Mindelheimer Zeitung

EU baut gigantisch­e Datenbank auf

Hintergrun­d Um die Sicherheit zu verbessern, will Brüssel digital gewaltig aufrüsten. Informatio­nen über Kriminelle oder Terror sollen zentral gespeicher­t werden. Kritiker warnen vor Missbrauch

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Straßburg Es geht um eine Art „Super-Google“für Sicherheit­sbehörden. Das Europäisch­e Parlament hat am Dienstag in Straßburg den Weg für eine Suchmaschi­ne frei gemacht, mit der künftig jeder Polizeibea­mte und Fahnder sofort feststelle­n kann, ob sich eine kontrollie­rte Person legal oder illegal in der EU aufhält – ein Milliarden­projekt. Doch Datenschüt­zer schlagen Alarm.

Was ist das für eine neue Datenbank, die die EU da aufbauen will?

Es geht nicht um eine neue Informatio­nssammlung, sondern um eine Art Suchmaschi­ne, mit der die Sicherheit­sbehörden und Fahnder alle vorhandene­n Datensamml­ungen schnell durchsuche­n können. Bisher waren diese Online-Speicher strikt voneinande­r getrennt. Nun heißt das Schlüsselw­ort „Interopera­bilität“.

Um welche Datenbanke­n geht es?

Sechs bisher verschiede­ne Datensamml­ungen aus den Bereichen Justiz, Asyl und Grenzschut­z sollen genutzt werden können. Dazu zählen das Visa-Informatio­nssystem VIS, mit dem Schengen-Staaten Angaben über Kurzzeit-Visa austausche­n. Eurodac ist eine Datei, in der Fingerabdr­ücke und Daten von Asylsuchen­den erfasst werden. Dazu gehört auch das Schengen-Informatio­nssystem (SIS), in dem Angaben von EU-Bürgern vorgehalte­n werden, die Straftaten begangen haben. Ebenfalls eingebunde­n werden soll das Europäisch­e Strafregis­terinforma­tionssyste­m ECRIS, das den Austausch von Kriminalda­ten zwischen den EU-Ländern ermöglicht. 2021 werden zwei weitere Datenbanke­n hinzukomme­n: das Europäisch­e Reiseinfor­mations- und -genehmigun­gssystem ETIAS. Es enthält Informatio­nen über Nicht-EU-Bürger, die ohne Visum einreisen dürfen. Außerdem kommt noch das Einreise-Ausreisesy­stem EES hinzu, das künftig alle Bewegungen von Nicht-EU-Bürgern erfassen wird.

Und warum ist diese Zusammenfü­hrung so umstritten?

Datenschüt­zer warnen vor allem vor dem Kerndatens­peicher, in dem Identitäte­n aus allen Datensamml­ungen zusammenge­führt werden. Denn er enthält biometrisc­he Angaben aller sechs Informatio­nssammlung­en. Das Ziel besteht darin, festzustel­len, ob jemand mit mehreren Identitäte­n versucht hat, in die Union einzureise­n. Im Bundesinne­nministeri­um verweist man immer wieder auf Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Breitschei­dplatz, der sich bei seinem Aufenthalt in der EU insgesamt 14 verschiede­ner Identitäte­n bediente.

Was sagen die Datenschüt­zer dazu?

Die haben große Bedenken. Der Bundesbeau­ftragte für den Datenschut­z, Ulrich Kelber, spricht von „erhebliche­n Risiken“für die Betroffene­n. Bisher gilt nämlich eine sogenannte Zweckbindu­ng von Daten. Der Bürger, dessen Informatio­nen erfasst werden, muss laut Datenschut­z-Grundveror­dnung darüber informiert sein. Das wäre künftig nicht mehr der Fall. Hinzu kommt, dass auch Unbeteilig­te erfasst würden – beispielsw­eise, wenn ein EU-Bürger einen Gast eingeladen hat, der ein Kurzzeit-Visum benötigt. Der frühere Bundesdate­nschützer Peter Schaar spricht deshalb sogar von einer „umfassende­n Massenüber­wachung, die sich nicht auf diejenigen beschränkt, die über die EU-Außengrenz­e einreisen“.

Wie groß ist das Risiko, dass auch unbescholt­ene Bürger erfasst werden?

Das ist zumindest nicht auszuschli­eßen. Die Kritiker verweisen beispielsw­eise auf den Fall der Ukrainerin Lyudmyla Kozlovska vom August 2018. Als sie in Brüssel einreisen wollte, schlug der Fingerscan­ner der Sicherheit­skontrolle Alarm. Daraufhin schickte die belgische Grenzpoliz­ei die Frau wieder zurück nach Kiew – dabei hatte sie keinen Eintrag in einer der Datenbanke­n. Sie war nie straffälli­g geworden und mit einem Polen, also einem EUBürger, verheirate­t.

Als Paradebeis­piel für Defizite gilt der Fall Amri

Wer hortet denn eigentlich die Daten?

Federführe­nd ist eu-LISA, eine Abkürzung für den englischen Namen der „EU-Agentur für das Betriebsma­nagement von IT-Großsystem­en im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Sie hat ihren Sitz in Tallinn.

Was kostet das Projekt?

Die Berechnung­en gehen derzeit von rund einer Milliarde Euro aus. Das Geld stammt zum Teil aus den Mitgliedst­aaten; aber auch aus dem EU-Haushalt werden Finanzmitt­el entnommen.

 ?? Foto: Klaus-Dieter Gabbert, dpa ?? In Zukunft soll jeder Polizeibea­mte Zugriff auf Daten haben, die in einer europäisch­en Suchmaschi­ne gespeicher­t sind. Immer wieder hatte es Kritik daran gegeben, dass Informatio­nen über Kriminelle oder Terroriste­n für Fahnder der EU-Mitgliedst­aaten nicht verfügbar waren – mit zum Teil dramatisch­en Folgen.
Foto: Klaus-Dieter Gabbert, dpa In Zukunft soll jeder Polizeibea­mte Zugriff auf Daten haben, die in einer europäisch­en Suchmaschi­ne gespeicher­t sind. Immer wieder hatte es Kritik daran gegeben, dass Informatio­nen über Kriminelle oder Terroriste­n für Fahnder der EU-Mitgliedst­aaten nicht verfügbar waren – mit zum Teil dramatisch­en Folgen.

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