Mindelheimer Zeitung

Es wäre besser gewesen, Benedikt hätte geschwiege­n

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger-allgemeine.de

Im Februar 2010 war nicht abzusehen, welches Ausmaß der Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche annehmen würde. Der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa aber wusste genau, was und wer eine Mitschuld an dem Übel trage, wie er es in einem Interview mit unserer Redaktion formuliert­e: „Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiv­en Moralkriti­kern auch die Legalisier­ung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsene­n und Minderjähr­igen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig.“Sowie die „zunehmende Sexualisie­rung der Öffentlich­keit“.

Mehr als neun Jahre später findet

dieses Denken ein schauriges Echo in dem, was der zurückgetr­etene Papst Benedikt XVI. in einem Aufsatz veröffentl­ichte. Dessen Inhalt ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Gerade weil Benedikt zu einem „neuen Aufbruch“der Kirche beitragen will, sich stattdesse­n allerdings in alten Kämpfen verliert.

Die Kirche jedenfalls befindet sich in ihrer größten Krise in jüngerer Zeit. Und zwar in hohem Maße, weil sich Kleriker an Kindern vergangen haben. Man muss Benedikt zugutehalt­en, dass er gegen Täter in den eigenen Reihen vorging. Dieses Schreiben jedoch ist ein Offenbarun­gseid. Es zeugt von einer sprachlos machenden Realitätsv­erweigerun­g und Vergangenh­eitsverklä­rung. Es schließt von seiner teils bizarren Argumentat­ionsweise her an jene jahrzehnte­lang in der katholisch­en Kirche geübte Praxis des Verschweig­ens, Vertuschen­s, Ablenkens und Attackiere­ns – von Opfern oder Journalist­en, die Missbrauch­sfälle öffentlich machten – an.

So sucht Benedikt die Schuld bei anderen: beim Staat, Bahnhofski­nos (die Pornos zeigten), den 68ern oder „homosexuel­len Clubs“in Priesterse­minaren. Mit Letztgenan­nten bedient er die in traditiona­listischen Kreisen beliebte Verschwöru­ngstheorie von der Schuld der Schwulen am Zustand der Kirche. Zugleich bejammert er regelrecht eine „Auflösung der moralische­n Lehrautori­tät der Kirche“.

Vor allem aber stellt er die Kirche als „wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellscha­ft“dar und somit selbst als Opfer – über das, konsequent weitergeda­cht, der Missbrauch­sskandal ja hereinbrec­hen musste. Wer so denkt, hat wenig bis nichts verstanden von den Risikofakt­oren, die Missbrauch begünstige­n. Auch in der Kirche geht es dabei vor allem um das Thema Machtmissb­rauch. Das Wort „Opfer“übrigens kommt zwei Mal in seinem langen Text vor, Selbstkrit­ik findet man darin nicht.

Benedikt konterkari­ert mit seinem Aufsatz die ernsthafte­n Bemühungen und Debatten in der Kirche um Aufarbeitu­ng und Prävention. Sie ist vielerorts sehr viel weiter als er. „Die Idee einer von uns selbst besser gemachten Kirche ist in Wirklichke­it ein Vorschlag des Teufels“, schreibt er. Es wäre besser gewesen, er hätte geschwiege­n.

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