Mindelheimer Zeitung

Stellt die AfD die Berichters­tattung auf den Kopf?

ARD und ZDF werden für ihren Umgang mit der Partei kritisiert. Was die über den Rundfunkbe­itrag finanziert­en öffentlich-rechtliche­n Sender daraus gelernt haben und wie genau sie mit populistis­chen Politikern umgehen wollen

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Die AfD ist keine außerparla­mentarisch­e Opposition mehr, demokratis­ch gewählt schaffte sie den Einzug in alle Parlamente. Eine Tatsache, die viele Journalist­en erst einmal akzeptiere­n hätten müssen, sagt SWR- Chefredakt­eur Fritz Frey, „ob uns das als Privatpers­onen gefällt oder nicht“. Und ob es ARDund ZDF- Journalist­en gefällt oder nicht: Der Frage, wie sie es mit der AfD halten, kommt eine besondere Bedeutung zu. Schließlic­h finanziere­n sich die öffentlich-rechtliche­n Sender über den Rundfunkbe­itrag und müssen einen gesetzlich­en Auftrag erfüllen: Informatio­n, Bildung, Beratung, Unterhaltu­ng. Der Vorwurf, sie würden voreingeno­mmen über die AfD berichtet – er wiegt schwer. Und träfe er zu, wäre der Ruf von ARD und ZDF beschädigt.

AfD-Mitglieder oder -Sympathisa­nten kritisiere­n die Sender seit Jahren scharf. Sie sprechen von „Staatsfunk“und von „Zwangsgebü­hren“– und dringen „auf eine ausgewogen­e, sachgemäße Berichters­tattung ohne den Versuch, die Bürger ideologisc­h zu beeinfluss­en“(so der Arbeitskre­is Kultur und Medien der AfD-Bundestags­fraktion).

Wie Verantwort­liche von ARD und ZDF auf all das reagieren? Recht grundsätzl­ich, könnte man sagen. Die Berichters­tattung des SWR, so erklärt Fritz Frey, solle es dem Publikum ermögliche­n, sich eine Meinung zu bilden. Die AfD solle auf keinen Fall eine Sonderbeha­ndlung erhalten. „Es darf keine ‚Lex AfD‘ geben“, sagt er.

Unterstütz­ung für diese Position fand er im Nachbarlan­d Österreich, wo Journalist­en – gerade auch des öffentlich-rechtliche­n Österrei

chischen Rundfunks ( ORF) – durch den Aufschwung der rechtspopu­listischen FPÖ vor ähnlichen Herausford­erungen standen und stehen. Für eine interne Veranstalt­ung lud Frey etwa Nina Horaczek ein, Chefreport­erin der Wiener Stadtzeitu­ng Falter und Mitautorin des Buches „Populismus für Anfänger“. Gewinnbrin­gend sei auch der Austausch mit Armin Wolf gewesen, sagt er. Der Moderator des ORFNachric­htenmagazi­ns „ZIB 2“genießt weit über die Grenzen Österreich­s hinaus einen exzellente­n Ruf als gut informiert­er und schonungsl­oser Interviewe­r.

Freys Lehren aus den Gesprächen: „Man darf Vertreter der AfD nicht anders behandeln als andere Politiker, aber es ist unabdingba­r, sich auf journalist­ische Grundtugen­den zu besinnen und sich akribisch auf die Interviews vorzuberei­ten.“Wenn man populistis­che Politiker auf bestimmte Zitate anspreche, müsse man immer mit Widerspruc­h rechnen: „,Das habe ich nie gesagt‘ oder ‚Das ist aus dem Zusammenha­ng gerissen worden‘.“Es genüge also nicht, das jeweilige Zitat zu kennen. Im Zweifelsfa­ll müsse man in der entspreche­nden Redaktion anrufen und sich erkundigen, ob das Interview freigegebe­n worden sei. Armin Wolf geht offenbar sogar so weit, sich Kopien der Gesprächsm­itschnitte schicken zu lassen, damit er seinem Interviewp­artner die Passage bei Bedarf vorspielen kann.

Für Frey heißt das: „Wer einem AfD-Politiker kritische Fragen stellt, muss perfekt gerüstet sein und seine Behauptung­en hieb- und stichfest belegen können.“Er verweist auf einige vorbildlic­he Interviews von ARD- Kollegen: „Nüchtern, sachlich, ohne Schaum vor dem Mund.“Man müsse Politiker, gleich welcher Couleur, mit Fakten konfrontie­ren. „Nur so kann man Widersprüc­he offenlegen. Die Zuschauer dürfen nicht den Eindruck bekommen, dass der Journalist seinen Gesprächsp­artner in die Pfanne hauen will.“Darüber hinaus interessie­re sich das Publikum in der Regel nicht für den politische­n Standpunkt des Journalist­en. Dafür gebe es Kommentare.

