Mindelheimer Zeitung

Mit dem Rücken zur Wand

Die Geschichte klingt paradox: Airbus feiert Rekordauft­räge, und trotzdem droht am Augsburger Standort ein massiver Stellenabb­au. Über den Moment des Schreckens und die Frage, wie es bei Premium Aerotec so weit kommen konnte

- VON ANDREA WENZEL, SONJA DÜRR UND STEFAN STAHL

Augsburg Es ist kurz vor elf am Donnerstag­morgen, als die Schreckens­nachricht klimatisch schon in der Luft liegt. Es ist jedenfalls kalt geworden in Augsburg. Viele der Mitarbeite­r, die auf dem Weg zur Betriebsve­rsammlung von Premium Aerotec an der Haunstette­r Straße sind, haben den Kragen ihrer Jacken hochgeschl­agen und laufen im schnellen Schritt Richtung Kantine. Weil dort nicht genügend Platz ist, wird die Versammlun­g zusätzlich ins Engineerin­g Center nebenan übertragen. Manche sind mit dem Fahrrad aus einem der anderen Werke gekommen, einige müssen erst die Drehkreuze passieren, um sich Zutritt zu verschaffe­n. Die meisten haben es eilig und wollen nicht reden. Nur ein junger Mann bleibt stehen und sagt: „Heute ist der Tag, an dem ich mir Antworten erhoffe, wie es hier am Standort weitergehe­n soll.“

Sein Wunsch wird sich nicht in der Art erfüllen, wie er sich das vorgestell­t hat.

Knapp zwei Stunden dauern die Ansprachen von Unternehme­nsleitung und Arbeitnehm­er-Vertretern. „Ich gehe wieder, ich habe keinen Platz bekommen“, ruft ein Mitarbeite­r irgendwann durchs Werkstor. Drinnen, erzählen Teilnehmer später, ist die Stimmung aufgeladen. Es gibt Buh- und laute Zwischenru­fe, als verkündet wird, dass beim Zulieferer von Flugzeugte­ilen mit seinen bislang 3600 Arbeitsplä­tzen bis zu 1100 Stellen abgebaut werden könnten. Die erhofften Antworten, wie das Restruktur­ierungspro­gramm genau aussehen soll und vor allem, wie es gelingen kann, die so oft geforderte­n Auftragspa­kete an den Standort zu bekommen, gibt es nicht. „Ich war schockiert, dass es nur Zahlen gab, aber keine Worte über eine mögliche Perspektiv­e“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Sebastian Kunzendorf hinterher.

Es ist die Nachricht, die viele der Premium-Aerotec-Mitarbeite­r in Augsburg gefürchtet haben dürften, seit am 28. Februar eine Mitteilung am Schwarzen Brett die Runde machte. „Restruktur­ierung Standort Augsburg“war dort zu lesen. Drei Worte, die viele Beschäftig­te des Zulieferer­s verunsiche­rt haben. Nun, genau sechs Wochen später, haben die Beschäftig­ten eine Ahnung, was damit gemeint ist.

Aber was hilft das schon? Oder die Tatsache, dass für die Stammbeleg­schaft bis Ende 2020 ein Kündigungs­schutz gilt? Schließlic­h ist seit diesem Donnerstag klar, dass danach Stellen wegfallen werden. Im schlimmste­n Fall könnte bis zum Jahr 2023 fast ein Drittel der derzeit 3600 Arbeitsplä­tze betroffen sein.

Wer verstehen will, wie es bei Premium Aerotec so weit kommen konnte, muss sich erst einmal mit dem Mutterkonz­ern Airbus beschäftig­en. Und findet überrasche­nd gute Zahlen vor. Das Jahr 2018 zum Beispiel hat der europäisch­e Flugzeugba­uer mit einem Rekord bei den Auslieferu­ngszahlen beendet. Die Auftragsbü­cher sind randvoll. Derzeit gibt es genug Bestellung­en, um die Airbus-Fabriken bis zu zehn Jahre lang auszulaste­n.

