Katerstimmung beim FC Augsburg
Der abstiegsgefährdete Bundesligist pflegt sorgsam das Image des etwas anderen, besonnenen Vereins. Doch nun, in der sportlichen Krise und nach aufsehenerregenden Personalentscheidungen, ist mächtig Unruhe im Klub. Eine Führungskraft allerdings genießt da
Augsburg Als Jeffrey Gouweleeuw am Montagmittag vor der Geschäftsstelle des FC Augsburg seinen weißen Audi-SUV parkte, hatte der Innenverteidiger des Bundesligisten wohl kein so gutes Gefühl. Vielleicht dachte der Niederländer, er müsse beim Vorstandsvorsitzenden Klaus Hofmann und dem Geschäftsführer Sport, Stefan Reuter, zum Rapport antreten. Hatte der 27-Jährige doch nach der 0:4-Pleite gegen die TSG 1899 Hoffenheim massiv und öffentlich Kritik an Trainer Manuel Baum geäußert – was einem anderen Spieler einst nicht gut bekommen war. Ende Januar hatte sich Martin Hinteregger, 26, in ähnlicher Tonlage geäußert. Er war daraufhin suspendiert und auf Leihbasis zu Eintracht Frankfurt transferiert worden.
Rund 30 Stunden später waren gleich drei FCA-Angestellte freigestellt. Gouweleeuw war nicht dabei. Wahrscheinlich hatten Hofmann und Reuter dem Vizekapitän und Mannschaftsratmitglied zwar deutlich gemacht, dass öffentliche Kritik am Trainer nicht gehe, aber ihm dann auch erklärt, wie sich die Führungspersonen die weitere sportliche Zukunft des abstiegsbedrohten Bundesligisten vorstellen: nicht mit Cheftrainer Manuel Baum, nicht mit Co-Trainer Jens Lehmann und auch nicht mehr mit dem technischen Direktor Stephan Schwarz.
Drei Freistellungen an einem Tag – ausgerechnet beim FCA. Ein Verein, der in acht Jahren Bundesliga für personelle Konstanz, Besonnenheit, ja etwas Langeweile stand und diesen Ruf auch aktiv pflegte. Der vermeintlich ruhigste Standort im tosenden Bundesliga-Betrieb steht nun selbst im Mittelpunkt. Die Süddeutsche Zeitung titelte blumig: „Gelärme im Ruheraum“.
Was ist da los?
In erster Linie hat die Abstiegsangst die Verantwortlichen zum Handeln gezwungen. Manuel Baum traute man das nicht mehr zu. Jetzt soll ein Schweizer den FCA in der Liga halten und die alten Tugenden wiederbeleben. Martin Schmidt, der am Freitag 52 wird, hatte den FSV Mainz 05, einen ähnlich strukturierten Verein wie der FCA, in die Europa League geführt und war dann zum VfL Wolfsburg gewechselt. Beim Werksklub wurde der Bergliebhaber aber nicht glücklich und trat nach nur 22 Spielen zurück. 14 Monate hatte er nun Zeit, seine Akkus aufzuladen. Dass die nun voll sind, davon hat er die Verantwortlichen des FCA in den Gesprächen überzeugt. „Mir hat besonders seine Energiegeladenheit imponiert“, berichtete Vorstandschef Hofmann, als er am Dienstagabend zusammen mit Stefan Reuter bei einer Pressekonferenz das personelle Beben in seinem Klub begründete.
Es war einer der wenigen Medienauftritte des 51-jährigen Unternehmers, der seit 2014 nicht nur den FCA leitet, sondern auch von seinem Vorgänger Walther Seinsch über eine Investoren-GmbH dessen Anteile an der als KGaA ausgelagerten Profi-Abteilung des FC Augsburg übernommen hat. „Sie wissen ja, dass ich grundsätzlich wenig davon halte, dass sich der Präsident zu einzelnen, singulären, sportlichen Themen äußert. Das habe ich in der Vergangenheit nicht getan, das hat übrigens auch mein Vorgänger nicht getan, und das werde ich auch in Zukunft nicht tun“, sagte er. Diesmal machte er eine Ausnahme. „Heute haben wir eine andere Situation, wir haben einige strukturelle Dinge verändert“, sagte Hofmann.
