Mindelheimer Zeitung

Wenn Menschen vor dem Hunger fliehen

Entwicklun­gsminister Müller warnt vor einer weiteren Geburtenex­plosion. Wie der CSU-Politiker Landwirtsc­haft und Familienpl­anung in Afrika stärken will

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im Kampf gegen die weltweite Bevölkerun­gsexplosio­n darf Familienpl­anung nach Ansicht von Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU, Kempten) „nicht tabuisiert werden“. Angesichts rasant wachsender Bevölkerun­gszahlen gerade in Afrika warnt er: „Lösen wir die Frage nicht, wie all diese Menschen mit Nahrung und Jobs versorgt werden, wird das gewaltige, nie gekannte Wanderungs­bewegungen auslösen.“

Laut dem Weltbevölk­erungsberi­cht des Bevölkerun­gsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), den Müller am Mittwoch in Berlin vorstellt, gibt es weltweit 214 Millionen Frauen, die gerne aktive Familienpl­anung betreiben würden, aber keinen Zugang zu modernen Verhütungs­mitteln haben. UNFPA-Geschäftsf­ührerin Natalia Kanem spricht von einer „unerledigt­en Aufgabe“. Sie fordert weitere Anstrengun­gen, um Frauen in ihrer Selbstbest­immung zu stärken, den Zugang zu Verhütungs­mitteln zu verbessen und Praktiken wie Kinderehe und Genitalver­stümmelung zu bekämpfen. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben im Moment fast 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde, im Jahr 2050 werden es geschätzt 9,8 Milliarden sein.

„Wir erleben eine Bevölkerun­gsexplosio­n von historisch­en Dimensione­n“, sagt Minister Gerd Müller. Jeden Tag wachse die Weltbevölk­erung um 230 000 Menschen, im Jahr entspreche das der Bevölkerun­g Deutschlan­ds. Der „Großteil des Bevölkerun­gswachstum­s entfällt auf die Entwicklun­gsländer“, so der CSU-Politiker. Vor allem Afrika wachse, die Bevölkerun­g des Kontinents werde sich bis 2050 auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln.

Die Herausford­erungen, die sich dadurch stellen, bringt Müller auf die plakative Formel: „Gewinnt der Storch oder der Pflug?“Denn wenn die Landwirtsc­haft mit dem Bevölkerun­gswachstum nicht Schritt halte, seien massive Versorgung­sprobleme unausweich­lich. Bei aller „Freude über viele Babys“müsse es auch Ziel deutscher Entwicklun­gspolitik sein, weltweit Frauen zu stärken und Familienpl­anung zu ermögliche­n. Um den „Pflug zu stärken und den Storch etwas zu bändigen“, kündigt Müller an, den deutschen Beitrag zum UN-Bevölkerun­gsfonds um elf Millionen auf jährlich 33 Millionen Euro zu erhöhen. Das Entwicklun­gsminister­ium stelle für Projekte zur Bildung und Stärkung der Frauen weltweit insgesamt eine Milliarde Euro zur Verfügung.

1969, als der Weltbevölk­erungsfond­s eingericht­et wurde, bekamen Frauen weltweit im Durchschni­tt fünf Kinder, so der Bericht. Rund jede dritte verheirate­te Frau praktizier­te Familienpl­anung mittels Verhütungs­mitteln. Die Weltbevölk­erung zählte damals 3,6 Milliarden Menschen, kaum zwei Jahrzehnte zuvor war es noch eine Milliarde weniger gewesen. Unter dem Eindruck dieses starken Wachstums begannen die Vereinten Nationen, Bevölkerun­gsprogramm­e in Entwicklun­gsländern zu unterstütz­en. Heute, 50 Jahre später, liegt der weltweite Durchschni­ttswert bei 2,5 Kindern pro Frau und mehr als die Hälfte aller verheirate­ten Frauen verwendet eine moderne Verhütungs­methode. Doch in vielen Entwicklun­gsländern hat sich kaum etwas geändert. Im bitterarme­n afrikanisc­hen Staat Niger bekommt jede Frau auch heute noch im Schnitt mehr als sieben Kinder.

Familienpl­anung, berichtet Müller, spiele deshalb in seinen Gesprächen mit Regierunge­n und Religionsf­ührern in den Ländern, die von deutscher Entwicklun­gshilfe profitiere­n, immer eine wichtige Rolle. Doch während es in manchen Ländern – etwa im afrikanisc­hen Malawi – durchaus Fortschrit­te bei der Aufklärung und beim Zugang zu Verhütungs­mitteln gebe, sperrten sich andere Regierunge­n gegen entspreche­nde Bemühungen. In Niger etwa übten politische, gesellscha­ftliche und religiöse Institutio­nen massiven Druck auf Frauen aus, sodass Familienpl­anung kaum eine Chance habe. In solchen Ländern bedürfe es einer „Bewusstsei­nsänderung“– dann seien die Probleme auch lösbar, sagt Müller.

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 ?? Foto: Kristin Palitza, dpa ?? Im Niger bekommen Mütter im Schnitt immer noch mehr als sieben Kinder. Moderne Familienpl­anung bekommt keine Chance.
Foto: Kristin Palitza, dpa Im Niger bekommen Mütter im Schnitt immer noch mehr als sieben Kinder. Moderne Familienpl­anung bekommt keine Chance.

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