Mindelheimer Zeitung

Schlanke Linie, dürre Beine

Mailänder Möbelmesse Warum es für Designer aktuell etwas weniger sein darf

- VON SIMONE ANDREA MAYER

Es klingt ein wenig wie eine Klage, als Philippe Starck auf der weltweit wichtigste­n Messe der Möbelbranc­he am Stand von Kartell spricht. „Ich bin ein Arbeiter, ich bin ehrlich, das wisst ihr“, sagte der Stardesign­er auf dem unlängst zu Ende gegangenen Salone del Mobile in Mailand. „Wenn ich mir nach all den Jahren meine Sachen ansehe, und auch das, was andere machen, dann habe ich das seltsame Gefühl, es ist immer das Gleiche“, setzte Starck fort. „Mal machen wir schwarze Stühle, mal machen wir rote Stühle.“Wo bleibe denn da das Wunder?

Klar, hierbei handelte es sich um die übliche Show bei der Präsentati­on von etwas Besonderem. Aber Philipp Starck sprach damit einen Eindruck aus, den man auf den letzten Möbelmesse­n bekommen konnte: Wo ist das wirklich Neue?

Denn gerade sehen viele neue Stühle eben aus wie Stühle in ihrer einfachste­n Form – keine sichtbaren Extras, kein Chichi. Und noch mehr: Soweit wie möglich wird das Material an vielen Möbeln reduziert.

Sofas, Sessel und Betten stehen auf dünnen, sogar dürren Beinen. Regale setzen sich aus hauchdünne­n Platten zusammen. Und sogar wenn noch Rundungen gegönnt werden, fehlen schon mal die Armlehnen, auf denen sich auch mal der Kopf ablegen ließe. Der Designer Naoto Fukasawa, der sich sowieso der Einfachhei­t von Produkten widmet, verschmäle­rt die Taille des eleganten Longchairs Land für Plank so weit, dass man sich unweigerli­ch fragt: Fehlt da nicht etwas?

Und genauso geht es bei vielen anderen Produkten, bei denen man sich beim ersten Anblick unweigerli­ch fragt: Ist das bequem? Oder gar: Ist das stabil? Die Unternehme­n gehen bei ihren Präsentati­onen diese Fragen an, denn genau das ist das Neue: Sie setzen ihre Möbel bewusst auf Radikaldiä­t, bieten dabei aber großen Komfort und Praktikabi­lität.

Der Reiz daran: Das Minimalist­ische sieht stilvoll und schick aus. Und es macht neugierig, was die Umsetzung des Designs angeht. Denn dahinter steckt nicht einfach nur der Bau zum Beispiel eines Tisches in seiner einfachste­n Form – also aus einer Platte und vier Füßen. Die Kreativ- und Fertigungs­prozesse sind aufwendig. Und in manchen Möbeln steckt mehr als auf den ersten Blick ersichtlic­h. Weit mehr.

Zum Beispiel im hauchdünne­n Tisch Fila von Konstantin Grcic für Plank, der auf geradezu dürren Beinen stehen kann, ist es ein Rahmen mit vier massiven AluminiumW­inkeln. Sie verbinden die Beine und Traversen miteinande­r und sorgen so für Stabilität. Damit das nicht auffällt und die Elemente scheinbar keine Nähte haben, sind die Winkelverb­inder akkurat gefräst statt gegossen.

Für Moroso hat Stardesign­erin Patricia Urquiola übertragen gesprochen mit Steinen gespielt – die man vorsichtig ausbalanci­ert stapeln kann. Ergibt sich eine Balance zwischen den ungleichen Elementen, könnten normale kräftige Formen ganz leicht wirken, erklärt das UnSofas ternehmen. Herausgeko­mmen ist das Sofa Gogan, das in grauer Farbe auch an die Steinskulp­tur erinnert. Da die Sitzfläche am Schwerpunk­t leicht nach hinten geneigt ist, erhöhe sich außerdem der Komfort beim Sitzen.

Beim Bett namens Friday Night für Zeitraum hat das Designduo Formstelle zu einem anderen Kniff gegriffen: Die Rückenlehn­e geht auf halben Weg in eine Biegung und wird unten zugleich zu den schlanken Hinterfüße­n des Bettes. Das verschlank­t die Seite optisch. Außerdem sind die vorderen Füße etwas nach hinten versetzt, wodurch das Bett je nach Blickwinke­l wirkt, als würde es schweben.

Auch hinter Philippe Starcks Auftritt am Stand des italienisc­hen Möbelprodu­zenten Kartell in Mailand steht so eine verschlank­te Produktent­wicklung. Dafür hat er sogar mal kurz seine Rolle als Designer abgegeben. Auf seine Anregung hin erhielt eine künstliche Intelligen­z den Auftrag, einen Stuhl zu formen, der mit so wenig Material wie möglich auskommt. Dabei soll er aber komfortabe­l, stabil und solide sein sowie ästhetisch­e Grundvorau­ssetzungen erfüllen. Kooperatio­nspartner dabei ist Autodesk, ein USUnterneh­men für 3-D-Software.

„A.I.“ist das Ergebnis – ein Stuhl, der nur zwei übliche gerade Beine vorne hat. Hinten gehen die schrägen Beine bis hoch zur Lehne. Kartell spricht davon, dass dies „das erste durch künstliche Intelligen­z konzipiert­e Designobje­kt“sei.

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Foto: Zeitraum, tmn Die Rückenlehn­e des Betts Friday Night vom Designduo Formstelle für Zeitraum macht auf halben Weg eine Biegung und wird unten zu den schlanken Hinterfüße­n des Bettes.
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Foto: Plank, tmn Die Form des Longchairs Land von Naoto Fukasawa für Plank ist auf das Nötigste reduziert.

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