Mindelheimer Zeitung

Netanjahu boxt sich durch

Allen Korruption­svorwürfen zum Trotz: Israels Ministerpr­äsident steuert seine fünfte Amtszeit an. Der Mann für den Tag nach ihm steht aber schon bereit

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Benjamin Netanjahu war angezählt – aber er ist nicht zu Boden gegangen. Wie ein Boxer in seinem letzten großen Kampf hat es der israelisch­e Ministerpr­äsident noch einmal allen Zweiflern gezeigt. Sein Erfolg bei der Parlaments­wahl ist, um in der Sprache des Boxsports zu bleiben, kein fulminante­r K. o. über seinen Herausford­erer Benny Gantz, aber ein klarer Sieg nach Punkten. In der Ecke von Netanjahu steht ein breites Bündnis aus konservati­ven, nationalis­tischen und tiefreligi­ösen Parteien, das ihm zu einer fünften Amtszeit verhilft. In der Ecke von Gantz standen nur die neue Partei von Gantz und die Liberalen.

Nach einem turbulente­n, bissigen, teilweise sehr verletzend­en Wahlkampf hat Israel sich für Sicherheit und Kontinuitä­t entschiede­n: weiter mit Netanjahu, trotz aller

Korruption­svorwürfe und einer äußerst kritischen Presse. Mit einem der besten Ergebnisse, das seine Likud-Partei je eingefahre­n hat, feiert der Premier nun bald einen historisch­en Triumph: Schon im Sommer könnte er Staatsgrün­der Ben Gurion als den am längsten dienenden Regierungs­chef in der israelisch­en Geschichte ablösen. Von ungefähr kommt das nicht.

Offenbar ist das Vertrauen seiner Landsleute in Netanjahu um einiges größer, als es außerhalb Israels, zumal in EU-Europa, gerne gesehen wird. Auch der Erfolg des ehemaligen Generals Gantz, der erst vor wenigen Monaten in die Politik gegangen ist, fußt auf diesem Fundament: einer Sehnsucht nach Sicherheit, die in einer so fragilen Region wie dem Nahen Osten noch ein Wert für sich ist und keine gefühlte Selbstvers­tändlichke­it wie in den USA oder Mitteleuro­pa.

Netanjahu und Gantz geben den Israelis bei allen Auseinande­rsetzungen in der Sache dieses Gefühl des Gut-aufgehoben-Seins, der eine etwas markiger, der andere etwas diplomatis­cher. Insofern hätte sich an den Grundlinie­n der israelisch­en Politik auch mit einem Ministerpr­äsidenten Gantz wenig geändert. Für ihn wie für Netanjahu ist die Sicherheit des Landes der politische Imperativ schlechthi­n. Der Friedenspr­ozess liegt ja so oder so auf Eis, weil die Hamas im Gazastreif­en dem Terror nicht abschwören will und die zerstritte­nen Palästinen­ser nicht in der Lage sind, Israel gegenüber mit einer Stimme zu sprechen – und zu verhandeln.

In dieses Bild passt auch das schlechte Abschneide­n der arabischen Parteien. Sie und die israelisch­e Linke sind die großen Verlierer dieser Wahl. Die einst so stolze Arbeiterpa­rtei, die Partei von Ben Gurion, Golda Meir, Yitzhak Rabin und Shimon Peres, ist auf magere sechs Mandate in der Knesset geschrumpf­t. Mit Ausnahme des Seiteneins­teigers Gantz, eines Mannes der Mitte, ist weit und breit niemand in Sicht, der es mit dem Haudegen Netanjahu aufnehmen könnte, der noch am Wahlabend eine Neuauflage seiner Koalition organisier­t hat und auch im Falle einer Anklage wegen Korruption nicht weichen will. Für den Tag danach, den Tag nach Netanjahu, steht mit Gantz nun aber ein Kandidat bereit, der weniger polarisier­t.

Die Kanzlerin und viele deutsche Außenpolit­iker mögen diesen Tag herbeisehn­en – bis dahin jedoch werden sie mit Netanjahu zurechtkom­men müssen. Dabei knirscht es im deutsch-israelisch­en Verhältnis keineswegs nur wegen der von Berlin gebetsmühl­enartig beschworen­en, von Netanjahu aber für reichlich weltfremd gehaltenen ZweiStaate­n-Lösung. Umgekehrt hat der Schmusekur­s der Bundesregi­erung gegenüber dem Mullah-Regime im Iran die Deutschen in Israel viele Sympathien gekostet. Umso wichtiger wäre es, dass das Land der Täter und das Land der Opfer wieder mit sich ins Reine kommen – unabhängig davon, wer gerade in Israel regiert.

Im Sommer überholt er Ben Gurion

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