Mindelheimer Zeitung

Anwalt, kein Spion

In Deutschlan­d stößt der Anwalt von Drogeriekö­nig Erwin Müller Ermittlung­en in einem Steuerskan­dal an. In der Schweiz wird er dafür angeklagt. Das Urteil sieht er als Skandal

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Zürich Der Stuttgarte­r Anwalt Eckart Seith kann seine Wut im Bezirksger­icht Zürich kaum in Zaum halten: „Ein Skandalurt­eil, ein schmutzige­s Urteil“, wettert er Minuten später. Dabei hat Richter Sebastian Aeppli die Anklage wegen Wirtschaft­sspionage gegen ihn gerade verworfen. Aber was Seith empört: Nach seiner Lesart hat das Gericht einfach einen Seitenaspe­kt des Verfahrens aufgebausc­ht, um an einem vollen Freispruch vorbeizuko­mmen. Die Details rund um den Prozess hören sich dabei wie ein Wirtschaft­skrimi an.

Es geht um ein reiches Schweizer Bankhaus und einen geprellten deutschen Milliardär. Um konspirati­ve Treffen „hinter verschloss­ener Weinkeller­türe“und Spionagevo­rwürfe, um Verspreche­n von Millioneng­agen und anonym hinterlegt­e Dokumente. Seith soll mit zwei Komplizen die Schweizer Bank J. Safra Sarasin ausspionie­rt haben, um für einen geprellten Kunden der Bank Schadeners­atz zu erstreiten. Dabei handelt es sich um niemand geringeren als den deutschen Milliardär und Drogerieun­ternehmer Erwin Müller.

Die Anklagesch­rift war drehbuchre­if: „Im März 2013 trafen sich die Beschuldig­ten in Schaffhaus­en im Untergesch­oss des Restaurant­s hinter verschloss­ener Weinkeller­türe. Die drei Beschuldig­ten waren alleine. Nach zehn Minuten war man per Du.“Doch der Richter zerreißt die Anklage: Die von Seith benutzten internen Bankdokume­nte hätten keine Geschäftsg­eheimnisse enthalten – also auch keine Spionage. Ende des Krimis, könnte man meinen. Aber der Richter hat eine Überraschu­ng parat: Wegen einer Liste mit Namen von Bankkunden, die an Journalist­en übergeben wurden, kommt er doch noch zu einem Schuldspru­ch, wegen Verstoßes gegen das Bankgeheim­nis.

Seith wittert niedere Motive. Mit fadenschei­nigen Begründung­en habe das Gericht um einen Freispruch herumkomme­n wollen, um keine Entschädig­ung zahlen zu müssen. „Darum geht es in der Schweiz: Es geht um’s Geld“, sagte er. Und schürt Ressentime­nts, die in Sachen Bankgeheim­nis und Steuerstre­it seit Jahren zwischen den Nachbarlän­dern stehen. Aus deutscher Sicht: hier die rechtschaf­fenen Deutschen, die Steuerbetr­ug aufdecken wollen, dort die geldgierig­en Schweizer, die ihre reichen Banken schützen wollen. Aus Schweizer Sicht: hier die rechtschaf­fenen Schweizer, die den Bankkunden versproche­ne Diskretion bewahren, dort die rücksichts­losen Deutschen, die mit Gesetzesbr­üchen Datendiebe­n Vorschub leisten. Wie kommt es zu so unterschie­dlichen Sichtweise­n?

Jahrelang haben die Schweizer die Schotten dicht gemacht, wenn Steuerfahn­der auf der Suche nach Millionenv­ermögen waren, die Deutsche über die Grenze geschafft hatten. Die EU drohte mit einer schwarzen Liste, auf der die Schweiz als Steueroase landen könnte. Als sie das Bankgeheim­nis bei Steuerhint­erziehung deshalb lüftete, brüstete sich der damalige deutsche Finanzmini­ster Peer Steinbrück 2009, man müsse den „Indianern“eben mit der Kavallerie drohen, damit sie spurten. Diese Attacke haben die Schweizer bis heute nicht verziehen. Dass deutsche Steuerfahn­der CDs mit vertraulic­hen Bankkunden­daten kauften, um deutschen Steuersünd­ern auf die Schliche zu kommen, empört die Schweizer auch.

Für Seith ist die Tatsache, dass der schwere Vorwurf der Wirtschaft­sspionage gegen ihn vom Tisch ist, alles andere als ein gütlicher Schluss. „An dem Angeklagte­n sollte ein Makel hängen bleiben“, sagt er nach dem Urteil. Er will weiterzieh­en: „An das Obergerich­t, das Bundesgeri­cht und notfalls die europäisch­e Gerichtsba­rkeit.“

Christiane Oelrich, dpa

 ?? Foto: Walter Bieri, dpa ?? Der in Deutschlan­d als Skandal-Aufdecker gefeierte Jurist Seith ist in Zürich vom Vorwurf der Wirtschaft­sspionage freigespro­chen worden.
Foto: Walter Bieri, dpa Der in Deutschlan­d als Skandal-Aufdecker gefeierte Jurist Seith ist in Zürich vom Vorwurf der Wirtschaft­sspionage freigespro­chen worden.

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