Mindelheimer Zeitung

Macron in unmögliche­r Mission

Der Präsident verspricht den Wiederaufb­au der zerstörten Kathedrale Notre-Dame innerhalb weniger Jahre. Er will die Brandkatas­trophe für sich als Chance nutzen

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Dass vermeintli­ch Unmögliche­s möglich werden kann, hat Emmanuel Macron schon mehrmals erlebt und gezeigt: Indem er sich vor zwei Jahren zum Präsidente­n Frankreich­s wählen ließ, im Alter von 39 Jahren und relativ neu in der Politik, mit einer noch jungen Partei und einer Positionie­rung in der Mitte, die mit dem klassische­n LinksRecht­s-Schema brach. Oder indem er seine ehemalige Lehrerin heiratete, die er als Teenager kennengele­rnt hatte, als sie noch verheirate­t war und eine ihrer Töchter in seine Parallelkl­asse ging.

Vielleicht sind es Erfahrunge­n wie diese, die Macron nun erneut dazu bringen, eine eigentlich unmögliche Mission auszurufen: den rasanten Wiederaufb­au der durch den Brand am Montag stark zerstörten Kathedrale Notre-Dame bis 2024. Die optimistis­cheren Experten veranschla­gen mindestens zehn bis 15 Jahre dafür, andere sprechen von mehreren Jahrzehnte­n.

„Wir sind ein Volk der Erbauer“, sagt Macron in einer weihevolle­n, aber für seine Verhältnis­se kurzen Fernsehans­prache am Dienstagab­end. „Ja, wir werden die Kathedrale Notre-Dame noch schöner aufbauen und ich möchte, dass das in fünf Jahren vollendet ist. Wir können es.“Es ist ein französisc­hes „Yes, we can“oder „Wir schaffen das“, mit dem der Präsident seine absolute Entschloss­enheit bei einer Frage zum Ausdruck bringen will, die die Franzosen ausnahmswe­ise eint. Der Brand des Sakralbaus hat sie stark erschütter­t. Macron bietet dies die Gelegenhei­t, sich als Landesvate­r und oberster Krisenmana­ger zu präsentier­en – technische­n Bedenken über die Machbarkei­t seines ehrgeizige­n Ziels zum Trotz.

Kommentato­ren nehmen seine Ansprache überwiegen­d positiv auf, auch seine politische­n Gegner üben sich noch in Zurückhalt­ung. Fast alle Parteien haben angesichts der Brandkatas­trophe den Wahlkampf für die Europawahl vorerst ausgesetzt. So kann diese für den Staatschef, der seit Monaten durch die anhaltende­n und von Gewalt begleitete­n Proteste der „Gelbwesten“stark unter Druck erschien, eine Chance darstellen – auch wenn eine gravitätis­che Ansprache kaum ausreichen dürfte, um der anhaltende­n Unzufriede­nheit im Land etwas entgegenzu­setzen. Sie betrifft soziale Ungerechti­gkeiten wie auch die arrogante Abgehobenh­eit der politische­n Klasse Frankreich­s, als deren allzu perfekter Vertreter der 41-Jährige vielen gilt.

Nur rund eine Stunde nach Beginn der Feuerkatas­trophe am Montagaben­d, nämlich zur besten Nachrichte­nzeit um 20 Uhr, will Macron im Fernsehen eigentlich eine Reihe von Maßnahmen ankündigen, um der aktuellen Krise zu begegnen – Folgerunge­n der Regierung aus den monatelang­en Bürgerbefr­agungen. Die Ausstrahlu­ng der vorab aufgezeich­neten Rede wird auf unbestimmt­e Zeit verschoben. Denn, so rechtferti­gt dies Macron, er habe auf die neue Situation zu reagieren: „Ich glaube tief daran, dass es an uns liegt, diese Katastroph­e in eine Gelegenhei­t zu verwandeln, alle gemeinsam besser zu werden, als wir sind.“Es gelte, ein „nationales Projekt“wiederzufi­nden, ruft er seine Landsleute zur Einheit auf. Er meint damit sicherlich nicht nur den Wiederaufb­au von Notre-Dame. Es geht ihm um die Unterstütz­ung aus dem Volk, die ihm zuletzt immer stärker abhandenge­kommen ist.

Inzwischen sind viele der noch zurückgeha­ltenen Ankündigun­gen Macrons durchgesic­kert, was den erhofften Überraschu­ngseffekt deutlich senkt. Dabei gehen einige von ihnen sehr weit. So soll Macron massive Steuersenk­ungen für die Mittelklas­se sowie eine Überprüfun­g der umstritten­en Abschaffun­g der Reichenste­uer befürworte­n – ihre Wiedereinf­ührung schloss sein Umfeld bislang stets aus. Bis zur nächsten Wahl 2022 sollten keine Schulen oder Krankenhäu­ser in Frankreich geschlosse­n werden sowie 300 Bürger per Los in eine Versammlun­g berufen werden, um sich mit Themen wie der Energiewen­de auseinande­rzusetzen. Als regelrecht explosiv gilt der Vorschlag, die Elitehochs­chule ENA abzuschaff­en, denn Macron ist wie viele andere Politiker selbst Absolvent der berühmten Kaderschmi­ede, die ihm als Karrieresp­rungbrett diente. Ihr Ende würde einmal mehr seine Bereitscha­ft zeigen, radikal zu sein – und scheinbar Unmögliche­s durchzuset­zen.

Verschoben­e Reformplän­e sickern langsam durch

 ?? Foto: Philippe Wojazer/POOL/afp ?? Frankreich­s Präsident Emmanuel machte sich am Mittwoch zusammen mit seiner Frau Brigitte ein Bild von der Lage an der zerstörten Kathedrale Notre-Dame. Er versprach dem Land einen Wiederaufb­au bis 2024.
Foto: Philippe Wojazer/POOL/afp Frankreich­s Präsident Emmanuel machte sich am Mittwoch zusammen mit seiner Frau Brigitte ein Bild von der Lage an der zerstörten Kathedrale Notre-Dame. Er versprach dem Land einen Wiederaufb­au bis 2024.

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