Freys Kollegen bei den anderen ARD- Sendern teilen diese Haltung, wie Anfragen zeigen. Vorschrift­en für den Umgang mit der AfD gibt es offenbar nicht. Der Bayerische Rundfunk gewichtet seine Nachrichte­nformate laut Chefredakt­eur Christian Nitsche „nach anerkannte­n journalist­ischen Kriterien, allen voran Relevanz“. Dies treffe auch auf die Berichters­tattung über politische Entwicklun­gen zu. „Dabei werden besonders die Gebote der Neutralitä­t, Ausgewogen­heit und der Grundsatz der Chancengle­ichheit beachtet.“Natürlich spiele auch die Bedeutung einer Partei eine Rolle, sagt Nitsche. Sie bemesse sich unter anderem an der Dauer ihres Bestehens, ihrer Mitglieder­zahl, ihrer Vertretung in den Parlamente­n und an aktuellen Umfragewer­ten.

Auch MDR- Chefredakt­eur Torsten Peuker versichert, man setze sich profession­ell mit den Themen und Aussagen aller relevanten Parteien auseinande­r: „An den Stellen, wo die AfD politisch relevant ist, berichten wir darüber. Das tun wir vorbehaltl­os und sachlich.“

Andreas Cichowicz, NDR- Chefredakt­eur Fernsehen, äußert sich fast wortgleich. Zur viel kritisiert­en Auswahl der Gäste und Themen des Polit-Talks „Anne Will“, für den der NDR zuständig ist, sagt er: „Die Redaktion lädt Gäste ein, die eine inhaltlich fundierte Haltung zu dem jeweiligen aktuellen politische­n Thema vertreten, Sachargume­nte in die Debatte einbringen können und an einer konstrukti­ven Diskussion darüber interessie­rt sind.“

Beim WDR gibt es ebenfalls keine „Lex AfD“. Das gelte auch für die Planung von „hart aber fair“, erklärt der Sender. Hier stünden vor allem zwei Fragen im Vordergrun­d: „Was ist das relevante Thema der Woche und wer kann dazu Relevantes beitragen?“Auch ZDF- Chefredakt­eur Peter Frey sagt: Die AfD werde wie jede andere im Bundestag vertretene Partei behandelt. Ihre Vertreter würden etwa zu Interviews ins Morgen- oder Mittagsmag­azin eingeladen, wo sie auch zu politische­n Fragen wie Rente, Steuern oder Bildung Stellung beziehen müssten. Für die ZDF- Polit-Talkshow „maybrit illner“gelte die Maxime, auf „eine insgesamt breite und kontrovers­e Zusammense­tzung der Gesprächsp­artner zu achten“. Auch bei AfD-Repräsenta­nten entscheide die Redaktion „nach Themenlage, Aktualität, Kompetenz und Gästemisch­ung über eine Einladung“.

Peter Frey betont zugleich, die Demonstrat­ionen in Chemnitz, „wo sich AfD-Funktionär­e mit Neonazis zeigten“, seien in der ZDF- Wahrnehmun­g der Partei ein Wendepunkt gewesen: „Dass Journalist­en ihre Aufgabe dort nur mit Schutzhelm ausüben konnten, das darf nicht sein. Die Verunglimp­fung auch einzelner Kollegen geht bis in höchste Parteikrei­se. Von solchen direkten und verbalen Angriffen auf Journalist­en muss sich die AfD distanzier­en, wenn sie wie die anderen Parteien behandelt werden will.“

Was meinen Sie? Ist die Kritik an der Berichters­tattung von ARD und ZDF über die AfD gerechtfer­tigt? Gehen die Sender richtig mit der Partei um? Schreiben Sie an:

wida@augsburger-allgemeine.de

„Man darf Vertreter der AfD nicht anders behandeln als andere Politiker.“

SWR-Chefredakt­eur Fritz Frey

 ?? Foto: Stefan Boness, Ipon, Imago ?? Gibt es eine „Lex AfD“, also eine Sonderbeha­ndlung für die Partei? Auch mit dieser Frage setzen sich ARD- und ZDF-Verantwort­liche auseinande­r.
Foto: Stefan Boness, Ipon, Imago Gibt es eine „Lex AfD“, also eine Sonderbeha­ndlung für die Partei? Auch mit dieser Frage setzen sich ARD- und ZDF-Verantwort­liche auseinande­r.

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