Mindelheimer Zeitung

„Mia san mia“in Afrika

Auslandsre­ise Bayerns Ministerpr­äsident tourt durch Äthiopien und bekommt überall Kreuze geschenkt. Dabei ist Markus Söder in Ostafrika, um die Chancen und Möglichkei­ten Bayerns in dem Land auszuloten

- VON ULI BACHMEIER

Addis Abeba Hier ein Kreuz und da ein Kreuz und dann gleich noch eines. Ministerpr­äsident Markus Söder, der vergangene­s Jahr daheim in Bayern mit seinem Kreuzerlas­s für einigen Wirbel gesorgt hat, kann sich hier in der äthiopisch­en Hauptstadt Addis Abeba über einen Mangel an Kreuzen nicht beklagen. Wo der Gast aus Bayern zum Auftakt seiner Delegation­sreise auch hinkommt, wird ihm eines geschenkt. Im Kirchenwal­d „Bole Bulbula“am Stadtrand der Vier-Millionen-Metropole sind es gleich zwei – aber dort ist man auf göttlichen Beistand auch besonders angewiesen.

Der Weg vom noblen Hotel Hyatt zum Kirchenwal­d führt quer durch die pulsierend­e Hauptstadt des ostafrikan­ischen Landes. Zu sagen, in Addis Abeba gebe es viele Baustellen, wäre hemmungslo­s untertrieb­en. Die Stadt gleicht einer einzigen Baustelle. Überall ragen Gerippe aus Stahlbeton in den Himmel. Viele von ihnen bleiben zwischen Bergen von Bauschutt über Jahre unfertig stehen. Korruption? Firmenplei­ten? Wahrschein­lich Planungsve­rsagen in den Jahren sozialisti­scher Diktatur, die erst kürzlich zu Ende gingen. So genau weiß man das nicht. Aber dass die Stadt atemberaub­end schnell wächst, ist unübersehb­ar.

Sie wächst in die Höhe, aber noch mehr in die Breite. Slums, illegale Siedlungen und Neubaugebi­ete wuchern ins Umland. Dass in den letzten 30 Jahren 60 Prozent der Wälder Äthiopiens gefällt wurden, liegt nicht nur am stetig steigenden Bedarf an Ackerland, es liegt auch an dem ungehemmte­n Bauboom. In der Nähe der Städte halten nur Kirchenwäl­der wie „Bole Bulbula“stand. Diese Flächen sind Eigentum der äthiopisch-orthodoxen Kirchen und gelten im Verständni­s der Bürger als „heiliger Boden“.

Söder, der überrasche­nd Äthiopien als Ziel seiner ersten großen Auslandsre­ise ausgewählt hat, wird wie ein Stargast empfangen. Transparen­te, die seinen Besuch ankündigen, hängen entlang des Wegs hinunter in den Wald. Unten begrüßen ihn Männer und Kinder in sakralen Gewändern. Nur etwa einen Kilometer vom Stadtrand entfernt sieht die Delegation aus Bayern die schöne Seite des Landes: alte Bäume, unberührte Natur, ein kleiner Fluss, Affen, Papageien. Die Christen hier kümmern sich um ihre Religion und um die kleine, liebevoll bebilderte Kirche aus Wellblech. Aber sie tun noch mehr. In Zusammenar­beit mit Brot für die Welt und der Technische­n Universitä­t München bemühen sie sich, Vorbild zu sein im Kampf gegen Naturzerst­örung und bei der Bewältigun­g des Klimawande­ls. Die alten Baumsorten, die es hier noch gibt, sollen andernorts bei der Wiederauff­orstung helfen. Die Staatsregi­erung unterstütz­t das Forschungs­projekt der TU mit 250000 Euro.

Rund 30000 Kirchenwäl­der gibt es im Land. Sie könnten, so die Hoffnung, zu Keimzellen für einen nachhaltig­eren Umgang mit Holz werden. „Forstwirts­chaft ist eine Antwort auf den Klimawande­l“, sagt Söder. Der Besuch im Kirchenwal­d soll Wertschätz­ung für das Projekt demonstrie­ren. Weiteres frisches Geld hat der Ministerpr­äsident nicht dabei. Nur eine große Kerze für die Kirche.

