Mindelheimer Zeitung

„Milch ist kein Erfrischun­gsgetränk“

Ernährung An Kuhmilch scheiden sich seit einiger Zeit die Geister: Die einen halten sie für gesund, die anderen meiden das Getränk lieber. Ein Experte klärt nun auf

- Interview: Dominik Dose

Herr Watzl, bei einigen Meinungsfü­hrern sind Milch und Milchprodu­kte in Verruf geraten. Bestseller-Autor Bas Kast sagt beispielsw­eise, sie sei nur etwas für Babys und sorge bei Erwachsene­n vielleicht für Krebs. Wie berechtigt sind solche Bedenken gegen Milch? Bernhard Watzl: Vollkommen unberechti­gt. Der Unterschie­d zwischen der Wissenscha­ft und solchen Meinungen ist, dass wir Forscher uns eine große Zahl an Studien ansehen und diese vergleiche­n. Wir greifen uns nicht nur eine Studie heraus, deren Resultat uns gerade so passt. Und aus allen Daten, die uns vorliegen, lässt sich klar sagen: Milch ist gesund. Besonders bei den rund 100 Milliliter­n Milch, die Deutsche im Schnitt täglich zu sich nehmen.

Was macht die Milch denn gesund? Watzl: Sie enthält viele Proteine, Kalzium, B-Vitamine. Milch und Milchprodu­kte sind ein guter und vielseitig­er Bestandtei­l unserer Ernährung. Allerdings, was man auch sagen kann: Um sich gesund zu ernähren, muss man nicht zwingend Milch trinken. Man kann auch auf sie verzichten.

Hat Milch also gar keine negativen Auswirkung­en auf die Gesundheit? Watzl: Doch. Wenn Männer jeden Tag mehr als 1,2 Liter Milch oder mehr als 120 Gramm Käse konsumiere­n, erhöht sich ihr Risiko für Prostatakr­ebs. Zwar steigt die Gefahr nicht enorm, aber die Steigerung ist statistisc­h belegbar.

Teilweise wird Milch aber auch für andere Krebsarten verantwort­lich gemacht.

Watzl: Dafür gibt es keine Belege. Im Gegenteil, erwiesen ist, dass ein moderater Verzehr von Milch und Milchprodu­kten das Risiko für Dickdarmkr­ebs senkt – in einem gewissen Maß. Generell darf man den Einfluss von Ernährung auf Krebsrisik­en nicht überschätz­en, dieser liegt meist zwischen fünf und 20 Prozent.

Für Aufsehen sorgte neulich aber Medizinnob­elpreisträ­ger Harald zur Hausen, der bestimmte Stoffe in der Milch als womöglich brust- und darmkrebsf­ördernd ausmachte.

Watzl: Das waren nun reine Theorien von Herrn zur Hausen. Er hat hier von bestimmten Annahmen mögliche Gefahren abgeleitet. Es ist eigentlich unverantwo­rtlich, so etwas völlig ohne Belege zu verbreiten.

Der Bestseller-Autor Andreas Michalsen rüttelt sogar an den Grundeigen­schaften der Milch. Er sagt, Milch spende dem Körper kein Kalzium, sondern raube es ihm. Das läge an den Auswirkung­en, die das tierische Protein auf den Körper habe.

Watzl: Das ist ein Märchen. Ja, die Kalzium-Ausscheidu­ng durch den Urin steigt, wenn man Milchprodu­kte verzehrt. Aber gleichzeit­ig steigt die Kalzium-Aufnahme, und zwar stärker als die Ausscheidu­ng. Dass Milch ein Kalzium-Räuber wäre, ist also Unsinn.

Bei der Wirkung von Milch auf die Osteoporos­e-Gefahr gibt es sogar zwei gegenläufi­ge Meinungen: Die einen sagen, sie helfe dagegen, andere sagen, Milch verursache sogar Osteoporos­e. Was stimmt?

Watzl: Beides ist falsch. Der Verzehr von Milchprodu­kten hat keine signifikan­ten Auswirkung­en auf das Osteoporos­e-Risiko, zeigen Studien. Da gibt es viele verschiede­ne andere Faktoren, die für diese Krankheit eine Rolle spielen, etwa ausreichen­d Bewegung, eine gute VitaminD-Versorgung und die Vermeidung von Mangelernä­hrung.

