Dürfen Pfarrer ausrasten?
Der Meringer Priester und Buchautor Thomas Schwartz über Wut-Predigten und gute Oster-Predigten, Lampenfieber und die Frage, warum der Papst nicht einfach die Kirche reformiert
Herr Pfarrer Schwartz, wann sind Sie zum letzten Mal ausgerastet? Thomas Schwartz: Letzte Woche, beim Autofahren. Es ging nichts vorwärts, ich hatte aber einen dringenden Termin. Da habe ich geschimpft wie ein Rohrspatz.
Pfarrer dürfen also ausrasten. Schwartz: Ja mei! Sie können es jedenfalls nicht verhindern. Wir sind auch nur Menschen mit Emotionen.
Sie befinden sich in bester Gesellschaft. „Auch Petrus ist mal ausgerastet“lautet der Titel Ihres jüngsten Buches. Schwartz: Auch die Bibelfiguren sind Menschen wie du und ich. Sie sind nicht besonders fromm, nicht besonders friedfertig. Das zeigt mir immer wieder, dass Gott jeden gebrauchen kann. Gerade auch Menschen mit Ecken und Kanten. Der Apostel Petrus oder Johannes der Täufer sind hier durchaus Vorbilder, wenngleich nicht jede Person in der Bibel zum Vorbild taugt.
Selbst Jesus konnte ausrasten. Er ärgerte sich zutiefst über die Tempelhändler, stieß sogar die Tische der Geldwechsler um.
Schwartz: Ja, auch schlechte Laune! Jesus hatte
Halten Sie bisweilen donnernde Predigten?
Schwartz: Das habe ich schon. Geschimpft habe ich dabei aber nicht. Das würde auch die Falschen treffen, nämlich die Gottesdienstbesucher. Dass ich mal donnernd oder emotional werde, passiert mir vor allem, wenn ich eine Predigt frei halte und nicht ablese.
Was hat Sie denn einmal so geärgert, dass es zum Donnergrollen kam? Schwartz: Ich erinnere mich noch an eine Karfreitag-Predigt vor ein paar Jahren, das war auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise. Da rief ich dazu auf, auch einmal das Kreuz derer zu betrachten, die sich zu uns aufgemacht haben. Und zwar eben nicht, weil sie vermeintlich schnell an unser Geld kommen wollen.
Was macht eine gute Predigt, eine gute Oster-Predigt aus?
Schwartz: Humor. Ostern ist ein Fest der Freude, der Hoffnung, der Zuversicht – und das verkünden wir als Pfarrer auch. Da sollen die Menschen in der Osternacht, der Nacht der Auferstehung Christi, durchaus mit einem Lächeln aus der Kirche gehen. Man darf uns Christen ruhig ansehen, dass wir an ein ewiges Leben glauben. Haben Sie eigentlich so etwas wie Lampenfieber? Immerhin können Gottesdienstbesucher ein kritisches Publikum sein …
Schwartz: Wenn ich jemanden beerdigen muss, der zum Beispiel jung oder tragisch gestorben ist, habe ich so etwas wie Lampenfieber. Denn ich möchte die Angehörigen in ihren Herzen und Seelen erreichen, um ihnen Trost spenden zu können. Das ist eine der größten Herausforderungen für mich. Generell würde ich aber eher von einer gewissen Grundanspannung sprechen. Ich will, dass der Funken in meinen Predigten überspringt. Wer eine Predigt sozusagen als business as usual hält, braucht sich nicht zu wundern, wenn alle dabei einschlafen. Was Ostern und Oster-Predigten angeht: Ich vergewissere mich zuvor meiner eigenen Freude über die Auferstehung Christi, damit ich diese Freude dann ausstrahlen kann. Ein Pfarrer sollte auch nicht vergessen, allen frohe Ostern zu wünschen.
Kürzlich wurde ein Kollege von Ihnen, Pfarrer Hermann Josef Lücker aus dem niedersächsischen Visbek, mit einer „Wut-Predigt“bundesweit bekannt. Er warf den Bischöfen „Rumgeeiere“vor und forderte Frauen als Priesterinnen. Eine mutige Predigt? Schwartz: Da ist wohl bei dem Mitbruder einiges an Ärger, Verbitterung, Enttäuschung und nicht erfüllter Erwartung einfach mal herausgekommen. Als mutig würde ich es nicht bezeichnen, ich finde es ehrlich. Und vor Ehrlichkeit müssen wir – auch innerhalb der Kirche – wirklich keine Angst haben. Seine Wut-Predigt zeigt, dass wir die Fragen der Menschen an uns ernst nehmen und uns mit den Problemen, die es in der Kirche gibt, auseinandersetzen.
Viele Gläubige wünschen sich offenbar klarere Ansagen – sowohl von den deutschen Bischöfen als auch vom Papst. Eine Frage, die oft zu hören ist, heißt: „Warum reformiert Franziskus die Kirche nicht einfach, etwa per Dekret? Er ist doch der Papst!“Schwartz: Genau so könnten aber auch diejenigen argumentieren, die nichts verändern wollen und auf entsprechende Machtworte des Papstes schielen. Nein, eine Reform der katholischen Kirche muss von unten beginnen. Und damit meine ich nicht nur die Pfarrgemeinden, sondern auch die Bischofskonferenzen.
Ausgerechnet etwa die unter sich oft uneinigen deutschen Bischöfe sollen vorangehen?
Schwartz: Franziskus ermutigt sie immer wieder, auch einmal Dinge zuzulassen – etwa, dass evangelische Ehepartner unter bestimmten Voraussetzungen die Kommunion in einem katholischen Gottesdienst empfangen können. Der Grundgedanke ist: mehr Entscheidungsfreiheit, ohne damit die kirchliche Gemeinschaft, die Einheit der Kirche, kaputt zu machen. Reformen werden kommen, wenn und wann Gott es will – davon bin ich überzeugt.
Interview: Daniel Wirsching
OThomas Schwartz ist katholischer Pfarrer von Mering im Landkreis Aichach-Friedberg. Zudem lehrt der 54-Jährige als Honorarprofessor Wirtschaftsund Unternehmensethik an der Universität Augsburg. Sein Buch „Auch Petrus ist mal ausgerastet. Querköpfe in der Bibel“ist im Verlag Herder (160 Seiten, 12 Euro) erschienen.