Lange hatte er der Berg-und-TalFahrt „seines“Vereins zugesehen und geschwiegen. Interview-Anfragen ließ er in den vergangenen Wochen über die Presseabteilung regelmäßig abblocken. Nicht wenige Beobachter und Fans des FCA unterstellten ihm Führungsschwäche. Doch da belehrte er sie in diesen aufregenden Tagen eines Besseren.
Nicht überraschend, wenn man sich ein wenig mit der Person Hofmann beschäftigt. Als er 2001 beim Brandschutz-Unternehmen Minimax einstieg, dümpelte dieses eher ziellos dahin. 18 Jahre später gilt die Minimax/Viking AG als Weltmarktführer mit 1,6 Milliarden Euro Umsatz und fast 9000 Mitarbeitern. Wem das gelingt, der schreckt auch in seinem „ZweitJob“vor Personalentscheidungen nicht zurück. Hofmann griff aber erst durch, als er seine Ziele mit dem FCA gefährdet sah.
Allerdings weiß Hofmann, der viel zwischen der Firmenzentrale in Bad Oldeslohe und den USA pendelt, dass er in seinem Unternehmen und beim FCA Aufgaben an seine Führungskräfte delegieren muss. Und da machte Hofmann am Dienstag noch einmal deutlich, dass er seinem sportlichen Geschäftsführer Stefan Reuter weiter voll und ganz vertraut. „Wenn mir jemand einreden will, dass Stefan Reuter nicht mehr der richtige Mann für den FC Augsburg ist, dann hat er sich mit der Materie nicht beschäftigt“, sagte Hofmann und fügte an: „Der FC Augsburg macht mit dem Geld, das er zur Verfügung hat, gute Arbeit.“
Denn trotz aller Erfolgsmeldungen der letzten Jahre zeigt ein Blick auf die Statistik, dass der FCA in Sachen Umsatz und Transferaktivitäten weiter in der Abstiegszone So belegte er in der Saison 2016/2017 mit 95 Millionen Euro Umsatz Platz 15. In der Saison 2017/2018 setzte er sogar knapp fünf Millionen Euro weniger um. Auch bei den Transferausgaben zählt der FCA zu den Kellerkindern, nicht zuletzt, weil er in die Infrastruktur investierte. In dieser Saison gab der Verein knapp sieben Millionen Euro aus, nur Aufsteiger Nürnberg (knapp fünf Millionen) rangiert hinter Augsburg.
Darum gilt für Hofmann auch in der achten Saison Bundesliga weiterhin die Prämisse: Sie ist erfolgreich, wenn man die Klasse hält.
Diese bescheidenen Ziele wollen viele Beobachter und Anhänger nicht mehr hören. Dabei war in Augsburg Bundesliga-Fußball, egal ob zweit- oder erstklassig, lange nur ein Fremdwort. Erst als 2000 Walther Seinsch beim FCA einstieg, durften die Fans davon träumen. Der frühere Unternehmer, der mit zwei Billigtextilketten reich geworden war, legte den Grundstein für nachhaltigen Bundesliga-Fußball.
Er baute ein neues Stadion und machte aus dem Fußball-Verein ein gut florierendes mittelständisches Unternehmen. Hofmann übernahm das Erbe und, was fast noch schwieriger erscheint, er führt es erfolgreich weiter. Die FCA-Fans erlebten in acht Jahren Bundesliga mehr als viele andere Fußball-Fans in ihrem ganzen Leben. So feierten sie mit ihrem Verein eine unglaubliche Europa-League-Saison mit dem Highlight zweier Spiele gegen den großen englischen Klub FC Liverpool im Februar 2016.
Und was in diesen so bewegten Tagen oft vergessen wird: Auch durch die Arbeit von Stefan Reuter seit seinem Amtsantritt als Manager im Januar 2013 blieb ihnen bisher die tränenreiche Erfahrung eines Abstiegs erspart. Dabei machte Reuter beim FCA auch Fehler.
