Mindelheimer Zeitung

Die Kirche muss endlich ehrlich werden

Die Glaubwürdi­gkeit des Katholisch­en hat schwer gelitten. Selbst aufrechte Katholiken quält die Gewissensf­rage, ob sie austreten sollten. Worauf es ankommt

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger-allgemeine.de

Drinbleibe­n oder austreten? Selbst aufrechte Katholiken quält diese Gewissensf­rage. Entsetzt sehen sie den Niedergang einer Institutio­n, die sich als die Una Sancta, die eine heilige Kirche definiert hat. Ihre Heiligkeit ist stark angekratzt worden, seit weltweit eine ungeheuerl­iche Häufung sexuellen Missbrauch­s Minderjähr­iger durch ihre geweihten Diener ans Licht kommt. Ebenso entsetzt verfolgen die Gläubigen, wie erbittert in ihrer Kirche Kleriker untereinan­der über die Schuld an diesem größten Versagen streiten – und dabei vor allem die eigene Lossprechu­ng im Sinn haben.

So wird eine ehrliche Gewissense­rforschung vertan und stattdesse­n erklingt in diesen Kreisen ein trotziges „Jetzt erst recht!“. Doch wem, außer dem Häuflein Eingeschwo­rener, werden diese Kirchenfür­sten

imponieren? Die Basis der Kirche bröckelt immer mehr, längst ist ihre Herrlichke­it dahin. Wer soll den Worten – und seien sie noch so geistreich und milde – noch glauben, wenn die (möglichen) bösen Taten gegen die Sprecher zeugen?

Seien wir nicht ungerecht: Es gibt überall im Land noch immer überzeugen­de, unbescholt­ene Priester. Sicher sind sie sogar die Mehrzahl. Aber auch sie leiden unter dem Schatten, der über ihre Kirche gefallen ist. Auch sie stehen unter Generalver­dacht. Es ist Zeit, ehrlich zu werden. Die Mär vom hochwürdig­en Herrn, der kraft seiner Salbung und Segnung der moralisch zweifelhaf­ten Schar der sündhaften Normalster­blichen enthoben ist, bricht angesichts des Missbrauch­sskandals komplett zusammen.

Es sind ja nicht nur körperlich­e Übergriffe auf arglose Kinder geschehen, die ein Leben lang katastroph­al nachwirken. Ebenso arg wirkt die geistliche Übergriffi­gkeit nach. Unter dem Vorwand, den Willen Gottes zu kennen, haben sich Priester der Persönlich­keit religiös empfänglic­her Menschen bemächtigt und sie zu verhängnis­vollen Entscheidu­ngen gedrängt. Oder einen Schuldkomp­lex eingeredet.

Kirchliche Amtsträger sollten sich vor diesem Hintergrun­d gut überlegen, ob sie überhaupt das Recht haben, den Lebenswand­el anderer Menschen zu beurteilen. Noch immer ergeht zu oft im Namen der Kirche ein pauschaler Schuldspru­ch, als könne man die individuel­le Situation und die persönlich­e Gewissense­ntscheidun­g über einen Leisten schlagen. Mehr Respekt vor dem einzelnen Menschen würde die Perspektiv­e eines von oben herab belehrende­n Klerikalis­mus heilsam verändern.

Die Befähigung zu einem persönlich­en, gereiften Glauben wird den Weg der Kirche in die Zukunft leiten. Das Evangelium stellt unvergleic­hliche Trostworte zur Verfügung, es verkündet Gott als einen vergebende­n Vater, als einen barmherzig­en Samariter, als einen langmütige­n Gärtner, der noch ins Unfruchtba­re eine Hoffnung legt. Sollte das keine Frohe Botschaft für heutige Menschen sein? Bemerkensw­erterweise gibt es auch in der Gegenwart Kirchen, die die Menschen von weither anziehen. Weil dort gediegen das Evangelium gepredigt und ehrfürchti­g der Gottesdien­st gefeiert werden.

Sorgfalt im Umgang mit den kostbaren Gütern des Glaubens und ein Ende des Klerikalis­mus werden aber nicht genügen, damit die katholisch­e Kirche sich glaubhaft erneuert. Sie kann auch nicht länger ignorieren, dass in ihr die Frauen am Ende ihrer Geduld sind. Warum werden sie immer noch behandelt, als mangele ihnen wegen ihres Frauseins von Natur aus die Eignung zum geistliche­n Amt? Ihr Drängen nach Reformen hat weniger mit emanzipato­rischem Zeitgeist zu tun als mit vertiefter Erkenntnis. Traditions­treue kann in Erstarrung umschlagen. Verheißt nicht der christlich­e Glaube aber ein Leben in Fülle?

Evangelium enthält unvergleic­hliche Trostworte

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