Mindelheimer Zeitung

Thatchers Handtasche­n-Deal

Mit einem legendären Auftritt handelte die Premiermin­isterin einst den „Briten-Rabatt“aus. Jetzt wird bekannt, dass Großbritan­nien damit ein glänzendes Geschäft gemacht hat

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Wann auch immer die Briten am Ende die EU verlassen, sie täten gut daran, vorher noch einmal nachzurech­nen. Denn das steht fest: Eine Mitgliedsc­haft in der Union zum Dumpingpre­is wie bisher werden sie nicht mehr bekommen. Am Tag des Brexits endet eine Ausnahmere­gelung, die in der Geschichte der EU einmalig ist: der Briten-Rabatt. Eine Aufstellun­g der Europäisch­en Kommission, die unserer Zeitung vorliegt, zeigt, um welche Dimensione­n es dabei geht: Seit dem Jahr 1985, als die Sonderrege­lung in Kraft trat, bis 2017 hat dieser Rabatt dem britischen Steuerzahl­er sage und schreibe 128 Milliarden Euro gespart. Das entspricht ungefähr dem Haushalt der Europäisch­en Union für ein Jahr.

„Die Steuerzahl­er der anderen Mitgliedst­aaten haben Großbritan­nien mit 128 Milliarden Euro subvention­iert“, kommentier­te der SPD-Europa-Abgeordnet­e Jo Leinen diese Zahlen gegenüber unserer Zeitung. Nach dem Austritt sei die Zeit für „Extrawürst­e“vorbei. Höhepunkt war übrigens die Finanzperi­ode zwischen 1999 und 2006, als Brüssel dem Vereinigte­n Königreich 40 Milliarden Euro erstattete.

Denn es handelt sich tatsächlic­h um eine Rückvergüt­ung. Die Regel sieht nämlich vor, dass London zunächst seinen Anteil am europäisch­en Haushalt zu zahlen hat. Das waren beispielsw­eise für das Jahr 2016 rund 12,8 Milliarden Euro plus 3,3 Milliarden Euro aus Mehrwertst­euer-Einnahmen der EU. Über Subvention­en und Beihilfen flossen sieben Milliarden Euro an Hilfen direkt in das Vereinigte Königreich. 66 Prozent des Nettobetra­gs ergaben 5,9 Milliarden Euro, die als Rabatt wieder zurückflos­sen. Sollte die nächste Generation der britischen Politiker je an einen Wiedereint­ritt in die EU denken, käme das Großbritan­nien sehr viel teurer zu stehen.

Die Geschichte dieses Rabatts beginnt genau genommen schon 1973, als Großbritan­nien EU-Mitglied wurde. Bereits ein Jahr später wollte London wieder aus der EU aussteigen, Bundeskanz­ler Helmut Schmidt verhindert­e das. Aber fortan nervte die britische Premiermin­isterin Margret Thatcher ihre Amtskolleg­en, bis es 1984 schließlic­h zum legendären Auftritt mit ihrer Handtasche kam, die sie heftig auf ihr Pult schlug und dabei den Satz rief: „Ich will mein Geld zurück.“Der amtierende Bundeskanz­ler Helmut Kohl und alle anderen stimmten – extrem gereizt – zu. Der Briten-Rabatt war geboren.

EU-intern wird er übrigens mit Blick auf Thatchers Auftritt gerne als Quengel-Rabatt bezeichnet. Alle Versuche, das System abzustelle­n, scheiterte­n bisher. Zwar verständig­te man sich 2005 darauf, die Vergünstig­ung bis 2013 zu reduzieren. Als es dann so weit war, beschlosse­n die Staats- und Regierungs­chefs jedoch, das Instrument im Finanzplan für die Jahre 2014 bis 2020 fortzuschr­eiben.

Die Briten selbst vergessen diese Gratifikat­ion übrigens gerne – auch im Wahlkampf vor dem Brexit-Votum Mitte 2016. Als damals der Slogan geboren wurde, dass das Land 350 Millionen Pfund pro Woche in das eigene Gesundheit­ssystem stecken

Die Brexit-Befürworte­r verschwieg­en das Geschäft

wollte, anstatt es der EU zu überweisen, hatte man sich genau genommen verrechnet. Die BrexitBefü­rworter hatten (absichtlic­h?) vergessen, den Rabatt abzuziehen – rund 95 Millionen Euro pro Woche. Aber Fakten spielten ohnehin keine allzu große Rolle.

Der Rabatt war und ist ein ständiger Zankapfel zwischen den Mitgliedst­aaten. Alle anderen EU-Länder müssen nämlich für die Vergünstig­ungen Großbritan­niens aufkommen – auch die ärmeren, jungen Mitglieder Osteuropas. In Jahr 2014 zahlte Polen so 294 Millionen, Rumänien 101 Millionen und Bulgarien, das ärmste EU-Land, 30 Millionen Euro. Deutschlan­d, die Niederland­e, Schweden und Österreich müssen nur ein Viertel des Betrages zahlen, der eigentlich ihrem Anteil entspreche­n würde. Anders gesagt: Sie bekommen einen Rabatt auf den Rabatt. Folglich stellen Frankreich und Italien etwa die Hälfte aller Erstattung­en bereit. 2014 zahlte Deutschlan­d 380 Millionen Euro, während Frankreich 1,6 Milliarden und Italien 1,2 Milliarden zahlten.

 ??  ??
 ?? Foto: Andy Rain, dpa ?? „Ich will mein Geld zurück“, polterte Margret Thatcher mithilfe ihrer Handtasche einst, bis Helmut Kohl und die anderen extrem gereizt aufgaben.
Foto: Andy Rain, dpa „Ich will mein Geld zurück“, polterte Margret Thatcher mithilfe ihrer Handtasche einst, bis Helmut Kohl und die anderen extrem gereizt aufgaben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany