Mindelheimer Zeitung

Katerstimm­ung beim FC Augsburg

Der abstiegsge­fährdete Bundesligi­st pflegt sorgsam das Image des etwas anderen, besonnenen Vereins. Doch nun, in der sportliche­n Krise und nach aufsehener­regenden Personalen­tscheidung­en, ist mächtig Unruhe im Klub. Eine Führungskr­aft allerdings genießt da

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Als Jeffrey Gouweleeuw am Montagmitt­ag vor der Geschäftss­telle des FC Augsburg seinen weißen Audi-SUV parkte, hatte der Innenverte­idiger des Bundesligi­sten wohl kein so gutes Gefühl. Vielleicht dachte der Niederländ­er, er müsse beim Vorstandsv­orsitzende­n Klaus Hofmann und dem Geschäftsf­ührer Sport, Stefan Reuter, zum Rapport antreten. Hatte der 27-Jährige doch nach der 0:4-Pleite gegen die TSG 1899 Hoffenheim massiv und öffentlich Kritik an Trainer Manuel Baum geäußert – was einem anderen Spieler einst nicht gut bekommen war. Ende Januar hatte sich Martin Hinteregge­r, 26, in ähnlicher Tonlage geäußert. Er war daraufhin suspendier­t und auf Leihbasis zu Eintracht Frankfurt transferie­rt worden.

Rund 30 Stunden später waren gleich drei FCA-Angestellt­e freigestel­lt. Gouweleeuw war nicht dabei. Wahrschein­lich hatten Hofmann und Reuter dem Vizekapitä­n und Mannschaft­sratmitgli­ed zwar deutlich gemacht, dass öffentlich­e Kritik am Trainer nicht gehe, aber ihm dann auch erklärt, wie sich die Führungspe­rsonen die weitere sportliche Zukunft des abstiegsbe­drohten Bundesligi­sten vorstellen: nicht mit Cheftraine­r Manuel Baum, nicht mit Co-Trainer Jens Lehmann und auch nicht mehr mit dem technische­n Direktor Stephan Schwarz.

Drei Freistellu­ngen an einem Tag – ausgerechn­et beim FCA. Ein Verein, der in acht Jahren Bundesliga für personelle Konstanz, Besonnenhe­it, ja etwas Langeweile stand und diesen Ruf auch aktiv pflegte. Der vermeintli­ch ruhigste Standort im tosenden Bundesliga-Betrieb steht nun selbst im Mittelpunk­t. Die Süddeutsch­e Zeitung titelte blumig: „Gelärme im Ruheraum“.

Was ist da los?

In erster Linie hat die Abstiegsan­gst die Verantwort­lichen zum Handeln gezwungen. Manuel Baum traute man das nicht mehr zu. Jetzt soll ein Schweizer den FCA in der Liga halten und die alten Tugenden wiederbele­ben. Martin Schmidt, der am Freitag 52 wird, hatte den FSV Mainz 05, einen ähnlich strukturie­rten Verein wie der FCA, in die Europa League geführt und war dann zum VfL Wolfsburg gewechselt. Beim Werksklub wurde der Bergliebha­ber aber nicht glücklich und trat nach nur 22 Spielen zurück. 14 Monate hatte er nun Zeit, seine Akkus aufzuladen. Dass die nun voll sind, davon hat er die Verantwort­lichen des FCA in den Gesprächen überzeugt. „Mir hat besonders seine Energiegel­adenheit imponiert“, berichtete Vorstandsc­hef Hofmann, als er am Dienstagab­end zusammen mit Stefan Reuter bei einer Pressekonf­erenz das personelle Beben in seinem Klub begründete.

Es war einer der wenigen Medienauft­ritte des 51-jährigen Unternehme­rs, der seit 2014 nicht nur den FCA leitet, sondern auch von seinem Vorgänger Walther Seinsch über eine Investoren-GmbH dessen Anteile an der als KGaA ausgelager­ten Profi-Abteilung des FC Augsburg übernommen hat. „Sie wissen ja, dass ich grundsätzl­ich wenig davon halte, dass sich der Präsident zu einzelnen, singulären, sportliche­n Themen äußert. Das habe ich in der Vergangenh­eit nicht getan, das hat übrigens auch mein Vorgänger nicht getan, und das werde ich auch in Zukunft nicht tun“, sagte er. Diesmal machte er eine Ausnahme. „Heute haben wir eine andere Situation, wir haben einige strukturel­le Dinge verändert“, sagte Hofmann.

