass sich London verpflicht­et, nicht aktiv in EU-Entscheidu­ngen einzugreif­en. Einige Medien – darunter der britische

Guardian – spekuliert­en, dass die EU-Staaten eine Deadline bis Ende dieses Jahres anbieten könnten.

May kommt als Bittstelle­rin zur Kanzlerin, in einer Position der Schwäche. Es ist ein schwerer Gang für die 62-Jährige, auch ohne die vermeintli­che Demütigung gleich zu Beginn. Die sich, immerhin, schnell als Missverstä­ndnis herausstel­lt. Die Autokolonn­e von May war nämlich zwei, drei Minuten zu früh vorgefahre­n. Und Merkel, die ihre Termine nach Sekunden taktet, deshalb schlichtwe­g noch nicht empfangsbe­reit. Durch die Glaspforte ist dann zu sehen, wie sie Theresa May entgegenei­lt, sie herzlich umarmt, mit Küsschen rechts und links begrüßt. Die beiden Regierungs­chefinnen gehen sogar noch einmal nach draußen und holen für die Fotografen eine demonstrat­iv freundlich­e Begrüßung nach. Mit einer Handbewegu­ng deutet Angela Merkel auf die strahlende Frühlingss­onne, als wolle sie damit sagen, dass es durchaus noch einen Schimmer der Hoffnung gibt.

Eineinhalb Stunden bleibt May bei der Kanzlerin, über den Inhalt ihres Gesprächs wird nichts bekannt. Der Abschied gerät dann herzlich und verläuft ohne weitere Pannen. Merkel und May als Staatslenk­erinnen vor den Flaggen von Deutschlan­d, Großbritan­nien und der Europäisch­en Union – ein Motiv, das es so wohl nicht mehr allzu häufig geben wird. Ohnehin spricht vieles dafür, dass von Mays Besuch in Berlin eher die Bilder des Malheurs zu Beginn haften bleiben: May steht alleine da im Brexit-Chaos, dieser Geschichte voller Missverstä­ndnisse.

Nächste Station ist ein Besuch bei Macron

 ?? Foto: Omer Messinger, Getty ?? Alle Blicke sind auf Theresa May gerichtet, die alleine in Richtung Kanzlerin marschiert. Ihr Ziel: ein Aufschub für den Brexit.
Foto: Omer Messinger, Getty Alle Blicke sind auf Theresa May gerichtet, die alleine in Richtung Kanzlerin marschiert. Ihr Ziel: ein Aufschub für den Brexit.

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