Ein Dorf bastelt sich schnelles Internet
Breitband Die oberbayerische Gemeinde Halsbach hat ihre Glasfaserkabel selbst verlegt. Warum der Ort damit drei Viertel der Kosten spart und wie das Beispiel Schule macht
Halsbach Aus der Ferne wirken die Häusergrüppchen wie von Riesenhand über die Landschaft gestreut. Der oberbayerische Ort Halsbach besteht aus 67 Weilern mit meist nur ein paar Häusern. Genau das machte Bürgermeister Martin Poschner Kopfzerbrechen. Denn als er 2014 an die Rathausspitze des 950-SeelenOrtes im Landkreis Altötting gewählt wurde, hatte er eine Mission: schnelles Internet für alle. Aber gerade die großen Strecken zwischen den Ansiedlungen machten die Glasfaserverkabelung zu einem unerschwinglichen Millionen-Projekt.
Gut vier Jahre später haben die Halsbacher auf ihren Einödhöfen das, wovon viele andere Menschen auf dem Land noch träumen: schnelles Internet mit mindestens 100 Mbit/s pro Sekunde. Querfeldein über Wiesen und Äcker verlegte die Gemeinde die Kabel ohne große Umwege zu den Gehöften, ein Spezialgerät pflügte sie einfach in die Erde. Glückwünsche habe er bekommen, sagt Poschner – und Anfragen, von einer Gemeinde in Hessen etwa. Das benachbarte Burgkirchen an der Alz folgt dem Beispiel schon, und auch die drei Nachbargemeinden Kirchweidach, Tyrlaching und Feichten an der Alz gehen ähnlich vor – in ländlichen Gegenden könnte das Modell weiter Schule machen.
Zwar kommt der Ausbau in Bund und Land den Ministerien zufolge gut voran: Das Bundesverkehrsministerium meldet, zwei Drittel aller Haushalte hätten mindestens 100Mbit/s-Anschlüsse. Der Bund hat für den Breitbandausbau für diese Legislatur bis zu zwölf Milliarden Euro eingeplant. Die Nachfrage sei groß, auch wenn bisher erst rund 140 Millionen Euro ausgezahlt wurden. Beim bayerischen 1,5-MilliardenEuro-Programm gab es laut Finanzminister Albert Füracker (CSU) Förderzusagen für 900 Millionen Euro an 1750 Kommunen.
Trotzdem: Vielerorts hakt es. Im Landkreis Cham etwa ging es lange nicht voran, nachdem 2017 das Münchner Unternehmen M-net den Wettbewerb für das Glasfasernetz gewonnen hatte. Nun nimmt der Landkreis die Sache selbst in die Hand. Auch Icking südlich von München kümmert sich selbst ums Verlegen der Kabel. „Dieses Jahr werden wir fertig“, sagt Bürgermeisterin Margit Menrad. „Wir bauen Glasfaser bis zum Haus.“Das Angebot der Telekom habe schnelle Leitungen nur bis zu Kabelverzweigern vorgesehen. Die Rate von 30 Mbit/s pro Sekunde als Mindestanforderung ist Menrad ohnehin zu wenig. „Bis die 30 Mbit/s überall angekommen sind, sind sie schon wieder überholt.“Die Ickinger sollen je nach Vertrag in Zukunft mit bis zu 1000 Mbit/s surfen. Die Gemeinde gibt dafür rund 5,5 Millionen Euro aus, knapp ein Zehntel kommt vom Freistaat. Vorteil laut Menrad: „Das Netz gehört uns. Wir verpachten es. Unsere Kalkulation ist, dass sich das in 25 bis 30 Jahren amortisiert hat.“
Halsbach bekam rund 900000 Euro vom Freistaat, etwa 220000 Euro musste der Ort selbst hinblättern. Fördergelder des Bundes braucht Halsbach nicht. Dabei sah es finanziell erst schlecht aus: Mindestens 4,6 Millionen Euro hätte der Ausbau nach den Offerten großer Anbieter für den Teil des Ortes gekostet. „Das war für uns schlichtweg nicht zu stemmen“, sagt Poschner. „Wir sind eine kleine Gemeinde, wir haben kein Geld. Deswegen sind wir unseren eigenen Weg gegangen.“Eine Arbeitsgruppe um den Gemeinderat und Elektroingenieur Gottfried Schneiderbauer tüftelte monatelang an der Lösung. 45 Kilometer Kabel wären nach den Angeboten zu verlegen gewesen, der Meter zu 104 Euro. Gemeinhin wird auf öffentlichem Grund verlegt. Teils müssen Straßen aufgerissen werden – teuer. Folglich hieß es: Kilometer sparen und billiger verlegen, neben Straßen. Die Bauern mussten mitmachen. Doch nicht alle unterschrieben die Vereinbarung für die Verlegung der Kabel auf ihren Grundstücken. Poschner setzte sich ins Auto. Fuhr von Gehöft zu Gehöft. Führte Gespräche, bis alle im Boot waren. Der Deal: keine Entschädigung, dafür ein Anschluss kostenlos bis zum Haus. Vor zwei Jahren rollte der Spezialpflug aus dem Allgäu an. Bis zu zwei Kilometern pro Tag pflügte er den gut einen Meter tiefen, nur etwa sieben Zentimeter breiten Schlitz in die Halsbacher Felder, auf dem Heck rollte gleich das Leerrohr ab. 35 Kilometer waren es am Ende – zehn Kilometer weniger als in den Ursprungsangeboten.
Milchviehhalter Martin Blüml hatte sofort unterschrieben. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagt er. Bauern brauchen schnelles Internet. Wenn Ehefrau Regina Blüml früher den Rechner hochfuhr, etwa um Daten ihrer Kühe einzugeben, dauerte es. Jedes Kalb, jede Kuh muss den Behörden gemeldet werden. Und für Fördergelder sind Anträge nötig. Auch im Stall liegen auf modernen Höfen Datenleitungen: Die Kraftfutterabgabe kann elektronisch geregelt werden und die Erfassung der Milchmenge beim Melken.
Bürgermeister Poschner und Gemeinderat Schneiderbauer haben schon das nächste Projekt im Auge. Auch das Mobilfunknetz lässt schwer zu wünschen übrig. Schneiderbauer: „Da müssen wir als Nächstes ran.“
Sabine Dobel, dpa