Mindelheimer Zeitung

Wo bleibt die Vernunft?

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Hierzuland­e über eine Begrenzung der Höchstgesc­hwindigkei­t auf Autobahnen sachlich zu diskutiere­n, ist unmöglich. Ein Tempolimit berührt die nationale Seele. Die freie Fahrt für freie Bürger auf den Autobahnen gehört zu Deutschlan­d wie Bratwurst und Bier. Warum prägt gerade die Erlaubnis zum Rasen unsere Identität?

Die amerikanis­che New York Times lieferte vor kurzem die vielleicht beste Erklärung mit dem Blick von außen: Das Fahren ohne Fesseln ist die letzte Freiheit in einem ansonsten von Regeln eingeschnü­rten Land. Das Recht auf Bleifuß ist damit vergleichb­ar mit der Bedeutung des Rechts auf Waf

fen in den USA. Fast alle Deutschen halten es für wahnwitzig, dass sich jeder Amerikaner bis an die Zähne bewaffnen kann. Zehntausen­de Menschen sterben dort Jahr für Jahr durch Kugeln aus Schusswaff­en. Die Vernunft gebietet es, den freien Besitz von Pistolen und Gewehren zu verbieten. Doch die Vernunft hat keine Chance in der Debatte.

Vernünftig­e Argumente sprechen auch für ein Tempolimit auf Autobahnen. Die Zahl der Unfälle könnte gesenkt werden, klimaschäd­liches Kohlendiox­id würde eingespart. Die eigentlich­e Frage ist, warum man sich in einem Wagen aus Blech unter hoher Anspannung bei 200 Stundenkil­ometer auf einem schmalen Asphaltstr­eifen besonders frei fühlt?

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