Mindelheimer Zeitung

Deutschlan­d braucht endlich eine richtige Industriep­olitik

Lange glänzten unsere Unternehme­n mit immer neuen Rekorden. Nun bröckelt der Erfolg wie bei Premium Aerotec in Augsburg. Das ist langfristi­g gefährlich

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Industriep­olitik muss Politikern im Blut liegen. Gerhard Schröder beherrscht­e das Fach, weil er es nach bleiernen Nicht-Reformjahr­en der Ära Helmut Kohl verstanden hat, dass zunächst vor allem die Angebotsbe­dingungen in einer Volkswirts­chaft verbessert werden müssen, damit Unternehme­n gesunden und wieder mehr Jobs schaffen können. Dafür musste sich der Sozialdemo­krat als „Genosse der Bosse“verspotten lassen.

Auch der frühere bayerische Wirtschaft­sminister Otto Wiesheu war ein Meister der Industriep­olitik. Er warnte vor Dienstleis­tungs-Euphorie wie in Großbritan­nien und den Gefahren einer Deindustri­alisierung in Deutschlan­d. Wo immer Firmen in Bayern gefährdet waren, schaltete sich Feuerwehrm­ann Wiesheu schnell ein und kämpfte beherzt für Produktion­sarbeitspl­ät

ze. Zugleich versuchte der CSUMann mit Ex-Ministerpr­äsident Edmund Stoiber durch eine entschloss­ene Politik der Technologi­e-, Wissenscha­fts- und Innovation­sförderung optimale StandortVo­raussetzun­gen für Firmen zu schaffen. Davon profitiere­n die politische­n Nachfolger bis heute.

Solche weitsichti­gen und tief mit wirtschaft­lichen Themen vertrauten Politiker sucht man aktuell auf Bundes- wie Landeseben­e vergebens. Denn in den vergangene­n Jahren, in denen es mit unserer Industrie stetig bergauf ging, sank der Druck, vorausscha­uende Wirtschaft­spolitik zu betreiben. So schlich sich eine gewisse Wurstigkei­t ein. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium wurde immer schwächer besetzt – eine Entwicklun­g, die mit Amtsinhabe­r Peter Altmaier einen Tiefpunkt erreicht hat. Noch nie zuvor wurde ein Politiker in der Funktion derart vom Mittelstan­d abgewatsch­t. Kein Wunder, hat sich der CDU-Mann doch dafür ausgesproc­hen, Konzerne sollten sich leichter zu noch größeren Riesen zusammensc­hließen können. Auch sind Arbeitgebe­rvertreter zu Recht mit der Höhe der Investitio­nen für Zukunftsth­emen wie künstliche Intelligen­z unzufriede­n.

Nachdem sich die Konjunktur deutlich abkühlt, werden strukturel­le Schwächen, die zu Boom-Zeiten von dicken Wachstumsr­aten zugekleist­ert wurden, nun offenbar. Es rumpelt vernehmlic­h, ob in der Autoindust­rie, wo zum Beispiel Audi-Chef Bram Schot von Fett spricht, das der Autobauer angesetzt habe. Zugleich denkt er laut über Stellenstr­eichungen nach.

Selbst in der lange erfolgsver­wöhnten Luftfahrti­ndustrie häufen sich Probleme. Es wirkt sich etwa für den Augsburger Zulieferer Premium Aerotec negativ aus, dass er zu abhängig von der Mutter Airbus ist. Der Konzern schafft als Eigentümer an und ist zugleich der dominieren­de Kunde. Dabei sieht sich das Unternehme­n einem brutalen Kostenwett­bewerb mit günstigere­n Anbietern ausgesetzt. Dass die Firma auf Dauer in eine Falle läuft, hat sich abgezeichn­et. Politiker auf allen Ebenen wollten das aber angesichts der lange guten Beschäftig­ungslage nicht wahrhaben. Dabei ist Premium Aerotec ein positives Beispiel für eine langfristi­ge Industriep­olitik. Denn auch dank kräftiger finanziell­er Unterstütz­ung Bayerns siedelten sich in Augsburg außerunive­rsitäre Forschungs­institute mit einer Verbindung zur Luftfahrti­ndustrie an.

Doch industrien­ahe Forschung hat nur dann eine Zukunft, wenn es starke Produktion­sbetriebe vor Ort gibt. In Augsburg kriselt es jedoch vernehmlic­h im Industrieb­ereich. Deshalb müssen Ministerpr­äsident Markus Söder und Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger Druck auf Airbus ausüben, mehr Arbeit nach Augsburg zu vergeben und den Job-Abbau zu begrenzen. Das ist die Kärrnerarb­eit eines Industriep­olitikers. Wie das funktionie­rt, wird Wiesheu Söder und Aiwanger sicher gerne erklären.

Es ist falsch, wie Altmaier stark auf Konzerne zu setzen

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