Mindelheimer Zeitung

Journalism­us darf nicht strafbar sein

Wikileaks-Gründer Julian Assange ist kein Sympathiet­räger. Ob er Gesetze verletzt, muss man untersuche­n. Aber nicht journalist­ische Praxis unter Strafe stellen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Nein, Julian Assange ist kein strahlende­r Held. Der Gründer der Enthüllung­splattform Wikileaks agiert so, wie er am Donnerstag voriger Woche zu besichtige­n war, als ihn britische Polizisten aus der Botschaft Ecuadors in London zerrten: Wirr waren da seine Haare, lang der Bart.

Wirr bis sprunghaft sind auch die Gedanken und Handlungen des Australier­s, der fast sieben Jahre in dem Botschafts­gebäude ausharrte, nachdem er mit seiner Plattform – und in Kooperatio­n mit Medien wie der New York Times, dem Guardian und dem Spiegel – das Innenleben der Weltmacht USA der ganzen Welt offenbart hatte, sodass deren Mächtige vor der ganzen Welt blamiert dastanden. Ich gehörte damals zu einem Spiegel-Team, das die vielen (Hundert)tausende USDatensät­ze über den Afghanista­nKrieg,

Geheimakti­onen in Pakistan, über Botschafts­aktivitäte­n aus der ganzen Welt auswerten durfte. Schon damals war der Umgang mit Assange außerorden­tlich schwierig, weil er ein Aktivist war, kein Journalist. Seine Agenda (die vermeintli­chen Verbrechen einer Weltmacht offenzuleg­en) verfolgte er so starr, dass er dafür vielleicht sogar über Leichen gegangen wäre. Manche Grundsätze – etwa dass der Schutz von Informante­n vor Repressali­en wichtiger ist als totale Transparen­z – mussten meine Kollegen und Vorgesetzt­en damals intensiv mit ihm verhandeln.

Man kann Assange also unsympathi­sch, selbstgere­cht, auch rücksichts­los nennen. Aber ist er deswegen ein gefährlich­er Straftäter? Bei seiner aktuellen Verhaftung geht es nur vordergrün­dig um vermeintli­che Verletzung­en von Auflagen zur Haftversch­onung – und auch nicht wirklich um Neues zum Verfahren gegen ihn wegen angebliche­r sexueller Nötigung. Es geht um das Staatsverb­rechen Geheimnisv­errat. Kurz nach Assanges Festnahme veröffentl­ichte ein Gericht in Alexandria im US-Bundesstaa­t Virginia eine Anklage gegen den InternetAk­tivisten. Darin wird ihm „Verschwöru­ng zum Eindringen in Computer“vorgehalte­n – er sei nicht autorisier­t gewesen, „klassifizi­erte Informatio­nen der Vereinigte­n Staaten zu erhalten“.

Schaut man sich diese Anklage näher an, wird es aber brandgefäh­rlich. Es geht darin nämlich auch um die prinzipiel­le Frage, wie viel Journalism­us noch erlaubt sein soll – und wie leicht sich gerade Journalist­en, die über das schreiben, was Mächtige geheimhalt­en wollen, strafbar machen können.

Denn so unsympathi­sch sich Assange gerieren mag: Der Vorwurf, schon durch die Veröffentl­ichung von geheimen Informatio­nen habe er Blut an seinen Händen, ließ sich nie wirklich erhärten. Erhärtbar ist aber, was auch dank ihm Bürger erfuhren über unsinnige Kriegsstra­tegien, gefährlich­e Geheimdien­staktivitä­ten – den ganzen Irrsinn von (zu) viel Macht also.

Dass dies ein Bürgerrech­t ist, hat damals schon Barack Obama nicht verstanden, der sich als Kämpfer für Pressefrei­heit gerierte – aber in Wahrheit höchst restriktiv gegen Whistleblo­wer vorging. Natürlich versteht es sein Nachfolger Donald Trump nicht, der Journalist­en ohnehin als Volksfeind­e bezeichnet.

Wohlgemerk­t: Es ist völlig in Ordnung, zu klären, ob sich Julian Assange strafbar gemacht hat (hacken ist kein Journalism­us!).

Was Assange aber auch vorgehalte­n wird, sind Verhaltens­weisen, die alle Journalist­en praktizier­en müssen – ob sie aus Afghanista­n berichten oder über den Bürgermeis­ter in ihrer kleinen Gemeinde. Etwa die, Quellen zu schützen. Oder sich im digitalen Überwachun­gszeitalte­r gelegentli­ch verschlüss­elter Informatio­nswege zu bedienen.

Essenziell­e journalist­ische Praktiken in Frage zu stellen ist: nicht in Ordnung. Ganz gleich, ob man Mr. Assange mag oder nicht.

Trump sieht Journalist­en als Volksfeind­e

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