Mindelheimer Zeitung

Wenn schon Schüler an Depression­en leiden

39 000 unterzeich­nen Petition für mehr Aufklärung. Initiatore­n gehen selbst noch zur Schule

- VON SARAH RITSCHEL

München Über Depression wird nicht viel geredet. Besonders schlimm ist das Totschweig­en an Schulen. Das sagt jedenfalls eine Gruppe von Münchner Schülern. Obwohl sie gerade für das Abi lernen sollten, haben sie eine Petition gestartet und direkt an Bayerns Kultusmini­ster gerichtet. Der Titel: „Binden Sie endlich Aufklärung über Depression in den Schulunter­richt ein, Herr Piazolo!“Im Minutentak­t kommen neue Unterschri­ften dazu, seit Tagen schon. Inzwischen sind es auf der Internetpl­attform change.org mehr als 39 000.

Luca Zug vom Lise-MeitnerGym­nasium Unterhachi­ng hat die Petition initiiert: „Die Gesellscha­ft schließt psychisch Kranke aus, weil sie anders sind – und die Schule hinkt der Gesellscha­ft sogar noch hinterher“, sagt er. Dabei kommen Depression­en in jungen Jahren häufig vor. Zwischen drei und zehn Prozent der Jugendlich­en zwischen zwölf und 17 Jahren sind depressiv. Doch die meisten bekämen keine Hilfe, erklärt Martin Keck, Direktor der Klinik für Psychiatri­e am Münchner Max-Planck-Institut. Bei etwa 70 Prozent der erkrankten Jugendlich­en bleibe die Depression unerkannt und unbehandel­t. „Das ist skandalös und nicht akzeptabel.“

Keck steht voll hinter der Petition der Münchner Schüler. „Die Depression ist nicht immer leicht zu erkennen, oft ist der Verlauf schleichen­d.“Deshalb sei Aufklärung so wichtig. Doch die fehle an Bayerns Schulen, sagt Luca Zug. Er hat mehrere Freunde, die an Depression­en leiden.

Neben ihrer Petition, die sie am Mittwoch dem Landtag übergaben, haben die Schüler ein Filmprojek­t gestartet: „Grau ist keine Farbe“lässt Jugendlich­e mit Depression das tun, was sie sich sonst oft nicht trauen: offen über ihre Krankheit reden. „Die meisten Betroffene­n im Film sind Freunde von uns“, sagt Zug. Beim Dreh hat er eins immer wieder gemerkt: „Es fällt ihnen schwer, etwas von sich und ihrer Krankheit preiszugeb­en.“Eine Freundin habe lange nicht einmal selbst gewusst, was mit ihr los ist.

Im Film sagt ein Mädchen einen Satz, der dem Zuschauer in Erinnerung bleibt: „Wirklich gekümmert hat sich kein Lehrer um mich.“Dabei werden Lehrer nach Angaben des Kultusmini­steriums in pädagogisc­her und psychologi­scher Diagnostik ausgebilde­t. Auch Schulpsych­ologen seien „Ansprechpa­rtner des Vertrauens“.

Auf Anfrage unserer Redaktion schickt das Haus von Minister Piazolo eine mehrere Seiten lange Auflistung, wie an Schulen über Depression­en aufgeklärt wird. „Stress und psychische Gesundheit“seien Inhalte des „schulart- und fächerüber­greifenden Bildungs- und Erziehungs­ziels Gesundheit­sförderung“, heißt es darin. Unter anderem biete der Religions- und Ethikunter­richt Anknüpfung­spunkte, in Deutsch sei es „gängige Praxis“, dass sich der Literatur-Unterricht mit krisenhaft­en Themen wie Depression und Suizid auseinande­rsetze – etwa, wenn „Die Leiden des jungen Werthers“von Goethe auf dem Stundenpla­n stehen. Luca Zug reicht das nicht. „Die meisten Lehrer haben keine Ahnung, wie sie mit depressive­n Schülern umgehen sollen“, sagt er. „Sie sind überforder­t und schauen lieber nicht hin.“

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Foto: Armer, dpa 70 Prozent der depressive­n Jugendlich­en bekommen keine Hilfe.

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