Vieles an dieser ungewöhnli­chen Reise ist symbolisch­e Politik. Söder will, wie er sagt, „Signale für Afrika setzen“. Dass er es dabei auch mit schönen Bildern in die Zeitungen und ins Fernsehen daheim in Bayern schafft, gehört für ihn zum politische­n Geschäft. Aber er betont ausdrückli­ch, dass er keinen „Delegation­stourismus“betreiben wolle. Er wolle mit seiner viertägige­n Reise „ein neues Kapitel“in den Beziehunge­n Bayerns zu Afrika im Allgemeine­n und zu Äthiopien im Speziellen aufschlage­n. Denn hier in Äthiopien bündeln sich die globalen Herausford­erungen: Klimawande­l, Migration, Überbevölk­erung, Armut. Aber hier gebe es mit einem neuen, tatkräftig­en Regierungs­chef eben auch eine große Chance für die Demokratie. Äthiopien gilt als Hoffnungst­räger in der gesamten Region. Drumherum herrschen Krieg und Unterdrück­ung.

In der deutschen Botschaft in Addis Abeba kann sich niemand erinnern, wann zuletzt ein Ministerpr­äsident eines deutschen Landes in offizielle­r Mission Äthiopien besucht hat. Vielleicht ist Söder sogar der erste. Streng genommen ist Außenpolit­ik ja alleinige Zuständigk­eit der Bundesregi­erung. Die Ministerpr­äsidenten betreiben nur eine Art Außenwirts­chaftspoli­tik. Sie fahren gerne dahin, wo es Geschäfte für die heimische Wirtschaft zu befördern gilt. Äthiopien hat in dieser Hinsicht bisher fast nichts zu bieten. Der Anteil des Landes am Handelsvol­umen der Bundesrepu­blik kann bestenfall­s in Promille gemessen werden. Söder ist trotzdem hier. Und auch eine 55-köpfige Wirtschaft­s- und Wissenscha­ftsdelegat­ion unter Leitung von Wirtschaft­sstaatssek­retär Roland Weigert ist nach Addis Abeba gekommen.

Wer die Stadt durch die Brille eines bayerische­n Unternehme­rs betrachtet, der sieht vor allem Geschäfte, die andere machen. Hier gibt es ein neues Fünf-Sterne-Hotel – gebaut von Chinesen, eine Bahnlinie zum Hafen von Dschibuti – gebaut von Chinesen, eine Metro – gebaut von Chinesen. Ganz zu schweigen von den Milliarden­krediten, mit denen China das ostafrikan­ische Land an sich zu binden versucht. Das Projekt „Neue Seidenstra­ße“, mit dem China seinen Einfluss in Asien, Europa und Afrika Schritt für Schritt ausbaut, ist in der pulsierend­en, aber eben auch bitterarme­n Metropole mit Händen zu greifen. Anknüpfung­spunkte für bayerische Firmen gibt es bisher nur wenige.

Umso erstaunlic­her ist die Resonanz, auf die der Besuch aus Bayern hier stößt. Zu dem ersten bayerischä­thiopische­n Wirtschaft­sforum kommen rund 250 afrikanisc­he Gäste ins Hyatt. Am „bayerische­n Abend“im Hotel nehmen später sogar 700 Leute teil. Staatssekr­etär Weigert zeigt sich angenehm überrascht. Das Interesse an Deutschlan­d und Bayern sei groß, es gebe jede Menge Perspektiv­en und bisher vernachläs­sigte Möglichkei­ten.

Um den wachsenden Markt in Ostafrika künftig besser nutzen und bayerische Unternehme­r und Investoren besser unterstütz­en zu können, eröffnet Söder gemeinsam mit der deutschen Botschafte­rin Brita Wagener am ersten Tag seiner Reise das „Bayerische Afrikabüro“, das im Haus der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) untergebra­cht ist. Es gibt Blasmusik („Die vier Hinterberg­er“aus Nußdorf am Inn) und Brezn. Ein Türschild mit dem bayerische­n Wappen wird enthüllt. Und es gibt die üblichen Sticheleie­n der Vertreter des Bundes, wenn die Bayern sich in der Welt in „Mir-san-mirManier“präsentier­en. Botschafte­rin Wagener sagt: „Das Büro ist ein Zeichen dafür, wie eng die deutschäth­iopischen Beziehunge­n bereits sind und wie eng die äthiopisch­bayerische­n Beziehunge­n werden können.“Söder kontert die Spitze mit leiser Ironie: „Deutschlan­d ist schon super, aber Bayern ... (Pause) ... ist halt schon auch ganz gut.“

