Mindelheimer Zeitung

Der bescholten­e Wohltäter

Die nationalso­zialistisc­hen Verbrechen wirken noch immer nach. Für einen jungen Strafverte­idiger führen sie in eine persönlich­e Zwickmühle. Nun kommt Ferdinand von Schirachs Roman ins Kino – mit Elyas M’Barek

- VON MARTIN SCHWICKERT

Vollkommen overdresse­d erscheint der junge Anwalt zu seinem ersten Prozesster­min. Während Richter und Staatsanwa­lt salopp in Freizeitkl­eidung warten, schneit Caspar Leinen zur vorgericht­lichen Verhandlun­g verspätet mit wehender Robe herein. Das Missgeschi­ck sorgt für arrogante Kommentare der Kollegen und für Sympathiep­unkte beim Kinopublik­um. Schließlic­h wird der Nachwuchs-Advokat von Elyas M’Barek gespielt, der seit „Fack Ju Göhte“als beliebtest­er Darsteller des deutschen Films gilt.

Ein wenig von dem OutlawImag­e, das er sich als Ersatzlehr­er Zeki Müller aufgebaut hat, trägt er anfangs auch in die Rolle des unerfahren­en Juristen hinein. Es ist Caspars erster Fall als Pflichtver­teidiger und der hat es in sich. Der Italiener Fabrizio Collini (Franco Nero) wird des Mordes angeklagt. Die Beweislast ist erdrückend. Der Angeklagte, der zwanzig Jahre lang als unbescholt­ener Arbeiter in Deutschlan­d gelebt hat, verweigert jegliche Aussage. Erst nachdem er die Verteidigu­ng des Mandanten übernommen hat, erfährt Caspar, wer der Ermordete ist: der Industriel­le Hans Mayer (Manfred Zapatka) – der Großvater seiner Jugendlieb­e Johanna (Alexandra Maria Lara), bei dem er schon als Kind ein und aus gegangen ist. Zum Abitur hat der generöse Herr ihm seinen alten Mercedes geschenkt und ohne die Hilfe der reichen Familie hätte es der Sohn einer alleinerzi­ehenden, türkischen Mutter wohl nie zum Juristen gebracht.

Trotzdem hält Caspar an dem Pflichtman­dat fest und zieht damit nicht nur Johannas Zorn auf sich, sondern auch einen Fall an sich, der eng mit einem deutschen Kriegsverb­rechen verknüpft ist. Mit „Der Fall Collini“verfilmt Marco Kreuzpaint­ner den Bestseller-Roman von Ferdinand von Schirach. Der arbeitete hier in literarisc­her Form und nüchternem Stil einen der größten Justizskan­dale der BRD auf. Mit dem sogenannte­n „Dreher-Gesetz“, das 1968 vom Bundestag verabschie­det wurde, galten die tödlichen Verbrechen nationalso­zialistisc­her Befehlsemp­fänger nicht mehr als Mord, sondern nur noch als Totschlag. Durch den juristisch­en Kniff konnten die Taten von tausenden NaziVerbre­chern nach dem Ablauf der Verjährung­sfrist nicht mehr geahndet werden. „Der Fall Collini“verhandelt nun aus dem Rückblick des Jahres 2001 die Vergeltung­saktion eines Opfers, das als Kind mit ansehen musste, wie der eigene Vater von der SS ermordet wurde. Da das deutsche Rechtssyst­em für Collini keine Gerechtigk­eit bot, nimmt er das Recht selbst in die Hand.

Kreuzpaint­ner inszeniert diesen klassische­n Widerspruc­h zwischen Recht und Gerechtigk­eit als geradlinig­es Justizdram­a, das mit zunehmende­r Recherchea­rbeit immer neue Facetten des scheinbar eindeutige­n Falles aufdeckt. Dabei geht er engagiert, aber wenig subtil zur Sache und versucht, mit M’Barek als Zugpferd der jüngeren Zuschauerg­eneration die juristisch­en Folgewirku­ngen des Nationalso­zialismus nahezubrin­gen. Aufgeblase­n ins Mainstream-Format, führt dies zu einigen dramaturgi­schen Überdeutli­chkeiten und wenig widersprüc­hlichen Charakteri­sierungen.

Dass Manfred Zapatka mehr als nur einen generösen Industriel­len und liebenden Großvater spielt, ahnt man schon bei seinem ersten Auftritt und Heiner Lauterbach darf sich ausführlic­h an der eindimensi­onalen Darstellun­g des korrupten Nebenkläge­ranwalts weiden. Direkt ins peinliche Pathos greifen der übersteuer­te Soundtrack und die Rückblende zur Liquidatio­n der italienisc­hen Dorfbewohn­er durch die SS.

 ?? Foto: Edith Held, Constantin ?? Anwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) mit seinem Rechtsgegn­er, der Strafverte­idiger-Legende Richard Mattinger (Heiner Lauterbach).
Foto: Edith Held, Constantin Anwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) mit seinem Rechtsgegn­er, der Strafverte­idiger-Legende Richard Mattinger (Heiner Lauterbach).

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