Gleichzeit­ig gibt es immer mehr Menschen, die sagen, sie leiden unter Laktose-Intoleranz. Wie viele Deutsche vertragen den Milchzucke­r denn tatsächlic­h nicht?

Watzl: Das sind zehn bis fünfzehn Prozent. Und auch bei denen ist es nicht so, dass sie bei einem Esslöffel Milch gleich Blähungen oder Durchfall bekommen. Da reden wir – bei normaler Ausprägung – eher von 200 Milliliter­n Milch, ab denen es kritisch werden kann.

Gleichzeit­ig werden Milchprodu­kten auch positive Eigenschaf­ten zugewiesen. Etwa dem Spermidin, einem Stoff, der in Käse enthalten ist und dem verschiede­ne positive Auswirkung­en auf unsere Gesundheit zugeschrie­ben werden.

Watzl: Das ist genauso übertriebe­n und führt zu nichts. Auch hierfür gibt es keine Belege. Sich auf die Wirkung einzelner Inhaltssto­ffe zu fixieren und damit ein Produkt zu bewerten, ist immer schwierig. Wir konsumiere­n ja Lebensmitt­el, die aus ganz vielen Bestandtei­len bestehen, und keine einzelnen Substanzen.

Begeben wir uns gedanklich mal vor das Kühlregal und stellen uns die Frage, welche Milch am besten ist. Bringt uns Bio-Milch Gesundheit­svorteile? Watzl: Ja, tatsächlic­h. Die Zusammense­tzung der Fette ist besser, wenn die Bio-Ernährungs­vorgaben eingehalte­n werden. Die Milch hat dann beispielsw­eise mehr der guten Omega-Fettsäuren. Hier hat die Wahl des Bioprodukt­s also einen positiven Effekt.

Und lieber Vollfett- oder fettreduzi­erte Milch?

Watzl: Hier ist mittlerwei­le klar: Im Normalfall ist die Vollfett-Variante die bessere Wahl. So gibt es fettlöslic­he Inhaltssto­ffe, die hier dem Körper besser zugänglich sind. Selbst wer auf sein Gewicht achten möchte, sollte deswegen eher zur normalen Variante greifen – und dann lieber an der Menge sparen.

Letzte Entscheidu­ng: H-Milch oder Frischmilc­h?

Watzl: Das ist vor allem eine Geschmacks­sache. Frischmilc­h hat zwar etwas weniger Vitaminver­luste, aber aus wissenscha­ftlicher Sicht fällt das nicht ins Gewicht. Wer nur wenig Milch verbraucht und deswegen H-Milch kauft, macht also nichts falsch.

Neben dem Kühlregal stehen oft natürlich noch andere Produkte: veganer Milchersat­z aus Soja, Mandel oder Getreide. Was ist davon zu halten? Watzl: Mit Milch hat das natürlich gar nichts zu tun. Das sind hochverarb­eitete pflanzlich­e Produkte, bei denen viel Arbeit und Technik nötig ist, dass sie an Milch erinnern. Auch die Ökobilanz etwa bei Mandelmilc­h ist schlecht, weil für den Mandelanba­u viel Wasser nötig ist und das ausgerechn­et in Regionen passiert, in denen es ohnehin wenig Wasser gibt. Aber: Veganer, die damit die Funktionen von Milch ersetzen wollen, können natürlich schon auf die Produkte zugreifen. Wenn entspreche­nde Mineralien und Vitamine zugesetzt sind, können die Veganer so auch die fehlenden Inhaltssto­ffe der Milch auffangen.

Und empfiehlt es sich eher, Milch zu trinken oder die daraus gemachten Produkte, also etwa Käse und Joghurt?

Watzl: Die verarbeite­ten Produkte sind in ihrer Nährstoffz­usammenset­zung günstiger, die Proteine lassen sich besser verdauen. Außerdem hat man natürlich einfach eine größere Produktpal­ette als nur bei Milch. Mir haben auch schon Männer erzählt, dass sie jeden Tag einen Liter Milch trinken. Das ist dann nicht mehr zu empfehlen, Milch ist kein Erfrischun­gsgetränk.

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Foto: Lukas Schulze, dpa Ein kühles Glas Milch am Tag gilt als gesund. Zuviel Milch kann aber Auswirkung­en auf die Gesundheit haben.

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