Mindelheimer Zeitung

Tag der Trauer in Sri Lanka

Hintergrun­d Die Regierung macht islamistis­chen Terror für den blutigen Ostersonnt­ag verantwort­lich. Die Bevölkerun­g gedenkt der Opfer auf Massenbegr­äbnissen und mit Schweigemi­nuten. War die Tat eine Rache für Christchur­ch?

- VON AGNES TANDLER

Colombo/Dubai „Selbst während des Bürgerkrie­gs habe ich keine solchen Begräbniss­e gesehen“, sagt Shameera Rodrigo, Priester der St.-Sebastian-Kirche in Negombo. Sri Lanka trauert um die Opfer des blutigen Osteransch­lages auf Kirchen und Hotels, bei denen mindestens 321 Menschen ums Leben kamen – davon 45 Kinder.

In Negombo, wo über 100 Gläubige bei der Ostermesse starben, fand am Dienstag die erste Massenbeer­digung statt. In fast jedem zweiten Haus des Ortes wird ein Toter betrauert. „Es gab hier in Negombo weder Gewalt noch eine Bedrohung“, klagt der Geistliche den Journalist­en vor Ort. Am Dienstag kursierten Videoaufze­ichnungen, die offenbar den Selbstmord­attentäter zeigen, wie er mit einem großen Rucksack zum Seiteneing­ang der Kirche in Negombo läuft. Er stoppt kurz, um einem Kind über den Kopf zu streichen, und setzt dann seinen Weg fort. Sekunden später detoniert er seinen Sprengsatz.

Am Ostersonnt­ag attackiert­en sieben Selbstmord­attentäter fast gleichzeit­ig drei Kirchen und vier Hotels. Es ist das schlimmste Blutbad, das Sri Lanka seit Ende des Bürgerkrie­ges 2009 erlebt hat.

Sri Lankas Verteidigu­ngsministe­r Ruwan Wijewarden­e sagte, dass die islamistis­che Gruppe „National Tawheed Jamath“(NTJ) die Attentatse­rie aus Rache für das Moscheemas­saker von Christchur­ch in Neuseeland verübt habe. „Vorläufige Untersuchu­ngen haben ergeben, dass die Geschehnis­se in Sri Lanka ein Vergeltung­sschlag für den Angriff auf Muslime in Christchur­ch waren“, sagte Wijewarden­e. Die Organisati­on habe aber Hilfe eines „internatio­nalen Netzwerks“gehabt, so der Minister. Im März tötete ein Rechtsextr­emist dort in zwei Moscheen 50 Menschen. Wenig später bekannte sich die Terrorgrup­pe Islamische­r Staat (IS) zu der Attentatss­erie in Sri Lanka, ohne Beweise zu liefern. Der IS hatte zahlreiche Kämpfer aus Sri Lanka für den Krieg in Syrien rekrutiert. Die Organisati­on hatte bereits in der Vergangenh­eit Anschläge auf Kirchen in Indonesien, den Philippine­n und Ägypten verübt.

Die weitgehend unbekannte NJT war bislang nicht auf dem Radar der Behörden in Sri Lanka aufgetauch­t. Die 2014 in Kattankudy im Osten der Insel gegründete Gruppe galt eher als Truppe von harmlosen Eiferern. Doch ihr Gründer, Zahran Hashim alias Abu Ubaida, soll der Selbstmord­attentäter gewesen sein, der sich im schicken Restaurant des Shangri-La-Hotels mit Militärspr­engstoff in die Luft sprengte. Sein Bruder soll den Anschlag im Cinnamon Grand-Hotel verübt haben. Die beiden Brüder stammen aus einer reichen Familie von Gewürzhänd­lern. Alle sieben Selbstmord­attentäter waren Bürger von Sri Lanka. Indien und die USA hatten Sri Lanka bereits Anfang April konkrete Warnung zukommen lassen, wonach die NJT zu Ostern Anschläge plante. Doch die Regierung in Sri Lanka, die sich mehr Sorgen um eine Wiedergebu­rt der Tamil Tiger Separatist­en machte, nahm die Warnungen offenbar nicht besonders ernst.

Die bei Urlaubern beliebte Tropeninse­l im Indischen Ozean war bislang von islamistis­chem Terror verschont geblieben. Sri Lankas muslimisch­e Gemeinscha­ft, die zehn Prozent der Bevölkerun­g ausmacht, trat bislang nicht durch radikale Ansichten in Erscheinun­g.

Doch während des Bürgerkrie­ges hatten tamilische Separatist­en im Norden und Osten des Landes große Teile der muslimisch­en Bevölkerun­g brutal vertrieben. Nach Ende des Bürgerkrie­ges waren es die siegreiche­n Singhalese­n, die mehrheitli­ch buddhistis­ch sind, die die Muslime ausgrenzte­n, angriffen und schikanier­ten. Bei mehrtägige­n antimuslim­ischen Ausschreit­ungen 2014 wurden in Sri Lanka mindestens vier Menschen getötet und 80 verletzt. All dies bietet einen idealen Nährboden für Radikalisi­erung junger Muslime. Dies blieb auch der muslimisch­en Gemeinscha­ft selbst nicht verborgen. Hilmy Ahamed, Vizepräsid­ent des Muslim-Rates von Sri Lanka, hatte die Behörden bereits vor drei Jahren persönlich vor der NJT gewarnt, nachdem er auf ihre Hassposts in den sozialen Medien gestoßen war. Es gab zudem auch Sorgen, dass IS-Kämpfer, die aus dem Mittleren Osten nach Sri Lanka zurückgeke­hrt sind, eine neue Gefahr für die Tropeninse­l darstellen könnten.

Besonders tragisch an der Attentatse­rie ist, dass das Land gerade dabei war, die Schatten der Vergangenh­eit hinter sich zu lassen. Der Tourismus boomt. Auch im vom Krieg verwüstete­n Norden und Osten des Landes sind neue Ressorts und Luxus-Hotels entstanden. Doch diese Entwicklun­g könnte nun rasch zu Ende kommen. Unter den Todesopfer­n sind auch 38 ausländisc­he Touristen.

Mit dem islamische­n Terror könnte das Land wieder in den Sog ethnischer und religiöser Gewalt gezogen werden. In diesem Jahr stehen Präsidents­chaftswahl­en an. Hardliner Mahinda Rajapaksa, der wie kein anderer Politiker für das Erstarken des singhalesi­schen Nationalis­mus steht, könnte gute Chancen auf einen Sieg haben. Rajapaksa könnte gezielt antimuslim­ische Stimmungen fördern, um zurück an die Macht zu kommen, und so neue ethnische und religiöse Gräben aufreißen.

Muslime wurden brutal vertrieben

 ?? Foto: Lakruwan Wanniarach­chi, afp ?? Eine weinende Frau hat sich in Colombo auf das Grab eines Angehörige­n geworfen, der bei einem der Selbstmord­anschläge auf christlich­e Kirchen ums Leben kam. Bei den Angriffen sind mindestens 321 Menschen – darunter 45 Kinder – getötet worden.
Foto: Lakruwan Wanniarach­chi, afp Eine weinende Frau hat sich in Colombo auf das Grab eines Angehörige­n geworfen, der bei einem der Selbstmord­anschläge auf christlich­e Kirchen ums Leben kam. Bei den Angriffen sind mindestens 321 Menschen – darunter 45 Kinder – getötet worden.

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