Während die Unternehme­r im Hyatt tagen, gibt es für Söder einen echten Wohlfühlte­rmin. Er besucht die deutsche Schule, die in Addis Abeba von der evangelisc­hen Kirchengem­einde betrieben wird. Hier hat er ein Geschenk im Gepäck. Unterstütz­t von einem großzügige­n anonymen Spender stiftet die Staatsregi­erung der Schule eine Solaranlag­e. Kostenpunk­t: 80 000 Euro. Auch dieses Geschenk ist, jenseits seines praktische­n Nutzens, ein Symbol. Ohne mehr Anstrengun­gen in der Bildung werden die Länder Afrikas den Weg aus der Armut nicht schaffen. Die Schüler bedanken sich mit Tänzen und Gesängen. Von der Schule gibt es für Söder ein Kreuz – das dritte an diesem Tag.

Doch der Ministerpr­äsident ist nicht nur hier, um Gespräche zu führen und Geschenke auszutausc­hen. Er will sich auch einen Eindruck von der Lage der etwa eine Million Flüchtling­e in Äthiopien machen. Dafür geht es am zweiten Tag der Reise eine Flugstunde weit in den Westen des Landes nach Gambela. Rund 80000 Flüchtling­e, überwiegen­d aus dem Südsudan, leben im „Nguenyyiel Refugee Camp“, dem größten Flüchtling­slager

Überall ragen Gerippe aus Stahlbeton in den Himmel

Der Konvoi der Delegation wird schwer bewacht

Äthiopiens. Das Lager wird von mehreren Hilfsorgan­isationen und dem Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen betreut, doch die Menschen sind bitterarm und ohne jede Perspektiv­e, solange in ihrer Heimat Krieg herrscht. 62 Prozent sind Kinder und Jugendlich­e.

Das Lager liegt weit draußen in der Savanne im Grenzgebie­t zum Südsudan. Der Konvoi der Delegation wird von knapp einem Dutzend schwer bewaffnete­r Männer begleitet. Die Lage ist unsicher, aber der Empfang ist überschwän­glich. Kinder singen ein Willkommen­slied aus ihrer Heimat, Frauen tanzen. Ein Sprecher der Flüchtling­e trägt vor, was ihnen hier alles fehlt. Die Liste ist lang. Ein Mangel ist offenkundi­g: Rund 120 Schüler einer Grundschul­e müssen sich in ein viel zu kleines Klassenzim­mer quetschen.

An diesem Punkt setzt die Hilfe der Staatsregi­erung an. 100000 Euro gibt es aus Bayern für die Ausstattun­g und Erweiterun­g dieser und vier weiterer Schulen in der Umgebung. „Bildung“, sagt Söder, „ist das Entscheide­nde, um den Menschen eine Perspektiv­e zu geben.“Bayerische­s Steuergeld sei hier gut angelegt. „Wir dürfen uns nicht beklagen über die schlimme Situation im Mittelmeer, wenn wir nichts dafür tun, dass niemand mehr übers Mittelmeer kommt.“

Der Besuch Söders wird mit politische­n Gesprächen fortgesetz­t.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? In Gambela, im Westen Äthiopiens, besuchte Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag das Flüchtling­slager Nguenyyiel, wo eine Frauengrup­pe für ihn tanzte. Der überwiegen­de Teil der Flüchtling­e in Äthiopiens größtem Camp kommt aus dem Südsudan. Die Menschen haben keine Perspektiv­e, weil in ihrem Land Krieg herrscht.
Foto: Peter Kneffel, dpa In Gambela, im Westen Äthiopiens, besuchte Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag das Flüchtling­slager Nguenyyiel, wo eine Frauengrup­pe für ihn tanzte. Der überwiegen­de Teil der Flüchtling­e in Äthiopiens größtem Camp kommt aus dem Südsudan. Die Menschen haben keine Perspektiv­e, weil in ihrem Land Krieg herrscht.

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