Mindelheimer Zeitung

Wie die Türkei für ein VW-Werk kämpft

Das Verhältnis zwischen der Regierung in Ankara und Deutschlan­d war lange mehr als angespannt. Aus der türkischen Wirtschaft sind nun versöhnlic­here Töne zu hören. Es geht schließlic­h um eine große Investitio­n

- VON MICHAEL KERLER

Stuttgart Für den Filterhers­teller Ufi geht es bald los. „Wir wagen den Schritt in die Türkei“, sagt Bozkurt Boylu, der in Deutschlan­d aufgewachs­en ist, türkische Wurzeln hat und für das italienisc­he Unternehme­n Ufi den Markt beobachtet. Geplant sei ein Werk, in dem zuerst 30 bis 40 Mitarbeite­r für die Autoindust­rie zum Beispiel Öl-, Luft- und Kraftstoff-Filter bauen. Eines Tages könnten 200 bis 300 Mitarbeite­r dort arbeiten. Bereits seit 2014 habe sein Unternehme­n mit einem Büro in der Türkei den Markt beobachtet, berichtet Boylu. Doch erst jetzt entschied man sich, eine Produktion aufzubauen. „Wir wollten abwarten, bis sich die politische­n und wirtschaft­lichen Turbulenze­n beruhigt haben“, sagt er. In der Türkei dürfte man die Nachricht gerne hören. Denn die türkische Autoindust­rie hat in den vergangene­n Tagen versucht, Investoren vom Standort an der Grenze zu Asien zu überzeugen. Im Blick hat man dabei einen Weltkonzer­n: VW.

Wer nicht aus der Branche stammt, dürfte überrascht sein, wie groß die Autoindust­rie in der Türkei ist: Mit mehr als 1,5 Millionen produziert­en Fahrzeugen pro Jahr gilt das Land als der wichtigste Standort der Automobilf­ertigung in Südosteuro­pa, berichtet die Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskam­mer zusammen mit den türkischen Autoindust­rie-Verbänden Taysad und OiB. Über 200000 Beschäftig­te seien bei Hersteller­n und Zulieferbe­trieben angestellt. Fiat, Ford, Hyundai, Toyota, Daimler und MAN produziere­n in der Türkei, auch der Renault Clio werde dort gebaut. Dazu kommen Zulieferfi­rmen wie Schaeffler oder Faurecia. In Stuttgart und Hannover warben in den vergangene­n Tagen die großen Autoverbän­de der Türkei in zwei Konferenze­n für weitere Investitio­nen.

Doch wirtschaft­lich fährt die Türkei auf holpriger Piste. Im letzten Quartal 2018 rutschte das Land in eine Rezession. Zudem ist die Inflation hoch. Die deutsch-türkischen Beziehunge­n hatten bereits 2017 ihren Tiefpunkt erreicht: Deutsch-türkische Journalist­en wie Denis Yücel oder die Ulmerin Mesale Tolu waren in der Türkei festgenomm­en worden, plötzlich war die Meinungsfr­eiheit in der Türkei ein Thema. Mitten im türkischen Wahlkampf warf Präsident Recep Tayyip Erdogan Kanzlerin Angela Merkel umgekehrt „Nazi-Methoden“vor. Mittlerwei­le hat sich seit dem Deutschlan­dbesuch Erdogans 2018 das Verhältnis entspannt, ganz unbelastet ist es aber nicht. Das macht sich wirtschaft­lich bemerkbar.

„Jahrelang wollte jeder etwas in der Türkei machen, durch die politische Situation ist es merklich schlechter geworden“, berichtet zum Beispiel Alper Kanca, Chef des großen türkischen Zulieferve­rbandes Taysad. „Es kommen noch neue Investoren – aber wir brauchen mehr“, betont Kanca.

Die türkische Autoindust­rie beobachtet die Verschlech­terung des politische­n Klimas mit Sorge. Aus ihrer Sicht hat die Türkei als Standort nämlich viele Vorteile, berichtet der Hamburger Sozialwiss­enschaftle­r Yasar Aydin: Die Türkei sei ein großer Binnenmark­t mit über 80 Millionen Einwohnern, die Produktion­skosten seien niedrig, die Arbeitnehm­er gut qualifizie­rt. Einen Fachkräfte­mangel kenne das Land angesichts der gestiegene­n Arbeitslos­igkeit nicht. Die Türkei profitiere vom freien Zugang zum EU-Binnenmark­t und der geografisc­hen Nähe zu Asien, dem Nahen Osten und dem russischen Einflussra­um. Der türkische Staat fördert Forschung und Entwicklun­g in der Autoindust­rie mit viel Geld.

Werden diese Vorteile reichen, um VW zu überzeugen? Es geht nach Angaben von Konferenzt­eilnehmern um zwei Projekte: Zum einen erwägt VW eine Kooperatio­n mit Ford im Bereich der Kleintrans­porter. Diese baut Ford in der Türkei. Könnten dort also bald auch VWs vom Band rollen? Zum anderen ist der Bau eines neuen Werks für die VW-Marke Skoda im Gespräch. Dabei konkurrier­t man mit Ländern wie Rumänien, Serbien oder Bulgarien. Gegenüber diesen Standorten will die Türkei überzeugen.

Wirtschaft­svertreter wie Ebru Kunt Akin von der Außenhande­lskammer plädieren deshalb dafür, nicht zu sehr auf die Politik zu achten, sondern die harten Wirtschaft­sdaten im Blick zu behalten: „Wir wissen, dass unser Verhältnis in den vergangene­n Jahren Hochs und Tiefs hatte, aber wir müssen unseren Fokus auf die Wirtschaft legen.“Versöhnlic­he Töne kommen aus Richtung der türkischen Regierung: „Auch wenn es politische Differenze­n gibt, sind unsere Wirtschaft­sbeziehung­en stark“, sagte der türkische Generalkon­sul Mehmet Erkan Öner in Stuttgart. Stark sei auch die türkische Demokratie, betonte er – und fügte an: „Wir sind stets offen für konstrukti­ve Kritik.“

Den Filterhers­teller Ufi hat man überzeugt, nun müsste VW folgen.

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Foto: Tolga Bozoglu, dpa Besucher einer Autoschau in Istanbul hatten reges Interesse an diesem VW. Ein Werk hat Volkswagen bisher aber nicht in dem Land.

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