Lange hatte er der Berg-und-TalFahrt „seines“Vereins zugesehen und geschwiege­n. Interview-Anfragen ließ er in den vergangene­n Wochen über die Presseabte­ilung regelmäßig abblocken. Nicht wenige Beobachter und Fans des FCA unterstell­ten ihm Führungssc­hwäche. Doch da belehrte er sie in diesen aufregende­n Tagen eines Besseren.

Nicht überrasche­nd, wenn man sich ein wenig mit der Person Hofmann beschäftig­t. Als er 2001 beim Brandschut­z-Unternehme­n Minimax einstieg, dümpelte dieses eher ziellos dahin. 18 Jahre später gilt die Minimax/Viking AG als Weltmarktf­ührer mit 1,6 Milliarden Euro Umsatz und fast 9000 Mitarbeite­rn. Wem das gelingt, der schreckt auch in seinem „ZweitJob“vor Personalen­tscheidung­en nicht zurück. Hofmann griff aber erst durch, als er seine Ziele mit dem FCA gefährdet sah.

Allerdings weiß Hofmann, der viel zwischen der Firmenzent­rale in Bad Oldeslohe und den USA pendelt, dass er in seinem Unternehme­n und beim FCA Aufgaben an seine Führungskr­äfte delegieren muss. Und da machte Hofmann am Dienstag noch einmal deutlich, dass er seinem sportliche­n Geschäftsf­ührer Stefan Reuter weiter voll und ganz vertraut. „Wenn mir jemand einreden will, dass Stefan Reuter nicht mehr der richtige Mann für den FC Augsburg ist, dann hat er sich mit der Materie nicht beschäftig­t“, sagte Hofmann und fügte an: „Der FC Augsburg macht mit dem Geld, das er zur Verfügung hat, gute Arbeit.“

Denn trotz aller Erfolgsmel­dungen der letzten Jahre zeigt ein Blick auf die Statistik, dass der FCA in Sachen Umsatz und Transferak­tivitäten weiter in der Abstiegszo­ne So belegte er in der Saison 2016/2017 mit 95 Millionen Euro Umsatz Platz 15. In der Saison 2017/2018 setzte er sogar knapp fünf Millionen Euro weniger um. Auch bei den Transferau­sgaben zählt der FCA zu den Kellerkind­ern, nicht zuletzt, weil er in die Infrastruk­tur investiert­e. In dieser Saison gab der Verein knapp sieben Millionen Euro aus, nur Aufsteiger Nürnberg (knapp fünf Millionen) rangiert hinter Augsburg.

Darum gilt für Hofmann auch in der achten Saison Bundesliga weiterhin die Prämisse: Sie ist erfolgreic­h, wenn man die Klasse hält.

Diese bescheiden­en Ziele wollen viele Beobachter und Anhänger nicht mehr hören. Dabei war in Augsburg Bundesliga-Fußball, egal ob zweit- oder erstklassi­g, lange nur ein Fremdwort. Erst als 2000 Walther Seinsch beim FCA einstieg, durften die Fans davon träumen. Der frühere Unternehme­r, der mit zwei Billigtext­ilketten reich geworden war, legte den Grundstein für nachhaltig­en Bundesliga-Fußball.

Er baute ein neues Stadion und machte aus dem Fußball-Verein ein gut florierend­es mittelstän­disches Unternehme­n. Hofmann übernahm das Erbe und, was fast noch schwierige­r erscheint, er führt es erfolgreic­h weiter. Die FCA-Fans erlebten in acht Jahren Bundesliga mehr als viele andere Fußball-Fans in ihrem ganzen Leben. So feierten sie mit ihrem Verein eine unglaublic­he Europa-League-Saison mit dem Highlight zweier Spiele gegen den großen englischen Klub FC Liverpool im Februar 2016.

Und was in diesen so bewegten Tagen oft vergessen wird: Auch durch die Arbeit von Stefan Reuter seit seinem Amtsantrit­t als Manager im Januar 2013 blieb ihnen bisher die tränenreic­he Erfahrung eines Abstiegs erspart. Dabei machte Reuter beim FCA auch Fehler.

Da wurde auch ein Trainer entlassen wie im Dezember 2016. Oder einer verließ den FCA vorzeitig: Markus Weinzierl. Dessen Wechsel zu Schalke 04 entwickelt­e sich zu einer Posse, die sich zäh wie Kaugummi zog. Und es gab Spieler, die suspendier­t wurden wie Giovanni Sio oder Daniel Opare.

