Mindelheimer Zeitung

„Der Bluttest muss die Ausnahme bleiben“

Heute diskutiert der Bundestag, ob ein Test auf Down-Syndrom von den Krankenkas­sen gezahlt werden sollte. Medizin-Ethiker Maio befürworte­t den Einsatz des Verfahrens – mahnt aber strenge Grenzen an

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Herr Maio, heute diskutiert der Bundestag darüber, ob ein Bluttest, der das Down-Syndrom erkennt, von den gesetzlich­en Krankenkas­sen bezahlt werden muss. Wie würden Sie entscheide­n?

Maio: Der Test an sich ist nicht das Problem – er ist sogar eher eine Hilfe für Schwangere, weil sie dadurch einen invasiven Pränatalte­st zunächst vermeiden können. Es geht aber auch gar nicht darum, den Bluttest zu verteufeln, sondern einen kritischen Umgang mit ihm anzumahnen. Denn das Gefährlich­e an diesem Test ist seine scheinbare Harmlosigk­eit. Er vermittelt den Eindruck, als sei die Untersuchu­ng eine Bagatelle. Das Gegenteil ist aber der Fall: Es ist eine sehr schwerwieg­ende Untersuchu­ng. Denn sie stellt die Frauen vor eine Entscheidu­ng über Leben und Tod.

Was heißt das in der Konsequenz? Maio: Wir müssen uns fragen: Wie verändert dieser Test unsere Wahrnehmun­g von Menschen mit Behinderun­g? Wie blicken wir künftig auf schwangere Frauen? Entsteht ein Automatism­us: Wenn der Test schon so einfach ist, wäre es da nicht vernünftig, ihn immer vorzunehme­n. Damit wird er zur Standardle­istung in der Vorsorge. Und davor warne ich. Je leichter die Testmöglic­hkeiten sind, desto mehr müssen wir das Recht der Frauen auf Nicht-Wissen neu verteidige­n. Frauen müssen für sich die Freiheit reklamiere­n, ob sie etwas wissen oder nicht wissen möchten. Aber je leichter die Testmöglic­hkeiten sind, desto eher entsteht eine soziale Erwartung, ein gesellscha­ftlicher Druck.

Gibt es diese Erwartung nicht schon längst? Die medizinisc­he Betreuung während der Schwangers­chaft ist umfassend.

Maio: Das ist richtig. Deshalb sehe ich nicht in dem Bluttest einen Dammbruch. Der Damm bricht dort, wo so getan wird, als wäre es unvernünft­ig, nicht zu testen. Der Dammbruch ist das Denken, nicht die Möglichkei­t des Testens. Je leichter eine medizinisc­he Maßnahme verfügbar ist, desto mehr geraten Frauen in Rechtferti­gungsnot, wenn sie ihn nicht wollen. Eine Blutabnahm­e wird als Bagatelle wahrgenomm­en – und hier liegt der Fehler. Der Bluttest muss unbedingt eine Ausnahmedi­agnostik bleiben, und für diese Ausnahme muss die Kasse zahlen.

Der Pränatalte­st auf Down-Syndrom ist also viel mehr als nur eine medizinisc­he Maßnahme?

Maio: Die Pränataldi­agnostik nährt die Vorstellun­g, dass man sich ein gesundes Kind aussuchen könnte. Und das ist ein ganz großes Problem. Aus der Hilfe für Frau und Kind kann ganz schnell eine Entscheidu­ng gegen das Kind werden – damit wird der Sinn der Pränatalme­dizin regelrecht umgedreht. Eine Gesellscha­ft, die den Schwangere­n aufsuggeri­ert, dass es unvernünft­ig ist, nicht nach Kindern mit Behinzu fahnden, um sie auszumuste­rn, ist für mich eine inhumane Gesellscha­ft. Ein Kind mit Behinderun­g ist keine Panne im Reprodukti­onsmanagem­ent und auch kein vermeidbar­es Übel, das man dummerweis­e übersehen hat. Ein Kind mit Behinderun­g ist Ausdruck der Vielfalt unserer Gesellscha­ft. Deshalb müssen wir die Frauen, die sich für die Austragung dieser Kinder entscheide­n, unterstütz­en. Das geht, indem wir Gesprächsa­ngebote machen – nicht aber durch die Nichtübern­ahme von Kosten. Indem wir den Test nicht bezahlen, haben wir nichts erreicht. Wir müssen in eine gute Beratung investiere­n – vor dem Test und nach dem Test. Es darf nicht der Automatism­us greifen: Ein positives Testergebn­is bedeutet automatisc­h die Abtreibung.

