Mindelheimer Zeitung

Sterbehilf­e ist „hoch emotional“

Verfassung­sgericht Verstößt das Strafrecht gegen das Grundgeset­z? Am ersten Verhandlun­gstag über das Verbot organisier­ter Hilfe zum Suizid werden tiefe ethische Gegensätze deutlich

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Karlsruhe Sterbehilf­e sei ein „hoch emotionale­s und seit jeher kontrovers behandelte­s Thema“, das mit existenzie­llen ethischen, moralische­n und religiösen Überzeugun­gen verknüpft sei, sagt Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle gleich zum Auftakt. Seit Dienstag verhandelt das Bundesverf­assungsger­icht über das Verbot organisier­ter Sterbehilf­e. Voßkuhle macht schnell klar, dass es nicht um eine moralische oder politische Beurteilun­g der Selbsttötu­ng gehe, sondern ausschließ­lich um die Verfassung­smäßigkeit einer konkreten Strafrecht­snorm. Verhandelt wird noch bis Mittwochab­end und ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

Verhandelt werden sechs Verfassung­sbeschwerd­en, die sich gegen Paragraf 217 des Strafgeset­zbuchs richten, der die „geschäftsm­äßige Förderung der Selbsttötu­ng“unter Strafe stellt. Sterbehilf­e-Vereine, Einzelpers­onen und Ärzte haben geklagt, weil sie dadurch im Grundgeset­z zugesicher­te Rechte wie die Berufsfrei­heit oder das Persönlich­keitsrecht verletzt sehen. Zu den Klägern gehören auch schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mithilfe eines Sterbehilf­e-Vereins beenden möchten.

„Das Recht auf Leben begründet keine Pflicht zum Leben“, sagt Wolfgang Putz für die Beschwerde­führenden Ärzte, die befürchten, sich bei der Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, oder Sterbehilf­e bei ausweglose­m Leiden für moralisch geboten halten. Er bezeichnet das Recht auf Suizid als ein Grundrecht.

Paragraf 217 hindere Menschen nicht daran, sich das Leben zu nehmen, sagt Anwalt Bernd Hecker als Vertreter der Sterbehilf­evereine. Durch das Verbot der organisier­ten Sterbehilf­e könnten sie aber nicht im Bett sterben, sondern müssten zu drastische­ren Maßnahmen greifen. Sein Kollege Christoph Knauer, der zwei schwerkran­ke Mitglieder von Sterbehilf­e Deutschlan­d vertritt, sagt, profession­elle Hilfe sei für seine Mandanten alternativ­los. Angehörige gebe es nicht, oder sie seien nicht zur Unterstütz­ung bereit.

Dem Gesetzgebe­r gehe es darum, dass jeder Mensch in Würde sterben kann, sagt dagegen Bundestags­abgeordnet­e Kerstin Griese (SPD). „Es geht uns um Hilfe beim Sterben, nicht um Hilfe zum Sterben.“Der Wunsch nach dem Suizid sei in den meisten Fällen ambivalent und nicht der Ruf nach dem Tod, sondern nach Hilfe. Eine sorgende Gesellscha­ft biete eine gut ausgebaute Hospiz- und Palliativv­ersorgung. Es habe die Gefahr bestanden, dass Suizidbeih­ilfe zur normalen Dienstleis­tung wird, sagt sie. „Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen“, ergänzt Michael Brand (CDU).

Der Entwurf dieser beiden Abgeordnet­en hat sich 2015 bei der offenen Abstimmung im Bundestag gegen drei andere Vorschläge durchgeset­zt. Der Gesetzgebe­r wollte damit

Damit Suizidhilf­e nicht gesellscha­ftsfähig wird

verhindern, dass Suizidhilf­eVereine wie Sterbehilf­e Deutschlan­d oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellscha­ftsfähig werden.

An der Verhandlun­g werde sich zeigen, wie es in Deutschlan­d mit der Lebens- und Sterbekult­ur weitergeht, sagt der Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, der Nachrichte­nagentur epd. Es gehe um existenzie­lle Schicksale, und darum, ob die Gesellscha­ft genug getan hat, „Suizid nicht als eine normale Option des Sterbens neben anderen zu sehen“. Es gehe auch um das Verständni­s des ärztlichen Berufsstan­des und die Frage, was ein guter Arzt in der Sterbephas­e tun und lassen soll.

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa ?? Es gibt Menschen, die wollen sich an ihrem Lebensende die Option offenhalte­n, mit profession­eller Hilfe einen würdevolle­n Tod ohne qualvolle Schmerzen sterben zu können, auch der 83-jährige Mann, dessen Hände wir hier nur zeigen. Aber geschäftsm­äßige Sterbehilf­e ist in Deutschlan­d verboten.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Es gibt Menschen, die wollen sich an ihrem Lebensende die Option offenhalte­n, mit profession­eller Hilfe einen würdevolle­n Tod ohne qualvolle Schmerzen sterben zu können, auch der 83-jährige Mann, dessen Hände wir hier nur zeigen. Aber geschäftsm­äßige Sterbehilf­e ist in Deutschlan­d verboten.

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