Warum also, fragt man sich in Augsburg, ist dieser Jobabbau nötig? Womit man einerseits beim A380 ist – jenem Riesenflie­ger, der einst als Lösung für chronisch überlastet­e Flughäfen und zugleich als Erfolgsmod­ell für Airbus angekündig­t wurde. Geworden ist daraus nichts. Mitte Februar kündigte der Konzern das Aus für das größte Passagierf­lugzeug der Welt an. Das trifft wiederum Premium Aerotec, wo Flügelvord­erkanten und andere wichtige Teile für das Modell hergestell­t werden. Hinzu kommt, dass durch den Übergang auf ein neues Modell der Airbus-Baureihe A330 zunächst weniger Mitarbeite­r gebraucht werden. 300 Stellen, heißt es, sind durch diese beiden Faktoren gefährdet.

Aber das ist nur ein Teil des Dilemmas, in dem Premium Aerotec steckt. Der andere lautet: Der Augsburger Standort arbeitet nach Ansicht von Airbus in Teilen zu teuer. Deswegen wird die Produktion von immer mehr Teilen in das Werk in Rumänien verlagert. Bestimmte Baugruppen von Flugzeugen kommen aus der Türkei, weil sie nach Aussage des Unternehme­ns in Augsburg nicht mehr wettbewerb­sfähig hergestell­t werden können. Und selbst von der immensen Nachfrage nach kleineren Modellen aus der A320-Familie profitiert Augsburg nicht entspreche­nd.

Kunzendorf, der Betriebsra­tsvorsitze­nde von Premium Aerotec, ist bitter enttäuscht von der Geschäftsf­ührung, die „den Standort ausbluten“lasse. „Sie hat offensicht­lich keinen Plan, Augsburg mit zukunftsfä­higen Produkten auszulaste­n.“Stattdesse­n solle die Verlagerun­g von Arbeitspak­eten ins kostengüns­tigere Ausland weitergehe­n. Geknickt seien manche, sagt er, anderen dagegen stinksauer.

Als die Versammlun­g beendet ist, lassen die Beschäftig­ten ihrem Frust freien Lauf. Gegen halb zwei formieren sie sich zu einem von der Gewerkscha­ft IG Metall organisier­ten Protestmar­sch um das Werksgelän­de. Mit roten Mützen, Fahnen und Transparen­ten ziehen mehr als 2000 Mitarbeite­r über die Haunstette­r Straße, die kurzzeitig gesperrt wird, zum rückseitig liegenden Werkseinga­ng – begleitet von einem lauten Pfeifkonze­rt. „Seit Jahren halten sie uns hin und verspreche­n, sich um neue Aufträge zu kümmern. Und seit Jahren passiert nichts. Aber Stellen abbauen, das können sie“, ruft eine ältere Frau wütend aus der Menge. Eifriges Kopfnicken bei den Kollegen rund herum.

Um kurz vor 14 Uhr kommt der Zug vor dem Werkstor in der Galvanistr­aße an. Noch einmal spricht Augsburgs IG-Metall-Chef Michael Leppek. Dann löst sich die Menge erstaunlic­h schnell auf. Es wird wieder ruhig auf dem Werksgelän­de der Airbus-Tochter.

Manch einer sagt an diesem trüben Tag auch: „Schon wieder Augsburg! Schon wieder ein Rückschlag!“Als hätte es in den letzten Monaten und Jahren nicht genug schlechte Nachrichte­n für den Industries­tandort gegeben. Der Lampenhers­teller Ledvance, der früher zu Osram gehörte, stellte im Oktober die Produktion ein, der japanische Computerpr­oduzent Fujitsu gab im selben Monat bekannt, die Fabrik – immerhin das letzte Computerwe­rk Europas – bis Ende 2020 zu schließen. Allein durch diese beiden Fälle verliert Augsburg um die 2550 Arbeitsplä­tze. Beim Roboterbau­er Kuka ging nach der Übernahme durch die Chinesen die Angst um – erst recht seit klar ist, dass am Stammsitz 350 Stellen gestrichen werden sollen. Und dann sind da die Namen, die man mit Insolvenze­n verbindet: Böwe Systec, Marktführe­r klassische­r Kuvertierm­aschinen schlittert­e 2010 in die Pleite, der Druckmasch­inenherste­ller Manroland im Jahr darauf, 2014 dann Weltbild. Alle drei Unternehme­n gibt es zwar noch, aber mit deutlich weniger Mitarbeite­rn.