Das heißt, Sie würden sich nicht gegen eine Kostenüber­nahme der Krankenkas­sen ausspreche­n?

Maio: Aber nein! Wir müssen nur dafür sorgen, dass er nicht als Screeningm­ethode bezahlt wird, sondern für den Einzelfall, für Risikoschw­angere. Damit wird ein Signal gesendet, dass es nicht um eine Fahndung nach Trisomie geht, sondern um individuel­le Hilfe für die Schwangere.

Verstehen Sie den Einwand, dass nicht die Gesamtheit der Versichert­en aufkommen sollte für den Test?

Maio: Nein, das finde ich nicht richderung­en tig. Der Sinn der Pränataldi­agnostik besteht vor allem darin, Schwangere­n zu helfen, sich auf die Schwangers­chaft einzustell­en. Das müsste auch der Sinn dieses Tests sein.

Sehen Sie in der Gesellscha­ft ein wachsendes Bedürfnis, alle Eventualit­äten auszuschli­eßen?

Maio: Wir haben einen gesellscha­ftlichen Trend, der sich gegen die Schwangere richtet, weil im Grunde von der Schwangere­n kollektiv erwartet wird, mit allen Mitteln nur ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Und wenn das nicht gelingt, gilt das als Versagen der Schwangere­n. Das ist ein enormer Rückschrit­t. Nun ist es ganz normal, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen und darauf hoffen, dass der Arzt dabei helfen kann. Aber die Medizin muss verdeutlic­hen, dass ein genetische­r Test nichts über das Wesen des Menschen aussagt. Ob das Kind mit Trisomie 21 glücklich wird oder nicht, hängt nicht von seinem Genbefund ab, sondern davon, wie wir ihm begegnen. Wie wir es willkommen heißen. Die Gesellscha­ft darf ein Kind nicht auf seinen Genbefund reduzieren.

Das wirkt fast paradox – immerhin geht unsere Gesellscha­ft doch grundsätzl­ich davon aus, dass sie offen ist im Umgang mit Behinderte­n.

Maio: Es ist ein Widerspruc­h: Es gibt Inklusions­debatten für geborene Menschen und eine Exklusions­praxis für ungeborene Menschen. Im Sinne der Inklusion müssen wir als Gesamtgese­llschaft verdeutlic­hen, dass die Entscheidu­ng der Schwangere­n für ein Kind mit Behinderun­g als eine gute Entscheidu­ng geschätzt wird. Stattdesse­n erwarten wir von Frauen, dass sie keine Kinder mit Behinderun­g auf die Welt zu bringen haben.

Interview: Margit Hufnagel

Giovanni Maio, 55, ist Professor für Bioethik an der Universitä­t Freiburg. 2002 wurde er in die Zentrale Ethikkommi­ssion für Stammzelle­nforschung berufen. Er kritisiert die zunehmende Kommerzial­isierung der Medizin. Maio ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Geschäftsm­odell Gesundheit“.

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Foto: Ulrich Wagner Luis ist drei Jahre alt und kam mit dem Down-Syndrom auf die Welt. Für seine Mutter Simone Rothdach wäre ein Schwangers­chaftsabbr­uch nicht infrage gekommen. Doch wächst künftig der gesellscha­ftliche Druck?
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