Da wurde auch ein Trainer entlassen wie im Dezember 2016. Oder einer verließ den FCA vorzeitig: Markus Weinzierl. Dessen Wechsel zu Schalke 04 entwickelte sich zu einer Posse, die sich zäh wie Kaugummi zog. Und es gab Spieler, die suspendiert wurden wie Giovanni Sio oder Daniel Opare.
Trotzdem gelang es den Verantwortlichen bisher, das bodenständige Image des etwas anderen Bundesspielt. liga-Vereins zu wahren. So werden zum Beispiel jedes Mal vor Spielbeginn Marionetten aus der Puppenkiste, der berühmtesten Sehenswürdigkeit in Augsburg, an den gegnerischen Kapitän übergeben. Da gibt es Jim Knopf, den Lokomotivführer auf der Insel Lummerland, oder Kater Mikesch, der in die weite Welt hinauszog und reich zurückkehrte. Alles sympathische Figuren, die viel mehr Stärke bewiesen, als man ihnen zugetraut hatte.
Vielleicht ist deshalb jetzt die Katerstimmung so groß, nachdem die Normalitäten des Bundesliga-Geschäfts in Augsburg Einzug gehalten haben. Als Leistungsträger wie Caiuby und Martin Hinteregger das Bild der elf Freunde auf dem Platz zerstörten. Als plötzlich Jens Lehmann, eine schillernde Persönlichkeit mit großem Namen, als CoTrainer den als ruhigen und gutmütig geltenden Trainer Baum unter die Arme greifen sollte.
Ein Experiment, das misslang. Hofmann und Reuter zogen die Reißleine. Es war keine Affekthandlung. „Die alte Regel beim FCA ist, dass wir immer mehr Punkte als Spiele haben müssen. Das haben wir in diesem Jahr nicht geschafft“, sagt Hofmann. Und er fügte an: „Deswegen mache ich nicht hinter die ganze Struktur des FCA ein Fragezeichen.“Damit stellt sich Hofmann noch einmal klar hinter Reuter. Der
Ein Schweizer soll die alten Tugenden wiederbeleben
Und dann zerbrach eine Männerfreundschaft
scheint den FCA-Chef mit seinem neuen sportlichen Konzept überzeugt zu haben.
Der Weltmeister von 1990 scheute sich nicht, einen klaren Schnitt zu machen. Deshalb stellte er Lehmann frei, um seinen neuen Trainer Martin Schmidt nicht gleich mit einem möglichen Reibungspunkt zu belasten. Deshalb setzte er seinen langjährigen Weggefährten Stephan Schwarz vor die Tür. In enger Abstimmung mit Schwarz war in den vergangenen Jahren die sportliche Ausrichtung und das Scouting verlaufen. Doch die Männerfreundschaft zerbrach, weil Schwarz immer mehr eigene Wege ging und weil es gerade in den letzten beiden Jahren bei der Spielersuche, die hauptsächlich er zu verantworten hatte, immer mehr Fehlgriffe gab.
Zeitnah will Reuter einen neuen technischen Direktor präsentieren. Man darf gespannt sein, wer das sein wird. Es scheint, als würde Reuter mehr Einfluss von außen erhalten und künftig auch ein Stück seiner Macht abtreten. An einen starken Trainer Schmidt und an einen starken technischen Direktor.
FCA-Chef Klaus Hofmann scheint diese Neuausrichtung zu befürworten. Er vertraut Reuter. Sichtbares Zeichen: Man hat sich auf eine Vertragsverlängerung bis 2023 geeinigt. Hofmann sagt: „Das zeigt die Wertschätzung der FCA-Gremien in die Arbeit des Sportchefs und auch in seine Fähigkeit, einen geeigneten Nachfolger und Counterpart im Sportbereich zu finden.“Counterpart ist ein Wirtschaftsbegriff und bedeutet Gegenüber, Partner – aber auch Gegenspieler.