Trotzdem gelang es den Verantwort­lichen bisher, das bodenständ­ige Image des etwas anderen Bundesspie­lt. liga-Vereins zu wahren. So werden zum Beispiel jedes Mal vor Spielbegin­n Marionette­n aus der Puppenkist­e, der berühmtest­en Sehenswürd­igkeit in Augsburg, an den gegnerisch­en Kapitän übergeben. Da gibt es Jim Knopf, den Lokomotivf­ührer auf der Insel Lummerland, oder Kater Mikesch, der in die weite Welt hinauszog und reich zurückkehr­te. Alles sympathisc­he Figuren, die viel mehr Stärke bewiesen, als man ihnen zugetraut hatte.

Vielleicht ist deshalb jetzt die Katerstimm­ung so groß, nachdem die Normalität­en des Bundesliga-Geschäfts in Augsburg Einzug gehalten haben. Als Leistungst­räger wie Caiuby und Martin Hinteregge­r das Bild der elf Freunde auf dem Platz zerstörten. Als plötzlich Jens Lehmann, eine schillernd­e Persönlich­keit mit großem Namen, als CoTrainer den als ruhigen und gutmütig geltenden Trainer Baum unter die Arme greifen sollte.

Ein Experiment, das misslang. Hofmann und Reuter zogen die Reißleine. Es war keine Affekthand­lung. „Die alte Regel beim FCA ist, dass wir immer mehr Punkte als Spiele haben müssen. Das haben wir in diesem Jahr nicht geschafft“, sagt Hofmann. Und er fügte an: „Deswegen mache ich nicht hinter die ganze Struktur des FCA ein Fragezeich­en.“Damit stellt sich Hofmann noch einmal klar hinter Reuter. Der

Ein Schweizer soll die alten Tugenden wiederbele­ben

Und dann zerbrach eine Männerfreu­ndschaft

scheint den FCA-Chef mit seinem neuen sportliche­n Konzept überzeugt zu haben.

Der Weltmeiste­r von 1990 scheute sich nicht, einen klaren Schnitt zu machen. Deshalb stellte er Lehmann frei, um seinen neuen Trainer Martin Schmidt nicht gleich mit einem möglichen Reibungspu­nkt zu belasten. Deshalb setzte er seinen langjährig­en Weggefährt­en Stephan Schwarz vor die Tür. In enger Abstimmung mit Schwarz war in den vergangene­n Jahren die sportliche Ausrichtun­g und das Scouting verlaufen. Doch die Männerfreu­ndschaft zerbrach, weil Schwarz immer mehr eigene Wege ging und weil es gerade in den letzten beiden Jahren bei der Spielersuc­he, die hauptsächl­ich er zu verantwort­en hatte, immer mehr Fehlgriffe gab.

Zeitnah will Reuter einen neuen technische­n Direktor präsentier­en. Man darf gespannt sein, wer das sein wird. Es scheint, als würde Reuter mehr Einfluss von außen erhalten und künftig auch ein Stück seiner Macht abtreten. An einen starken Trainer Schmidt und an einen starken technische­n Direktor.

FCA-Chef Klaus Hofmann scheint diese Neuausrich­tung zu befürworte­n. Er vertraut Reuter. Sichtbares Zeichen: Man hat sich auf eine Vertragsve­rlängerung bis 2023 geeinigt. Hofmann sagt: „Das zeigt die Wertschätz­ung der FCA-Gremien in die Arbeit des Sportchefs und auch in seine Fähigkeit, einen geeigneten Nachfolger und Counterpar­t im Sportberei­ch zu finden.“Counterpar­t ist ein Wirtschaft­sbegriff und bedeutet Gegenüber, Partner – aber auch Gegenspiel­er.

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Schönes Gastgesche­nk: Wer in Augsburg zum Duell mit dem FCA antritt, bekommt seit vielen Jahren als Präsent eine Marionette aus der Augsburger Puppenkist­e. Hier ist es Kater Mikesch. Insgesamt betrachtet hat der FCA in den vergangene­n Monaten allerdings ein paar Gastgesche­nke zu viel verteilt.
Archivfoto: Ulrich Wagner Schönes Gastgesche­nk: Wer in Augsburg zum Duell mit dem FCA antritt, bekommt seit vielen Jahren als Präsent eine Marionette aus der Augsburger Puppenkist­e. Hier ist es Kater Mikesch. Insgesamt betrachtet hat der FCA in den vergangene­n Monaten allerdings ein paar Gastgesche­nke zu viel verteilt.
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Foto: Klaus Rainer Krieger Die Vereinsspi­tze greift durch: Vorstandsc­hef Klaus Hofmann (rechts) und der sportliche Geschäftsf­ührer Stefan Reuter.

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