Und jetzt auch noch der Stellenabb­au bei Premium Aerotec. Muss man sich also Sorgen machen um den Wirtschaft­sstandort Augsburg?

Erik Lehmann, 55, sitzt in seinem Büro an der Universitä­t Augsburg und es klingt, als hörte er die Frage nicht zum ersten Mal. Der Professor für Wirtschaft­swissensch­aften hält aber nichts von Schwarzmal­erei. Schon, weil seit längerem klar ist, dass es bei Premium Aerotec kriselt. Schon, weil die schieren Zahlen gegen das Gerede vom gebeutelte­n Industries­tandort sprechen: Im vergangene­n Jahr lag die Arbeitslos­enquote in Augsburg bei fünf Prozent – so niedrig wie lange nicht mehr. Viele Firmen suchen händeringe­nd nach qualifizie­rten Mitarbeite­rn.

Warum aber beschleich­t einen dennoch das Gefühl, dass sich eine schlechte Firmennach­richt an die nächste reiht? Wirtschaft­sprofessor Lehmann erklärt das mit der Psychologi­e: „Die betroffene­n Unternehme­n haben große Namen, sie haben eine gewisse Tradition. Das schafft Betroffenh­eit.“Zudem haben inzwischen viele der großen Arbeitgebe­r ihre Zentralen nicht in Augsburg. Die Verbundenh­eit mit dem Wirtschaft­sstandort geht verloren. Ein Nachteil für die Region.

Glaubt man dem Forschungs­institut Prognos, steht die Region dennoch gut da. Im Zukunftsat­las analysiert das Institut die Perspekti

Plötzlich hing dieser Hinweis am Schwarzen Brett

Ein Forschungs­institut macht der Region Hoffnung

ven aller deutschen Landkreise. Es geht darum, wie der Arbeitsmar­kt sich entwickelt, wie viel Geld die ansässigen Firmen für Forschung und Entwicklun­g ausgeben, ob mehr junge oder mehr alte Menschen in einer Region leben. Augsburg landet dabei auf dem 68. Platz von insgesamt 402. Was Wirtschaft und Arbeitsmar­kt angeht, ist es sogar Rang 47.

Nur, was heißt das schon, angesichts von Werksschli­eßungen und Stellenstr­eichungen? Prognos-Direktor Michael Schlesinge­r sagt: „Ich sehe Augsburg nicht als Krisenregi­on. Im Gegenteil.“Die Region profitiere von der Nähe zu München, aber auch von einem gesunden Mittelstan­d, einem Mix aus verschiede­nen Branchen und Firmen unterschie­dlicher Größe, die solche Rückschläg­e auch auffangen könnten. Und Wirtschaft­sprofessor Lehmann meint: „Nehmen Sie das Beispiel Ingolstadt. Die Stadt hängt an der Autoindust­rie. Da hat es Augsburg deutlich besser.“

Nur, davon können sich die Mitarbeite­r von Premium Aerotec nach diesem Donnerstag und dieser Schreckens­nachricht nichts kaufen.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Die Stunden des Schreckens: In einer Betriebsve­rsammlung erhalten die Beschäftig­ten von Premium Aerotec die Nachricht, dass am Augsburger Standort bis zu 1100 Stellen bedroht sind.
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Premium Aerotec stellt unter anderem Rumpfschal­en für den Airbus A 350 her.

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