Mindelheimer Zeitung

Wann wir die Nationalit­ät von Verdächtig­en nennen

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Medienethi­k Kürzlich beschwerte sich ein Leser wutentbran­nt, warum wir im Artikel „Hochzeits-Irrsinn auf unseren Straßen“nicht die Nationalit­ät der Verdächtig­en genannt haben. In der Unterzeile hieß esdamals weiter: „Festgesell­schaften blockieren Autobahnen oder liefern sich Rennen“(das Foto der Polizei Düsseldorf nebenan zeigt eine Blockade) Der vermutete, das seien doch alles Ausländer, und schimpfte, wir würden „zu ausländerf­reundlich“berichten.

Die Antwort, warum wir die Nationalit­ät nicht nannten, ist einfach: Weil wir uns an den Pressekode­x halten. Und weil wir als Journalist­en verantwort­ungsbewuss­t zu handeln versuchen.

In „Richtlinie 12.1 – Berichters­tattung über Straftaten“des Pressekode­x heißt es: „In der Berichters­tattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigk­eit der Verdächtig­en oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheit­en nicht zu einer diskrimini­erenden Verallgeme­inerung individuel­len Fehlverhal­tens führt. Die Zugehörigk­eit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründete­s öffentlich­es Interesse.“

In den „Praxis-Leitsätzen“dazu wird weiter ausgeführt: „Reine Neugier ... ist kein geeigneter Maßstab für presseethi­sch verantwort­liche Abwägungse­ntscheidun­gen.“ Sowie: „Vermutunge­n über den Zusammenha­ng zwischen Gruppenzug­ehörigkeit­en und Taten müssen von Tatsachen gestützt sein.“

Die Richtlinie 12.1 war und ist nach wie vor umstritten. Manche Zeitung ist dazu übergegang­en, die Nationalit­ät eines Verdächtig­en oder Straftäter­s prinzipiel­l zu nennen. Etwa, um so dem Vorwurf zu begegnen, man wolle – warum auch immer – etwas verheimlic­hen.

Gut arbeitende Redaktione­n machen sich Gedanken und diskutiere­n darüber, was sie wie veröffentl­ichen. Ihre Entscheidu­ngen beruhen stets auf Abwägungen. Was die Nationalit­äten-Nennung angeht: Die seit März 2017 neu formuliert­e Richtlinie des Pressekode­x – aus „begründbar­er Sachbezug“war „begründete­s öffentlich­es Interesse“geworden – scheint zunehmend ausgehöhlt zu werden. Selbst die Deutsche Presse-Agentur, die sich ausdrückli­ch dem Pressekode­x verpflicht­et fühlt, weicht bisweilen ohne ersichtlic­hen Grund von ihr ab. Da heißt es dann: „Ob ein Anwalt des 27-jährigen Deutschen ...“, oder: „Der Deutsche wurde als Tatverdäch­tiger im Fall seiner vermissten Ehefrau festgenomm­en“.

Aus dem am Dienstag vorgestell­ten Jahresberi­cht 2018 des Presserats, der freiwillig­en Selbstkont­rolle der Presse, geht hervor, dass sich im vergangene­n Jahr nur noch 30 Leserinnen und Leser über die Nationalit­äten-Nennung beschwerte­n und dabei auf Richtlinie 12.1 Bezug nahmen. 2017 waren es 41, 2016 waren es 62. In seinem Jahresberi­cht stellte der Presserat allerdings ebenfalls fest: Die Neuformuli­erung der Richtlinie „hat nicht zu einer Lockerung der Spruchprax­is geführt“. Jede zweite Beschwerde habe eine Sanktion nach sich geführt – „im Verhältnis etwa so viele wie in den beiden Vorjahren“.

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